„Friedensprozess in Libyen ist so weit wie noch nie“
CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter über ausländische Söldner und deutsche Interessen
- Seit Oktober vergangenen Jahres herrscht Waffenruhe in Libyen – aber von Stabilität ist das Land nach wie vor weit entfernt. Darum kommen an diesem Mittwoch die Konfliktparteien und ihre jeweiligen ausländischen Verbündeten zum zweiten Mal in Berlin zusammen. Wie beim ersten Treffen im Januar vergangenen Jahres unterstützt Deutschland die Vereinten Nationen dabei, den Friedensprozess in dem nordafrikanischen Land voranzubringen. Noch immer gibt es allerdings ausländische Kräfte, die in dem Land Milizen unterstützen und das UN-Waffenembargo umgehen, kritisiert der Ellwanger CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (Foto: Imago Images), Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss – und erläutert, welche Interessen Deutschland und die Regierung in Tripolis teilen.
Herr Kiesewetter, im März ist eine neue Übergangsregierung ins Amt gekommen, im Dezember sollen Wahlen stattfinden. Wie stabil schätzen Sie die Lage aktuell ein?
Trotz aller Herausforderungen ist der Friedensprozess in Libyen so weit wie noch nie. Nach fast zehn Jahren Krieg schweigen seit Oktober 2020 die Waffen. Das ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung für den weiteren politischen Dialog. Es verschafft auch der leidgeplagten Zivilbevölkerung endlich wieder mehr Sicherheit. Und es macht Hoffnung auf eine nachhaltig stabile Friedensordnung. Die Übergangsregierung wird international unterstützt, doch im Land leidet sie unter schwachem Rückhalt – und sie steht vor immensen Herausforderungen. Libyen ist tief gespalten und politisch zersplittert. Die Rivalitäten setzen sich ungebrochen fort, aber immerhin werden die Kämpfe nun politisch wie diplomatisch und nicht mehr militärisch geführt. Die Übergangsregierung muss sich jetzt auf die Organisation der Wahl im Dezember fokussieren.
Bei der ersten Libyen-Konferenz im Januar 2020 einigten sich die Beteiligten unter anderem darauf, dass das Waffenembargo gegen Libyen auch tatsächlich durchgesetzt wird. Erst im März sagten UN-Experten, das Embargo werde umfangreich und unverhohlen umgangen. Teilen Sie die Einschätzung?
Bei der ersten UN-geführten LibyenKonferenz haben sich interne und externe Konfliktparteien auf einen detaillierten Fahrplan zur Konfliktlösung geeinigt. Die große Herausforderung liegt aber in der Umsetzung. Es gibt Regierungen, die offensichtlich gegen Verabredungen verstoßen, die sie in Berlin unterzeichnet haben. Sie ermöglichen weitere Waffenlieferungen, sorgen nicht für den Abzug ausländischer Söldner, unterstützen weiterhin finanziell ihre lokalen Interessenvertreter. Die Bundesregierung muss sehr klarmachen, dass es im gemeinsamen Interesse ist, bei der Umsetzung des Abkommens weiterzukommen. Wer dem nicht Folge leistet, muss mit Konsequenzen rechnen, auch mit internationalen Sanktionen. Es wird ein wichtiges Ziel der zweiten Konferenz sein, nun zur konkreten Umsetzung aller Punkte des Fahrplans zu kommen.
Zu den Staaten, die das Embargo offenkundig umgehen, gehört der Nato-Partner Türkei. Was folgt daraus?
Die Türkei ist ein bedeutsamer Akteur, der natürlich auch in Libyen und in seiner regionalen Nachbarschaft Eigeninteressen verfolgt. Es ist sinnvoll, die Kontrolle des Waffenembargos im Rahmen der EUMission IRINI nicht nur auf den Seeweg, sondern stärker auch auf den
Landweg zu fokussieren – und damit auf alle Konfliktparteien gleichermaßen. Hier gibt es sicherlich noch Nachbesserungsbedarf. Die Beteiligung der Türkei an den Libyen-Verhandlungen hat einen wichtigen Beitrag zu den bisherigen Erfolgen geleistet. Zugleich kann die EU nicht akzeptieren, wenn die Türkei die Präsenz von Söldnern damit zu begründen versucht, dass sie auf Grundlage von Abkommen mit der Regierung in Tripolis vor Ort seien.
Ein zentrales Hindernis im Friedensprozess in Libyen ist die hohe Zahl an ausländischen Söldnern – darunter Russen, Türken, Syrer, Tschader und Sudanesen. Wie kann man diesem Problem Herr werden?
Dass ausländische Kräfte mit informellen Schattenarmeen agieren, ist eines der größten Probleme in Libyen. Das Kalkül dahinter ist ja, mittels militärischer Zugewinne eine verbesserte Verhandlungsbasis für den politischen Prozess zu erzwingen. Schließlich wissen alle Beteiligten, dass die Lösung am Ende nur durch Verhandlungen erreicht werden kann. Leider haben wir Europäer einen Beitrag zu dieser Dynamik geleistet, indem wir durch mangelnde Einigkeit lange die Tür für den unverhältnismäßigen Einfluss Dritter geöffnet haben. Die Zusammenarbeit mit Frankreich und Italien hat sich inzwischen aber sehr verbessert. Die Bundesregierung führt bereits im Hintergrund Gespräche mit den ausländischen Unterstützern der Söldner. Auch die stärkere Unterstützung des US-Präsidenten Biden wird hier entscheidend helfen.
Während der Pandemie sind viele Migranten aus Subsahara-Afrika in Libyen gestrandet. Nun nimmt die Zahl derjenigen wieder zu, die auf Boote in Richtung Europa steigen. Ein willkommenes Druckmittel der libyschen Regierung gegen Europa?
Deutschland hat ein großes Interesse daran, dass der illegale Menschenhandel und das Schmugglerwesen in Libyen unterbunden werden. Auch in Libyen hat man kein Interesse daran, Anlaufstelle und Transitroute für illegale Migration aus dem Süden zu sein. Insofern haben wir hier gemeinsame Interessen. Eine konsequente und der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechende Rückführung illegaler Migranten verbunden mit legalen Migrationsmöglichkeiten nach Europa würde dieses Vorgehen eindämmen. Vor allem, wenn die libysche Übergangsregierung die EU einladen würde, sich um die Migranten und Flüchtlingslager in Libyen zu kümmern. Das würde auch das kriminell gesteuerte und für die Schlepper hoch lukrative, aber absolut menschenverachtende Vorgehen eindämmen.
Trotz scharfer Kritik von Menschenrechtlern unterstützt die EU die libysche Küstenwache mit Geld und Trainingsprogrammen. Wälzen die Europäer unliebsame Arbeit auf eine höchst zweifelhafte Truppe ab?
Anders als noch bei der Operation Sophia konnte unter dem neuen Mandat der EU-Irini-Mission noch keine Vereinbarung zur Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine getroffen werden. Ziel einer solchen Ausbildung ist der Kapazitätsaufbau, aber auch die Befähigung zur Seenotrettung und Ausbildung im Völkerrecht. Bei Sophia zeigten sich bereits Erfolge. Während die libysche Küstenwache 2016 unter fünf Prozent der Seenotrettungsfälle übernahm, hat sie Anfang 2019 etwa 50 Prozent der Seenotrettungen durchgeführt und so Menschenleben gerettet. Schon damals haben Europol und Interpol potenzielle Teilnehmer umfassend auf Sicherheitsbedenken überprüft. Dass wir es vor Ort teilweise mit schwierigen Partnern zu tun haben, darf uns nicht dazu veranlassen, die Hände in den Schoß zu legen. Wir müssen alles dafür tun, das Bestmögliche aus der Situation herauszuholen.