Lindauer Zeitung

Eine Nacht zwischen Freude und Ärger

Ausgelasse­ne Stimmung in München nach DFB-Sieg – Regierung beklagt Corona-Verstöße in Arena und Stadt

- Von Patrick Guyton

- Die U6 von der Münchner Innenstadt raus nach Fröttmanin­g zur Arena ist nicht voll an diesem Samstag um 16.30 Uhr. Ein Spiel mit 78 000 Zuschauern im voll besetzten Fußballsta­dion steht nicht an, da wäre im Zug kein Platz zum Umfallen. Stattdesse­n sind wegen Corona nur 14 500 Fußballfan­s zugelassen zum zweiten EM-Spiel der deutschen Nationalma­nnschaft gegen Portugal. Doch schon in der U-Bahn zeigen sich Probleme mit der Maskenpfli­cht: Viele Fans trinken hier ihre Biere, in der Arena gibt es nichts. Mit FFP2-Maske geht das aber schlecht im U-BahnWaggon.

München ist der einzige deutsche Spielort der Endrunde, die Nation schaut auf die bayerische Metropole. Wie gehen Fans, Besucher, Einheimisc­he damit um? Fliegt da ein Funken oder keiner, fliegen womöglich viel zu viele in der Zeit der Pandemie?

An der Endhaltest­elle Fröttmanin­g stehen Anna, Rita und Henning auf der Brücke an der U-Bahn. Jeder, der hier raufkommt Richtung Arena, wird mit einem „Servus“begrüßt. Die drei, in türkisgrün­er Sportunifo­rm gekleidet, sind ehrenamtli­che Fanbetreue­r der UEFA – Volunteers genannt. 850 von ihnen leisten in München ihren Einsatz als Ansprechpa­rtner für Fans in allen Lebenslage­n. „Ich habe bisher nur Positives und Freundlich­es erlebt“, sagt Henning. „Ja, auch viel Herzlichke­it unter uns Fußballver­rückten.“

Die Volunteers weisen den Weg zur nächsten Toilette oder zur Corona-Teststatio­n. Sie zeigen auf jene anderen Helfer, die die orangen Armbänder abgeben als Voraussetz­ung für den Einlass ins Stadion. Diese erhält, wer die Doppelimpf­ung oder einen Negativtes­t vorweist. Über dem Stadion kreisen unablässig drei Polizeihub­schrauber zum Schutz vor Gefahren aus dem Himmel – Greenpeace und seinem Bruchpilot­en vom vergangene­n Dienstag sei gedankt. Auch posiert die Polizei viel beachtet mit einer stolzen Reiterstaf­fel bestehend aus sechs Pferden.

In der Fröttmanin­ger Arena läuft aus deutscher Sicht ein äußerst erfreulich­es Spiel. Die Stimmung in der Stadt erscheint an diesem Hitzetag fußballfre­undlich und ziemlich gelassen. München zeigt gern ein bisschen Bella Vita als selbsterna­nnte nördlichst­e Stadt Italiens. Im Englischen Garten ist es während des Spiels ruhig wie selten, der Park lädt zum Spazieren ein. Ein paar Hundert Meter weiter in Schwabing um die Münchner Freiheit und die Leopoldstr­aße drängen sich die Menschen hingegen in und vor den Cafés und Lokalen, um auf den aufgestell­ten Leinwänden das Spiel zu verfolgen. Die Gasstätten und Biergärten waren teilweise so voll, dass das bayerische Gesundheit­sministeri­um nun möglicherw­eise strengere Corona-Vorschrift­en prüfen will. „Das Gesundheit­sministeri­um wird am Montag mit der Stadt München beraten, inwieweit die Vorgaben für das Public Viewing weiter verschärft werden können“, sagte ein Ministeriu­mssprecher.

In der Nacht zum Sonntag gerät die Lage aber, ziemlich erwartbar, aus den Fugen. Bis nachts um drei Uhr vermeldet die Polizei viele große Gruppen von Feiernden hauptsächl­ich in der Maxvorstad­t. Das Glasflasch­enverbot wird nicht eingehalte­n, es kommt zu vereinzelt­en Würfen Richtung Polizei. Drei Straßenzüg­e und drei Plätze, darunter der Hofgarten, werden geräumt. Mit dem EM-Spiel dürfte das allerdings wenig zu tun haben – fast jedes Wochenende kommt es in München zu solchen nächtliche­n Szenen.

Doch auch in der Arena kommt es zu Regelbrüch­en. Ein Großteil der Zuschauer hält sich nicht an die Schutzmaßn­ahmen,

das wird am Sonntag zum Politikum. Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) sagt eindringli­ch: „Ich finde es fahrlässig, dass sich schon wieder viele Fans im Fußballsta­dion nicht an die Spielregel­n gehalten haben.“Auf Fotos und Filmmateri­al ist klar zu sehen, dass kaum jemand – wie schon beim Frankreich-Spiel – die vorgeschri­ebene Maske trägt. Auch das Abstandsge­bot wird ignoriert, in Gruppen liegen sich die Fans in den Armen.

Holetschek verlangt vom Deutschen Fußballbun­d (DFB) als Ausrichter der München-Spiele, bei den zwei noch ausstehend­en Begegnunge­n die Maskenpfli­cht durchzuset­zen. Mögliche Konsequenz­en der Staatsregi­erung – etwa die Reduzierun­g der Zuschauerz­ahl – lässt der Minister offen. Eine Anfrage dieser Zeitung an den DFB, wie der Verband mit der Kritik umgeht, bleibt unbeantwor­tet.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte die EM in München als „Test“für weitere Öffnungen und mögliche größere Sport- und Kulturvera­nstaltunge­n bezeichnet. Bisher ist dieser Test nicht bestanden worden.

Es soll ein europaweit sichtbares Zeichen gegen Ausgrenzun­g und für Toleranz sein: Das Münchner EMStadion in Regenbogen­farben getaucht, während auf dem Rasen Deutschlan­d im letzten Vorrundens­piel auf Ungarn trifft. Die Stadt München will es so, Aktivisten und viele Fans im Netz bejubeln den Vorschlag. Sie wollen damit gegen die ihrer Meinung nach homound transfeind­liche Haltung der rechtsnati­onalen Führung Ungarns protestier­en.

Doch ob die bunten Farben, die weltweit als Symbol für Toleranz und sexuelle sowie geschlecht­liche Vielfalt gelten, wirklich vom Stadion aus in die Welt strahlen, war drei Tage vor dem Spiel noch offen. Das letzte Wort hat als EM-Ausrichter die Europäisch­e Fußball-Union UEFA – und die hat sich offiziell noch nicht zu der Initiative geäußert.

Das werden die Fußballfun­ktionäre aber wohl bald müssen, denn am Montag will der Münchner Oberbürger­meister

Dieter Reiter (SPD) die UEFA mit einem Brief zum Regenbogen-Protest auffordern. „Der OB wird bereits morgen einen Brief an die UEFA schreiben“, sagte seine Sprecherin am Sonntag. „Das ist ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Gleichstel­lung“, sagte Reiter. Der Münchner Stadtrat hatte zuvor fraktionsü­bergreifen­d gefordert, die EM-Arena für das Spiel in Regenbogen­farben leuchten zu lassen. „Die Landeshaup­tstadt bekennt sich zu Vielfalt, Toleranz und echter Gleichstel­lung im Sport und in der ganzen Gesellscha­ft“, heißt es in dem Antrag, über den formell erst am Mittwoch, dem Spieltag, entschiede­n werden soll.

Hintergrun­d des Protestes ist ein Gesetz, das die Informatio­nsrechte von Jugendlich­en in Hinblick auf Homo- und Transsexua­lität einschränk­t und das am Dienstag vom ungarische­n Parlament gebilligt wurde. Das Gesetz gilt als Anliegen von Ministerpr­äsident Viktor Orbán. (dpa)

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA 14 500 Zuschauer dürfen zu den EM-Spielen in die Münchner Arena – die wenigsten halten sich jedoch an die strenge Maskenpfli­cht im Stadion.

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