Ein Sieg, der die Wende bringt
Genauso wenig wie eine Schwalbe einen Sommer beziehungsweise einen notorischen Schauspieler aus einem Fußballer macht, macht ein Sieg die deutsche Nationalmannschaft direkt zum Turnierfavoriten. Doch die Begeisterungsstürme, die die Elf seit Samstagabend auslöst, sind nicht zu hoch gegriffen. „Das Schönste für mich war, wie die Mannschaft nach dem Rückstand zurückgekommen ist. Wenn sie mit dieser Leidenschaft spielen, dann gehören wir immer zu den Favoriten – bei jedem Turnier“, formulierte Rekordnationalspieler Lothar Matthäus großspurig doch nicht unbegründet. Gerade offensiv scheint die Mannschaft so gut aufgestellt wie wohl seit Jahrzehnten nicht. Die Temporaketen Gnabry und Havertz, Müller, dazu die offensiv denkenden Gosens, Kroos, Gündogan, Kimmich – wie soll man da keine Tore schießen?
Keine Frage: Dieser Sieg, diese Leistung macht Hoffnung. Auch wenn die Portugiesen sicher nicht ihren besten Tag erwischt haben, hätten wohl nur die größten Optimisten der deutschen Nationalelf eine derart beeindruckende Vorstellung gegen den amtierenden Europameister zugetraut. Es war nicht nur ein Sieg für die angeschlagene Psyche der Mannschaft, es war auch ein großer Erfolg für Bundestrainer Löw. „Das 4:2 war definitiv ein Sieg für Jogi“, meinte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger über seinen ExCoach. Trotz aller Kritik ist der seinem System auch nach der enttäuschenden Auftaktpleite gegen Frankreich treu geblieben und steht nun wieder wie der große Macher vergangener Jahre da – zumindest für den Moment. Denn es ist Vorsicht geboten. Auch wenn die DFB-Elf mit das beste Spiel
Und ein Sané, Werner, Volland, Musiala sind da noch nicht einmal mitgerechnet. Wenn die Jungs von der Leine gelassen werden und spielen dürfen, dann kann wirklich was in Richtung EM-Titel gehen – und vielleicht ganz im Sinne von Loddar sogar mehr. Sollte der Sieg als Initialzündung für das WirGefühl fungieren, als Booster für den Willen und das Potenzial, dann ist das Team vielleicht sogar auf Jahre hinaus unschl... Ach, lassen wir das. Die Zukunft unter Hansi Flick wird es zeigen. Denn dass an dieser Stelle so wenig von Joachim Löw geredet wird, ist durchaus Absicht. Scheint der Sieg in Teilen nur das zu bestätigen, was böse Zungen schon über 2014 behaupten: Deutschland sei nicht dank, sondern trotz Löw Weltmeister geworden.
„Ein Booster für den Willen und das Potenzial.“
dieser EM gezeigt hat, war es eben auch nur ein Vorrundenspiel. Vom Minimalziel Halbfinale ist die Mannschaft trotz aufsteigender Form noch weit entfernt. Und wenn sie die defensiven Schwächen, die auch im zweiten EMSpiel unübersehbar waren – sei es die erneute Anfälligkeit bei Kontern oder die Unordnung bei gegnerischen Standards – nicht abgestellt bekommt, wird sie dieses auch nicht erreichen. Auch Löw muss offen für Veränderungen bleiben, denn die kommenden Gegner werden sich nun sicher auf die offensiven Außenspieler einstellen. Es heißt also: Auf dem Boden bleiben. Die berechtigte Euphorie darf nicht über die weiter offenen Baustellen hinwegtäuschen.
„Euphorie darf nicht über Schwächen hinwegtäuschen.“