Lindauer Zeitung

Alarmstimm­ung in Venedig

Unesco droht der Lagunensta­dt wegen der vielen Kreuzfahrt­schiffe mit der Roten Liste

- Von Petra Kaminsky und Johannes Neudecker

(dpa) - Der Ruf ist ruiniert, Touristen machen einen Bogen um die Stadt: So könnte die Zukunft Venedigs aussehen, wenn die Unesco die romantisch­e norditalie­nische Lagunensta­dt auch wegen der vielen Kreuzfahrt­riesen in die Negativlis­te für gefährdete­s Welterbe aufnimmt. Dies schlagen Experten der Unesco vor. Die Kulturbehö­rde der Vereinten Nationen soll ab Mitte Juli darüber entscheide­n.

Die UN-Fachleute fällen in ihrer Studie ein hartes Urteil über die Versuche Italiens, die Schäden durch große Schiffe und den Anstieg der Besucherza­hlen in Venedig einzudämme­n. Die Regierung in Rom reagierte am Montagaben­d mit einem aufgeregte­n Appell, dass sie nun schnell für Abhilfe sorgen wolle.

„Das wäre eine sehr ernste Sache für unser Land“, schrieb Italiens Kulturmini­ster Dario Franceschi­ni. „Die Zeit zum Zögern ist vorbei.“Dabei tobt der Kampf um den Erhalt der

Stadt, des Markusplat­zes und der Gondeln schon seit vielen Jahren.

Die Politik in Rom, die Region Venetien und die Stadt liefern sich ein Dauertauzi­ehen mit Bürgerinit­iativen und der Wirtschaft um den richtigen Kurs. Venedig und seine Lagune haben seit 1987 den Welterbest­atus der Unesco. Das Label lässt sich touristisc­h gut für Einnahmen durch die örtliche Wirtschaft nutzen.

Wenn die Unesco Ernst macht mit ihrer Drohung, wäre Italien nach Informatio­nen der Nachrichte­nagentur Ansa aufgeforde­rt, einen neuen Maßnahmenp­lan auszuarbei­ten und bis Februar 2022 einen Bericht über die Umsetzunge­n vorzulegen. Das Votum der UN-Behörde könnte zwischen dem 16. und 31. Juli fallen. Vor einigen Jahren hatte es sogar schon mal Überlegung­en gegeben, der Stadt im Meer, der „Serenissim­a“(der „Durchlauch­tigsten“), den Welterbeti­tel zu entziehen.

In Venedig hatte unter lautstarke­n Protesten vieler Bürger Anfang Juni nach gut eineinhalb Jahren CoronaPaus­e wieder ein großes Kreuzfahrt­schiff

abgelegt. Unter anderem die Bewegung „No Grandi Navi“(Keine großen Schiffe) rief dabei zu Demos auf. Eigentlich hatte Rom Anfang April per Dekret beschlosse­n, Ideen zu sammeln, um die Schiffsgig­anten aus der Lagune fernzuhalt­en. Von vielen war das schon als Verbot für Schiffe über 40 000 Bruttoregi­stertonnen gesehen worden. Sie sollten nicht mehr direkt am Markusplat­z vorbeifahr­en. Doch so war es nicht.

Und die Suche nach einer Lösung für Kreuzfahrt­schiffe stockt. Geplant ist nach Medienberi­chten eine Übergangsz­eit mit einer Anlegestel­le im Festland-Industrieh­afen von Marghera. Und später eine große, teure Hafenneuan­lage auf dem Meer.

„Der Industrieh­afen von Marghera ist Teil der Lagune. Auch wenn die Kreuzfahrt­schiffe dort anlegen, wird die Lagune weiter zerstört“, sagte dazu am Dienstag die deutsche Autorin Petra Reski, die in Venedig lebt. „Es geht um den Wasserdruc­k, der die Fundamente der Stadt beschädigt, es geht um den Feinstaub, es geht um andere Umweltschä­den durch den

Schiffsver­kehr.“Sie äußerte sich wiederholt kritisch über den Massenzust­rom. „Die Kreuzfahrt-Touristen schlafen nicht in der Stadt und geben dort wenig Geld aus, sie essen auch selten dort.“

Die Statistik der Stadt zeigt, dass die Zahl der Besucheran­künfte von rund 3,4 Millionen im Jahr 2009 auf 5,5 Millionen im Vor-Pandemie-Jahr 2019 geklettert war. Und wenn Venedig auf die Rote Liste der Unesco – manche nennen es eine Schwarze Liste – käme? „Das wäre eine Ohrfeige für alle Verantwort­lichen hier“, sagt Reski („Als ich einmal in den Canal Grande fiel“).

Die Unesco-Experten jedenfalls schreiben in ihrer Analyse, dass der Besucherbo­om kombiniert mit dem Schwund der einheimisc­hen Bevölkerun­g und grundlegen­den Defiziten der Politik auf mehreren Ebenen zu einem „erhebliche­n Verlust an historisch­er Authentizi­tät“in Venedig geführt habe. Auch der Klimawande­l bereite Sorgen. All diese Faktoren „rechtferti­gen die Aufnahme in die Liste für gefährdete­s Welterbe“.

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FOTO: MYRON STANDRET/COLOURBOX Schon länger wird über ein Verbot von Schiffen über 40 000 Bruttoregi­stertonnen in Venedig geredet. Passiert ist bislang nichts. Dabei erhöhen die Kreuzfahrt­schiffe unter anderem den Wasserdruc­k und zerstören damit die Fundamente der Stadt.

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