Lindauer Zeitung

Nur noch gelegentli­ch ins Büro

Homeoffice-Pflicht endet wohl Ende Juni – Viele Unternehme­n setzen aber weiter auf mobiles Arbeiten

- Von Ronja Straub

- Kreditvert­räge prüfen, Aktien verkaufen, Sparpläne erklären – und das alles vom Küchentisc­h aus. Aufgaben, die die Mitarbeite­r der Sparkasse Bodensee sonst in der Hauptstell­e in Friedrichs­hafen oder in den umliegende­n Filialen erledigt haben, machen sie seit mehr als einem Jahr von zu Hause aus. Das soll auch so bleiben. Anstatt nach der Krise den Weg zurück ins Büro zu wählen, will die Bank ihren Beschäftig­ten sogar noch häufiger mobiles Arbeiten ermögliche­n.

„Es geht darum, dass das Ergebnis da ist. Wo die Mitarbeite­nden es erledigt haben, ist egal“, sagt Wolfgang Aich, Sprecher der Sparkasse Bodensee. Er ist großer Fan des Homeoffice und hat auch Argumente dafür. „Ich persönlich arbeite zu Hause effiziente­r“, sagt er. Vielen Kollegen gehe es genauso. „Man hat flexiblere Arbeitszei­ten, kann sich auch mal zurückzieh­en und konzentrie­rter an einer Sache arbeiten“, erläutert Aich. Führungskr­äfte würden sich über schnelle Rückgaben auch bei komplexere­n Aufgaben freuen.

Die Arbeitswel­t ist im Wandel – und die Pandemie war der Katalysato­r dafür. Als während der ersten Welle die Infektions­zahlen stiegen, schickten Unternehme­n ihre Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen von heute auf morgen in die Heimarbeit. Später verpflicht­ete die Bundesregi­erung die Unternehme­n, Homeoffice anzubieten. Was vor Corona noch exotisch war, ist mittlerwei­le Berufsallt­ag.

Mit der „Bundesnotb­remse“soll Ende Juni aller Voraussich­t nach auch die Pflicht auslaufen, Homeoffice anzubieten. Weil die Inzidenzen sinken, können Arbeitgebe­r ihre Beschäftig­ten zurück ins Büro holen. Doch wird das geschehen? Die Strategie, die die Sparkasse Bodensee im Kleinen umsetzt, verfolgen große Konzerne schon länger. Vor allem in der IT-Branche ist das Homeoffice beliebt. Aber auch Unternehme­n wie der Automobilz­ulieferer ZF in Friedrichs­hafen, der Autobauer Porsche in Stuttgart oder die Deutsche Bahn wollen das mobile Arbeiten ausbauen. Was bleibt also von der plötzliche­n Revolution der Arbeitswel­t?

Bei der Sparkasse Bodensee viel. Mehr als die Hälfte der 700 Mitarbeite­r sind dort fast ausschließ­lich im Homeoffice. Perspektiv­isch sollen mehr dazu kommen. Weil auch schon vor der Pandemie Heimarbeit für viele kein Fremdwort war, gelang die Umstellung im vergangene­n März schnell. Kreditzahl­en waren bereits digital, keiner musste mehr in Archiven und Ordnern wälzen. Vor Ort hielten sich während der Pandemie nur kleine Teams auf. Die Abteilungs­chefs und Stellvertr­eter begegneten sich nie real, nur virtuell. Jetzt will die Bank das Konzept ausbauen.

Viele Mitarbeite­r sind bereits mit mobilen Geräten ausgestatt­et, andere werden nachgerüst­et. Sie benutzen die Geräte zu Hause und docken sie an, wenn sie im Büro sind. Zukünftig soll nicht mehr jeder Beschäftig­e einen eigenen Schreibtis­ch haben, sondern Kollegen sich abwechseln. An dem Standort in Friedrichs­hafen denkt man gerade über neue Raumkonzep­te nach. Statt einzelne Büros könnte es Großraumbü­ros mit Rückzugsmö­glichkeite­n geben, sagt Aich. Im neu umgebauten Haupthaus in Konstanz zum Beispiel kommt der Kunde nicht mehr zum Berater ins Büro, sondern geht mit ihm in einen anderen Raum. Dafür teilen sich zwei Berater ein Zimmer.

Bei anderen Unternehme­n sind solche Pläne schon Standard. Bei dem Friedrichs­hafener Automobilz­ulieferer ZF ist der Anspruch auf mobiles Arbeiten bereits in einer Betriebsve­reinbarung zwischen Unternehme­n und Arbeitnehm­ervertretu­ng geregelt. Am Standort Friedrichs­hafen arbeiten mehr als 6900 der insgesamt 9500 Mitarbeite­r im indirekten Bereich und sind somit zumindest in der Lage, mobil zu arbeiten. Auch schon vor der Pandemie konnten ZF-Mitarbeite­r die Hälfte der Arbeitszei­t „remote“ableisten.

Das will der Konzern ausweiten und schafft dafür gerade weltweit rechtliche Möglichkei­ten, erläutert ein ZFSprecher. „Das neue hybride Arbeitsmod­ell soll Mitarbeite­rn ermögliche­n, zwei bis drei Tage außerhalb des Standorts zu arbeiten. Vorausgese­tzt, die Arbeitsauf­gaben müssen nicht vor Ort erbracht werden.“

Der Wandel zieht sich durch unterschie­dlichste Branchen. Auch die Deutsche Bahn, die Technologi­ekonzerne Bosch und Siemens setzen auf ein hybrides Arbeitsmod­ell. Auch bei SAP, Europas größtem Softwareko­nzern, konnten Beschäftig­te sich schon vor der Pandemie vier Homeoffice-Tage pro Woche nehmen. Zukünftig sollen Mitarbeite­r bei der Wahl ihres Standorts komplett frei sein.

Um mobiles Arbeiten langfristi­g möglich zu machen, startet auch das Pharmaunte­rnehmen Vetter in Ravensburg nach der Aufhebung der Homeoffice-Pflicht nahtlos in ein Pilotproje­kt. Während der Pandemie habe man gemerkt, wie gut das klappt. „Workshops, die vor der Pandemie in Besprechun­gszimmern stattgefun­den haben“, werden jetzt digital abgehalten. Aus Charts und Boards wurden virtuelle Alternativ­en.

Das Medizintec­hnikuntern­ehmen Aesculap in Tuttlingen will weiterhin mobiles Arbeiten anbieten. Wie genau der Übergang aussehen wird und wie viele Mitarbeite­r von Juli an wieder im Unternehme­n arbeiten werden, wisse man noch nicht. Planungsun­sicherheit auch beim Aalener Technologi­ekonzern Zeiss. „Wie sich das zukünftig ausgestalt­et, ist bei uns derzeit in Klärung und Vorbereitu­ng“, sagt ein Sprecher.

Es drängt sich die Frage auf: Bedeutet die neu gefundene Liebe der Deutschen für mobiles Arbeiten jetzt die Abschaffun­g des Büros? Nein, so weit gehen auch die fortschrit­tlichsten Unternehme­n nicht. „Ein gewisses Maß an sozialer Interaktio­n ist für das Wohlbefind­en, für das Führungsve­rhältnis und letztlich

Wolfgang Aich, Sprecher der

Sparkasse Bodensee auch für das Arbeitserg­ebnis hilfreich“, sagt ein ZF-Sprecher. Ausschließ­lich mobiles Arbeiten werde in dem Konzern die Ausnahme sein.

Dass ab Juli zumindest wieder ein Teil der Beschäftig­ten ins Büro kommen kann, darüber freut sich Matthias Steybe, Sprecher beim Weingarten­er Computer- und Technologi­evermieter CHG-Meridian. Endlich öffne die Kantine wieder, Besucher dürfen wieder ins Gebäude und Kollegen – sofern sie sich testen – Besprechun­gen abhalten. „Wir freuen uns über mehr Normalität“, sagt Steybe. Die neue Arbeitswei­se sieht vor, dass Mitarbeite­r eine Woche zu Hause arbeiten und eine Woche im Büro. Stockwerks­weise wechsele man sich ab. Zwar bringe das mobile Arbeiten auch Vorteile, aber „teamorient­ierte Arbeitswei­sen und Kreativpro­zesse“funktionie­rten vor Ort besser.

Auch deshalb fordern Arbeitgebe­rverbände, dass mobiles Arbeiten nicht zum Standard werden dürfe. Es könne betrieblic­he Abläufe stören, „wenn zu viele Arbeitnehm­er oder gar komplette Teams gleichzeit­ig im Homeoffice arbeiten“, sagt der Hauptgesch­äftsführer der Unternehme­r Baden-Württember­g (UBW), Peer-Michael Dick.

Absprachen und Brainstorm­ings würden erschwert und die „sonst so hochgelobt­e informelle Kommunikat­ion“bleibe auf der Strecke. Dass die Homeoffice-Pflicht zum Ende des Monats wohl aufgehoben wird, begrüßt der Verband. Ein „so weitreiche­nder Eingriff in die betrieblic­he Arbeitsorg­anisation“sei nicht länger gerechtfer­tigt. Darüber hinaus dürfe es kein pauschales Anrecht auf Homeoffice für die Arbeitnehm­er geben.

Der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) sieht das anders. Er fordert die gesetzlich­e Festschrei­bung für das Homeoffice. „Mit einem Gesetz für mobiles Arbeiten würde den Beschäftig­ten mehr Arbeitszei­tsouveräni­tät ermöglicht“, sagt der DGBVorsitz­ende in Baden-Württember­g, Martin Kunzmann. Arbeitgebe­r müssten in die Pflicht genommen und zuständig gemacht werden für die „gesundheit­sgerechte Gestaltung des häuslichen Arbeitspla­tzes.“Es müsse ein „Recht auf Nicht-Erreichbar­keit geben“. Dass die Homeoffice­Pflicht Ende des Monats ausläuft, sei zu früh. Zu groß sei noch immer die Gefahr, sich am Arbeitspla­tz zu infizieren.

Wie andere Unternehme­n setzt auch die Sparkasse Bodensee auf Freiwillig­keit. „Wir zwingen keinen Mitarbeite­r ins Homeoffice“, sagt Sprecher Wolfgang Aich. Dass das Konzept im Unternehme­n so gut funktionie­rt, liege seiner Meinung nach auch daran, dass es im Unternehme­n selbst überlegt, ausgearbei­tet und umgesetzt wurde. Ein Gesetz, das den Unternehme­n vorschreib­t, Homeoffice zu ermögliche­n, wäre der falsche Weg.

„Es geht darum, dass das Ergebnis da ist. Wo die Mitarbeite­nden es erledigt haben, ist

egal.“

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FOTO: THOMAS TRUTSCHEL/PHOTOTHEK VIA W Arbeiten am Schreibtis­ch zu Hause: Viele Deutsche können sich nicht mehr vorstellen, jeden Tag ins Büro zu gehen. Zu angenehm sind die Vorteile, die das Homeoffice bietet.

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