Eine Nacht zwischen Freude und Ärger
Ausgelassene Stimmung in München nach DFB-Sieg – Regierung beklagt Corona-Verstöße in Arena und Stadt
- Die U6 von der Münchner Innenstadt raus nach Fröttmaning zur Arena ist nicht voll an diesem Samstag um 16.30 Uhr. Ein Spiel mit 78 000 Zuschauern im voll besetzten Fußballstadion steht nicht an, da wäre im Zug kein Platz zum Umfallen. Stattdessen sind wegen Corona nur 14 500 Fußballfans zugelassen zum zweiten EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal. Doch schon in der U-Bahn zeigen sich Probleme mit der Maskenpflicht: Viele Fans trinken hier ihre Biere, in der Arena gibt es nichts. Mit FFP2-Maske geht das aber schlecht im U-BahnWaggon.
München ist der einzige deutsche Spielort der Endrunde, die Nation schaut auf die bayerische Metropole. Wie gehen Fans, Besucher, Einheimische damit um? Fliegt da ein Funken oder keiner, fliegen womöglich viel zu viele in der Zeit der Pandemie?
An der Endhaltestelle Fröttmaning stehen Anna, Rita und Henning auf der Brücke an der U-Bahn. Jeder, der hier raufkommt Richtung Arena, wird mit einem „Servus“begrüßt. Die drei, in türkisgrüner Sportuniform gekleidet, sind ehrenamtliche Fanbetreuer der UEFA – Volunteers genannt. 850 von ihnen leisten in München ihren Einsatz als Ansprechpartner für Fans in allen Lebenslagen. „Ich habe bisher nur Positives und Freundliches erlebt“, sagt Henning. „Ja, auch viel Herzlichkeit unter uns Fußballverrückten.“
Die Volunteers weisen den Weg zur nächsten Toilette oder zur Corona-Teststation. Sie zeigen auf jene anderen Helfer, die die orangen Armbänder abgeben als Voraussetzung für den Einlass ins Stadion. Diese erhält, wer die Doppelimpfung oder einen Negativtest vorweist. Über dem Stadion kreisen unablässig drei Polizeihubschrauber zum Schutz vor Gefahren aus dem Himmel – Greenpeace und seinem Bruchpiloten vom vergangenen Dienstag sei gedankt. Auch posiert die Polizei viel beachtet mit einer stolzen Reiterstaffel bestehend aus sechs Pferden.
In der Fröttmaninger Arena läuft aus deutscher Sicht ein äußerst erfreuliches Spiel. Die Stimmung in der Stadt erscheint an diesem Hitzetag fußballfreundlich und ziemlich gelassen. München zeigt gern ein bisschen Bella Vita als selbsternannte nördlichste Stadt Italiens. Im Englischen Garten ist es während des Spiels ruhig wie selten, der Park lädt zum Spazieren ein. Ein paar Hundert Meter weiter in Schwabing um die Münchner Freiheit und die Leopoldstraße drängen sich die Menschen hingegen in und vor den Cafés und Lokalen, um auf den aufgestellten Leinwänden das Spiel zu verfolgen. Die Gasstätten und Biergärten waren teilweise so voll, dass das bayerische Gesundheitsministerium nun möglicherweise strengere Corona-Vorschriften prüfen will. „Das Gesundheitsministerium wird am Montag mit der Stadt München beraten, inwieweit die Vorgaben für das Public Viewing weiter verschärft werden können“, sagte ein Ministeriumssprecher.
In der Nacht zum Sonntag gerät die Lage aber, ziemlich erwartbar, aus den Fugen. Bis nachts um drei Uhr vermeldet die Polizei viele große Gruppen von Feiernden hauptsächlich in der Maxvorstadt. Das Glasflaschenverbot wird nicht eingehalten, es kommt zu vereinzelten Würfen Richtung Polizei. Drei Straßenzüge und drei Plätze, darunter der Hofgarten, werden geräumt. Mit dem EM-Spiel dürfte das allerdings wenig zu tun haben – fast jedes Wochenende kommt es in München zu solchen nächtlichen Szenen.
Doch auch in der Arena kommt es zu Regelbrüchen. Ein Großteil der Zuschauer hält sich nicht an die Schutzmaßnahmen,
das wird am Sonntag zum Politikum. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagt eindringlich: „Ich finde es fahrlässig, dass sich schon wieder viele Fans im Fußballstadion nicht an die Spielregeln gehalten haben.“Auf Fotos und Filmmaterial ist klar zu sehen, dass kaum jemand – wie schon beim Frankreich-Spiel – die vorgeschriebene Maske trägt. Auch das Abstandsgebot wird ignoriert, in Gruppen liegen sich die Fans in den Armen.
Holetschek verlangt vom Deutschen Fußballbund (DFB) als Ausrichter der München-Spiele, bei den zwei noch ausstehenden Begegnungen die Maskenpflicht durchzusetzen. Mögliche Konsequenzen der Staatsregierung – etwa die Reduzierung der Zuschauerzahl – lässt der Minister offen. Eine Anfrage dieser Zeitung an den DFB, wie der Verband mit der Kritik umgeht, bleibt unbeantwortet.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die EM in München als „Test“für weitere Öffnungen und mögliche größere Sport- und Kulturveranstaltungen bezeichnet. Bisher ist dieser Test nicht bestanden worden.
Es soll ein europaweit sichtbares Zeichen gegen Ausgrenzung und für Toleranz sein: Das Münchner EMStadion in Regenbogenfarben getaucht, während auf dem Rasen Deutschland im letzten Vorrundenspiel auf Ungarn trifft. Die Stadt München will es so, Aktivisten und viele Fans im Netz bejubeln den Vorschlag. Sie wollen damit gegen die ihrer Meinung nach homound transfeindliche Haltung der rechtsnationalen Führung Ungarns protestieren.
Doch ob die bunten Farben, die weltweit als Symbol für Toleranz und sexuelle sowie geschlechtliche Vielfalt gelten, wirklich vom Stadion aus in die Welt strahlen, war drei Tage vor dem Spiel noch offen. Das letzte Wort hat als EM-Ausrichter die Europäische Fußball-Union UEFA – und die hat sich offiziell noch nicht zu der Initiative geäußert.
Das werden die Fußballfunktionäre aber wohl bald müssen, denn am Montag will der Münchner Oberbürgermeister
Dieter Reiter (SPD) die UEFA mit einem Brief zum Regenbogen-Protest auffordern. „Der OB wird bereits morgen einen Brief an die UEFA schreiben“, sagte seine Sprecherin am Sonntag. „Das ist ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Gleichstellung“, sagte Reiter. Der Münchner Stadtrat hatte zuvor fraktionsübergreifend gefordert, die EM-Arena für das Spiel in Regenbogenfarben leuchten zu lassen. „Die Landeshauptstadt bekennt sich zu Vielfalt, Toleranz und echter Gleichstellung im Sport und in der ganzen Gesellschaft“, heißt es in dem Antrag, über den formell erst am Mittwoch, dem Spieltag, entschieden werden soll.
Hintergrund des Protestes ist ein Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homo- und Transsexualität einschränkt und das am Dienstag vom ungarischen Parlament gebilligt wurde. Das Gesetz gilt als Anliegen von Ministerpräsident Viktor Orbán. (dpa)