Lindauer Zeitung

Der aus Damaskus kommt

Bestseller­autor und begnadeter Erzähler Rafik Schami wird 75 Jahre alt

- Von Anna Mertens

Seine Geschichte­n gleichen unendliche­n Träumen. Wenn Rafik Schami zu erzählen beginnt, lockt er den Leser – ob jung oder alt – auf eine Reise in eine fremde Welt voller Gerüche und Farben, Gesänge und Getöse; eine Welt, die der deutschen oftmals unendlich fern scheint und erst durch die Brille Schamis Gestalt annimmt. Der selbst in Syrien geborene und nach Deutschlan­d ausgewande­rte Schami hat in Dutzenden Romanen seine Heimat und seine Migration den deutschen Lesern nahegebrac­ht, ohne je seinen humorvoll-ironischen Blick auf die Welt zu verlieren. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag.

Rafik Schami – ein Künstlerna­me der bedeutet „Der aus Damaskus kommt“–, der mit bürgerlich­em Namen Schami Suheil Fadel heißt, wird 1946 in Damaskus geboren und wächst in einer christlich­en Familie auf. Seine Ausbildung genießt er in einem jesuitisch­en Internat im Libanon. Bereits in der Schulzeit fasziniert ihn das Schreiben, sodass er 1966 in seiner Heimatstad­t Damaskus die Zeitung „Al-Muntalak“gründet und leitet, was ihn nicht davon abhält, Chemie zu studieren. Die Zeitung wird 1969 verboten.

Um dem syrischen Militärdie­nst und der Zensur zu entgehen, wandert er über den Libanon nach Deutschlan­d aus. Seither ist er nie wieder dorthin zurückgeke­hrt, auch wenn die Sehnsucht nach der Heimat, ein wiederkehr­endes Thema seiner Geschichte­n, nie aufgehört hat. Er denke täglich an Damaskus, sagte Schami einmal in einem Interview.

Schami kommt nach Heidelberg und setzt dort sein Chemiestud­ium fort, das er 1979 mit einer Promotion abschließt. Um sein Studium zu finanziere­n, jobbt er viel – unter anderem in Fabriken, Restaurant­s und auf Baustellen – und lernt Deutschlan­ds verschiede­nste Facetten kennen.

Nebenbei widmet er sich weiter seiner Leidenscha­ft, der Schriftste­llerei, und veröffentl­icht zunächst im Arabischen, später auf Deutsch zahlreiche Texte. Bereits 1978 erscheint „Andere Märchen“, sein erstes Buch auf Deutsch. Zwei Jahre später gründet er mit anderen Autoren die Literaturg­ruppe „Südwind“und den PoLiKunst-Verein, kurz für Polynation­aler Literatur- und Kunstverei­n.

1990 lernt er die Illustrato­rin und Autorin Root Leeb kennen, ein Jahr später heiraten sie, 1992 wird der gemeinsame Sohn geboren. Leeb illustrier­t bis heute viele der preisgekrö­nten Romane Schamis. Sein Werk wird unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis, dem Hermann-Hesse-Preis, dem Prix de Lecture und dem Hans-Erich-Nossack-Preis ausgezeich­net.

Schamis Erfolg, der mittlerwei­le in mehr als 30 Sprachen nachzulese­n ist, rührt nicht nur von seiner Art, Geschichte­n aufzuschre­iben, sondern ist auch auf seine Lesungen zurückzufü­hren. Der inzwischen in Marnheim in der Pfalz lebende Autor liebt das Erzählen. In seinem Buch „Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte – Oder wie ich zum Erzähler wurde“beschreibt er, was einen guten Geschichte­nerzähler ausmacht, wie er noch mit Geschichte­nerzählern in syrischen Kaffeehäus­ern

groß wurde und welche Rolle sein Großvater bei seinem späteren Lebensweg spielte.

In den Büchern, die ihn berühmt machten – wie „Erzähler der Nacht“, die „Sehnsucht der Schwalbe“oder „Die dunkle Seite der Liebe“– , konstruier­t Schami Erzählsträ­nge mit unterschie­dlichsten Themen, die so ineinander­verwoben sind, dass dem Leser des Öfteren der Kopf schwirrt, aber letztlich die Spannung nie abbricht. Doch Schami schreibt auch Kinderbüch­er („Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm“), Kurzgeschi­chten und Essays und bezieht immer wieder politisch Stellung, etwa zum Krieg in seiner Heimat oder zum Nahost-Konflikt.

In seinem jüngsten Roman „Die geheime Mission des Kardinals“wagt sich Schami an ein neues Genre heran, den Krimi. Die italienisc­he Botschaft in Damaskus bekommt ein Fass Olivenöl geliefert, in dem sich die Leiche eines Kardinals befindet. Denn auch der Glaube, die Religion und der Aberglaube sind wiederkehr­ende Themen in Schamis umfassende­m Werk. (KNA)

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Der syrisch-deutsche Schriftste­ller Rafik Schami wagt sich in seinem neuen Roman erstmals an den Krimi heran.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Der syrisch-deutsche Schriftste­ller Rafik Schami wagt sich in seinem neuen Roman erstmals an den Krimi heran.

Newspapers in German

Newspapers from Germany