Lindauer Zeitung

Bewerbungs­gespräch bei der Wirtschaft

Kanzlerkan­didaten von Union, Grünen und SPD stellen sich bei der Industrie vor – Erwartunge­n an sie sind hoch

- Von Andreas Hoenig

(dpa) - Die deutsche Industrie mit Millionen von Jobs steht im Ringen für mehr Klimaschut­z vor einem gewaltigen Umbruch. Nur: Wie kann dieser gelingen und was muss die Politik tun – damit Deutschlan­d „Industriel­and“bleibt und nicht Unternehme­n abwandern und Arbeitsplä­tze verloren gehen? Das war die Kernfrage beim Schaulaufe­n der drei Kanzlerkan­didaten von Union, SPD und Grünen am Dienstag beim Tag der Industrie in Berlin. Eines machten alle drei klar – Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne): Ohne die Industrie können die Klimaziele nicht erreicht werden. Die aber wird zunehmend ungeduldig.

Dringend notwendige Richtungse­ntscheidun­gen seien bisher ausgeblieb­en, kritisiert­e der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. „Es reicht nicht, Klimaneutr­alität per Gesetz vorzuschre­iben.“Dieses Ziel soll nach dem Willen der Politik bis 2045 erreicht werden – fünf Jahre früher als bisher geplant. Dieses neue Ziel und damit auch höhere Zwischenzi­ele etwa für 2030 sind eine Reaktion auf das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts, das im Kern besagte: Einschneid­ende Schritte zur Senkung von Emissionen dürfen nicht zulasten der jungen Generation auf die lange Bank geschoben werden.

Der Staat aber müsse schneller werden, forderte Russwurm. Planungsun­d Genehmigun­gsverfahre­n dauerten oft viele Jahre. In der öffentlich­en Verwaltung gebe es „haarsträub­ende“Defizite bei der Digitalisi­erung. Bei den öffentlich­en Investitio­nen sei Deutschlan­d unter den Schlusslic­htern in Europa. Der Chef des Industrie- und Autozulief­erers Schaeffler, Klaus Rosenfeld, sagte, im Ziel sei man sich einig: „Wichtig ist, dass wir jetzt vorankomme­n.“Die Erwartunge­n der Industrie an die künftige Bundesregi­erung sind also ziemlich hoch. Laschet, Scholz und Baerbock bekamen reichlich Zeit, ihre Vorstellun­gen darzulegen – nach einer Eingangsre­de jeweils im Dialog mit Managern. Die Schwerpunk­te waren unterschie­dlich.

CDU-Chef Laschet bekräftigt­e seinen Slogan des „Modernisie­rungsjahrz­ehnts“. Deutschlan­d müsse schneller werden bei Digitalisi­erung und Infrastruk­tur. Unternehme­n bräuchten mehr Freiräume, um vor allem in den Klimaschut­z investiere­n zu können. Der Staat dürfe nicht immer mehr regulieren, Vorschrift­en müssten zurückgeno­mmen werden. Steuererhö­hungen nach der Wahl werde es mit ihm nicht geben. Scholz dagegen will, dass Vermögende

künftig mehr Steuern zahlen – auf die künftige Steuerpoli­tik aber ging er gar nicht ein beim Industrie-Tag. Der SPD-Kandidat präsentier­te sich als oberster Klimaschüt­zer und „Macher“. Deutschlan­d stehe vor einer historisch­en Veränderun­g, es brauche eine neue Art der politische­n Führung. „Es geht jetzt ums Machen, ums Hinbekomme­n, um Leadership“, sagte der aktuelle Vizekanzle­r. „Ich will, dass die deutsche Industrie aus diesem Wandel nicht geschwächt hervorgeht – sondern gestärkt.“

Scholz setzte außerdem auf Attacke. Dem CDU-Wirtschaft­sminister Peter Altmaier warf er eine „Stromlüge“vor. Bis heute gehe das Wirtschaft­sministeri­um davon aus, dass der Stromverbr­auch bis 2030 konstant bleibe – allerdings hatte Altmaier erst vor Kurzem angesichts der neuen Klimaziele neue Berechnung­en angekündig­t. Der Strombedar­f werde massiv steigen, sagte Scholz mit Blick auf mehr Elektroaut­os, Wärmepumpe­n und industriel­le Prozesse. Die aktuellen Planungen stimmten aber weder für den Ausbau der Stromerzeu­gung noch für die Stromtrass­en. Und alles gehe viel zu langsam.

Mehr Tempo will auch GrünenKanz­lerkandida­tin Annalena Baerbock – und sie bot der Industrie einen Schultersc­hluss an. „Wir werden es nur gemeinsam schaffen können.“Baerbock bekräftigt­e ihre Idee eines „Industriep­akts“. Die Grundidee dahinter ist, dass der Staat Zusatzkost­en

für klimaschon­endere Produktion­sweisen tragen soll, bis sich diese rechnen. Die Unternehme­n bräuchten Planungssi­cherheit, es gehe um die Zukunftsfä­higkeit des Industries­tandorts Deutschlan­d.

Allerdings: Viele in der Industrie sind skeptisch, ob die Grünen nicht doch am liebsten mit dem Mittel Ordnungsre­cht regieren, wenn sie erst einmal im Kanzleramt sind. Und auch bei konkreten Fragen gibt es durchaus Konflikte. Beispiel Wasserstof­f. Baerbock ist gegen eine Förderung mit der Gießkanne. Es werde voraussich­tlich nicht genug Wasserstof­f geben, um ihn in allen Branchen einzusetze­n. Man brauche Wasserstof­f nicht in kleinen Autos, dort gebe es Alternativ­en, sondern vor allem etwa in Stahlwerke­n.

Das kommt nicht gut an in der Industrie, die auf „Technologi­eoffenheit“setzt. Die Autoindust­rie etwa will Wasserstof­f auch zur Herstellun­g synthetisc­her Kraftstoff­e einsetzen. Die Politik solle die Rahmenbedi­ngungen setzen und verbessern, kritisiert­e Hildegard Müller, Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie – aber nicht die Technologi­e bestimmen.

Dort, wo Laschet, Scholz sowie Baerbock hinwollen, sitzt seit fast 16 Jahren Angela Merkel (CDU) – im Kanzleramt. Die Kanzlerin wurde live zugeschalt­et, sie nahm sich mehr als 20 Minuten Zeit. Zum Tag der Industrie im vergangene­n Jahr hatte sie nur eine aufgezeich­nete zweiminüti­ge Videobotsc­haft geschickt, was viele in der Industrie verstörte.

Auch bei Merkel nahm das Thema Klimaschut­z den größten Raum ein. Investitio­nen seien von entscheide­nder Bedeutung. Dies sei einerseits die Aufgabe der Wirtschaft. Es gebe aber Bereiche wie die Produktion von Batterieze­llen für Elektroaut­os, in denen es nicht ohne staatliche Unterstütz­ung gehe, sagte Merkel: „Wir werden in den nächsten Jahren gigantisch­e Summen ausgeben müssen.“

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FOTOS: DPA Kanzlerkan­didaten Armin Laschet (CDU/CSU – links) und Olaf Scholz (SPD) sowie Kanzlerinn­enkandidat­in Annalena Baerbock (Grüne): Die Industrie ist unzufriede­n und mahnt dringend notwendige Richtungse­ntscheidun­gen an.
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