Lindauer Zeitung

Wahlkampfg­etöse und echte Empörung

Abgeordnet­e im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss ziehen Bilanz

- Von Martina Herzog

(dpa) - Ein Vierteljah­r vor der Bundestags­wahl ziehen die Abgeordnet­en im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss Bilanz – oder vielmehr: mehrere Bilanzen. CDU, CSU und SPD tragen den Abschlussb­ericht mit, daneben gibt es ein gemeinsame­s Sondervotu­m der Opposition­sparteien FDP, Linke und Grüne und ein eigenes der AfD.

Gemeinsam ist allen die Entrüstung über die mutmaßlich­en Betrügerei­en des Zahlungsdi­enstleiste­rs in Milliarden­höhe und die peinliche Frage, wie das das Unternehme­n damit jahrelang durchkam. Der Obmann der Linksfrakt­ion im Ausschuss, Fabio De Masi zeigte sich entgeister­t über „diese Milliarden­lüge, diese Illusionsf­abrik Wirecard“.

Wie schon zum Auftakt im Oktober lädt die Union einen wesentlich­en Teil der Verantwort­ung beim Finanzmini­sterium von SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz ab, bei dem die Finanzaufs­icht Bafin angesiedel­t ist. Die SPD wiederum verweist auf die Rolle der Wirtschaft­sprüfer, die Wirecard jahrelang tadellose Bilanzen bescheinig­ten – für die Aufsichtsb­ehörde Apas ist das CDU-geführte Wirtschaft­sministeri­um zuständig.

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im vergangene­n Sommer eingestand­en, dass in der Bilanz aufgeführt­e 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft geht von einem „gewerbsmäß­igen Bandenbetr­ug“aus. Der Bilanzskan­dal hatte für hohe Schäden bei Anlegern gesorgt, weil die Aktie abgestürzt war. Der Untersuchu­ngsausschu­ss sollte untersuche­n, ob staatliche Aufsichtsb­ehörden und die Bundesregi­erung zu wenig unternomme­n haben, um Verdachtsf­ällen bei Wirecard früher und entschiede­ner nachzugehe­n.

Dass das Parteibuch bei ihren Schlussfol­gerungen aus dem Wirecard-Skandal eine Rolle gespielt haben könnte, wiesen Union und SPD weit von sich. „Es muss auch möglich sein, politische Verantwort­ung zu benennen, ohne dass einem direkt Wahlkampfg­etöse unterstell­t wird“, sagte der Unionsobma­nn im Ausschuss, Matthias Hauer (CDU). „Die politische Verantwort­ung trägt Olaf Scholz und das Bundesfina­nzminister­ium.“

Das hatte SPD-Ausschussm­itglied Cansel Kiziltepe wohl gehört, die in einer späteren Pressekonf­erenz zu den Vorwürfen sagte: „Ich halte das für Wahlkampfg­etöse der Union. Olaf Scholz trägt keine politische Verantwort­ung für den WirecardSk­andal.“Der Fokus ihrer Parteikoll­egen auf die Rolle der Wirtschaft­sprüfer, die insbesonde­re vom Unternehme­n EY kamen, sei „kein politsches Kalkül“gewesen, sondern entspringe der Überzeugun­g, dass hier der Kern des Skandals liege.

„Den Bilanzbetr­ug hätte EY feststelle­n können und müssen“, unterstric­h Kiziltepe. Dass die Prüfer die Bilanzen von Wirecard jahrelang absegneten, habe das Vertrauen in das Unternehme­n bestärkt. Nicht nur die Grünen-Obfrau Lisa Paus vermisste bei den Prüfern von EY „die kritische Grundhaltu­ng“. Noch am Dienstag scheiterte ein Ex-Prüfer vor dem Verwaltung­sgericht Berlin mit dem Versuch, die Veröffentl­ichung von Passagen zu verhindern, in denen sein Handeln kritisch betrachtet wurde.

Einigkeit über Parteigren­zen hinweg gab es beim so genannten Leerverkau­fsverbot, das die Bafin im Februar 2019 ausgesproc­hen hatte. Damit verbot sie Spekulatio­nen auf fallende Wirecard-Kurse. Der Bafin wird deshalb vorgeworfe­n, bei Aktionären den falschen Eindruck erweckt zu haben, bei Wirecard sei alles in Ordnung gewesen, obwohl es bereits Berichte über Unregelmäß­igkeiten gegeben hatte. „Das Leerverkau­fsverbot war ein Fehler“, räumte der SPD-Obmann im Ausschuss, Jens Zimmermann ein – zumindest rückblicke­nd sei das klar.

Konsequenz­en hatte die Affäre. So bekommt die Bafin zusätzlich­e Befugnisse, und Vorschrift­en für Abschlussp­rüfer werden verschärft. Nun werden die Zuständigk­eiten für die Bilanzkont­rolle bei der Bafin gebündelt. Mitarbeite­r der Bafin dürfen selbst nicht mehr mit bestimmten Finanzprod­ukten handeln. Das bisherige zweistufig­e Verfahren mit der Deutschen Prüfstelle für Rechnungsl­egung wird vereinfach­t. Zudem müssen Abschlussp­rüfer spätestens nach fünf Jahren wechseln, damit sie nicht betriebsbl­ind werden.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Untersuchu­ngsausschu­ss mit Kanzlerin: Auch Angela Merkel musste im Laufe der Untersuchu­ngen vor den Abgeordnet­en aussagen.

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