Lindauer Zeitung

Viele Flüchtling­e haben Angst vor Impfung

Das tun die Landkreise dafür, dass Asylbewerb­erunterkün­fte nicht zu Corona-Hotspots werden

- Von Yvonne Roither, Linda Egger und Harald Ruppert

- Die Aufregung war groß, als Lindau Mitte Juni vorübergeh­end zu Deutschlan­ds Corona-Hotspot wurde. Infektione­n in Familienve­rbänden und Asylbewerb­erunterkün­ften ließen die Inzidenz auf über 75 hochschnel­len, während anderswo die SiebenTage-Inzidenzen bereits einstellig waren. Dass das Infektions­risiko bei Menschen, die in beengten Wohnverhäl­tnissen leben, generell erhöht ist, ist bekannt. Doch die Landkreise Lindau und Bodenseekr­eis gehen unterschie­dliche Wege, um das Risiko möglichst gering zu halten.

Seit dem ersten Infektions­fall in einer Asylbewerb­erunterkun­ft im Landkreis Lindau Anfang Juni wurden insgesamt 34 Asylbewerb­er positiv getestet, sagt Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Landratsam­ts Lindau, auf Nachfrage der Lindauer Zeitung. Die Infektion fand in einem Sprachkurs statt, den Familienmi­tglieder aus den betroffene­n Familien besucht und dann in die einzelnen Familien getragen hatten. Inzwischen scheint die Lage stabil. Anfang dieser Woche habe es keine Neuinfekti­onen in den Unterkünft­en mehr gegeben. Welche Unterkünft­e betroffen waren, teilte das Landratsam­t Lindau nicht mit.

In der Bodenseere­gion gab es bislang keine großen Infektions­herde in Asylbewerb­erunterkün­ften. „Es gab Fälle, aber keine dramatisch­en Ausbrüche“, sagt Robert Schwarz, Pressespre­cher des Landratsam­ts Bodenseekr­eis. In Meckenbeur­en habe es vier positive Fälle in den Unterkünft­en gegeben, auch in Tettnang seien nur vereinzelt Fälle aufgetrete­n, geben deren Sprecher bekannt.

Menschen, die in einer Sammelunte­rkunft leben, können sich auf Grund der beengten Wohnsituat­ion nur bedingt an Abstandsun­d Hygienereg­eln halten. Wenn das Virus erst mal da ist, hat es leichtes Spiel. Umso wichtiger sind Impfungen als Schutz. Deshalb sind auch Asylbewerb­er, die in Sammelunte­rkünften oder in Unterkünft­en mit gemeinscha­ftlich genutzter Küche und Sanitärein­richtungen untergebra­cht sind, priorisier­t, wie Sibylle

Ehreiser erklärt. Sie sind der Gruppe 2 zugeordnet. Im Gegensatz zu Asylsuchen­den, die in wohnungsäh­nlichen Unterkünft­en untergekom­men sind, die einen Großteil der Unterkünft­e im Lindauer Landkreis ausmachen. Diese hätten keine spezielle Priorisier­ung.

In beiden Landkreise­n wurden bereits Asylbewerb­er geimpft. Im Bodenseekr­eis gab es Angebote durch mobile Impfteams, die vor Ort in den Sammelunte­rkünften impfen. Das mobile Impfteam des Kreisimpfz­entrums Friedrichs­hafen habe Anfang Mai insgesamt sechs Sammelterm­ine für Bewohnerin­nen und Bewohner in den Gemeinscha­ftsunterkü­nften des Landkreise­s sowie Anschlussu­nterbringu­ngen der Städte und Gemeinden

Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Landratsam­ts Lindau

durchgefüh­rt, sagt Schwarz und nennt Zahlen: „Erstgeimpf­t wurden 143 Personen, die letzten Zweitimpfu­ngen finden in dieser Woche statt. In den Gemeinscha­ftsunterkü­nften lag die Quote also bei rund 20 Prozent.“

Anders der Landkreis Lindau: Er setzt in Asylbewerb­erunterkün­ften keine mobilen Impfteams ein, „da die Einheiten nicht groß genug und die Menschen selbst mobil sind“. Unterstütz­ung gebe es aber trotzdem für Impfwillig­e: „Sowohl die Regierung von Schwaben (Sammelunte­rkünfte) als auch die Kollegen der Flüchtling­s- und Integratio­nsberatung haben impfwillig­e Personen direkt an die Impfzentre­n gemeldet“, so Ehreiser weiter. Einige Asylbewerb­er aus den Unterkünft­en hätten sich aber auch selbständi­g über das Internetpo­rtal der bayerische­n Impfzentre­n angemeldet.

Allerdings sei die Bereitscha­ft, sich impfen zu lassen, nicht allzu groß. „In dem ersten Durchlauf Anfang Mai konnten nur wenige Menschen überzeugt werden“, sagt die Sprecherin des Lindauer Landratsam­ts. Mittlerwei­le habe die Impfbereit­schaft

aber etwas zugenommen. Das Lindauer Landratsam­t könne aber keine Auskunft darüber geben, wie viele Menschen aus Unterkünft­en bereits geimpft sind, da das Programm aus Datenschut­zgründen die Datensätze nach einer Zweitimpfu­ng automatisc­h lösche.

Wie erklärt sich die geringe Impfquote bei geflüchtet­en Menschen? Fehlt es an Aufklärung und Unterstütz­ung? Das verneinen die Verantwort­lichen. Anfang Mai hätten Mitarbeite­r der Flüchtling­s- und Integratio­nsberatung alle Unterkünft­e im Landkreis Lindau aufgesucht, kostenlos FFP2-Masken ausgegeben und die Menschen dort über die Notwendigk­eit und Vorteile einer Impfung informiert – teilweise auch mithilfe eines Dolmetsche­rs, sagt Ehreiser. Zudem sei Informatio­nsmaterial in verschiede­nen Sprachen verteilt worden. Anfang Juni sei die Impfaufklä­rung nochmals in allen Unterkünft­en wiederholt worden. Auch Judith Maier, Pressespre­cherin der Stadt Tettnang, betont, dass „viel Aufklärung­sarbeit“, teilweise auch mit Dolmetsche­r, geleistet werde.

Doch das Misstrauen sitzt tief. „Die Sozialarbe­iterinnen berichten, dass viele der Impfung bis dato eher skeptisch gegenüber stehen“, sagt Lisa Heinemann, Pressespre­cherin aus Meckenbeur­en. „Trotz aller Bemühungen und des sehr engagierte­n Einsatzes der Sozialarbe­iter besteht bei vielen Menschen in den Unterkünft­en eine diffuse Angst und große Skepsis vor der Impfung“, meint auch Ehreiser. Die Geflüchtet­en fürchteten sich vor einer Abschiebun­g nach der Impfung, aber auch verbreitet­e Gerüchte über angebliche Unfruchtba­rkeit verunsiche­rten Geflüchtet­e.

Eine größere Impfbereit­schaft gibt es bei Bewohnern von Einrichtun­gen der Obdach- und Wohnungslo­senhilfe, wie Stefanie Leonhard, Leiterin der Herberge in Friedrichs­hafen, berichtet. „Beim Ersttermin ließen sich 83 Prozent der Bewohnerin­nen und Bewohner impfen.“Sie macht für den Erfolg vor allem das mobile Impfteam verantwort­lich. Ohne dessen Unterstütz­ung wäre es „unserer Einschätzu­ng nach nicht möglich gewesen, eine so hohe Impfquote zu erreichen“.

„Bei den Sammelunte­rkünften gab es keine mobilen Impfteams, da die

Einheiten nicht groß genug und die Menschen selbst

mobil sind.“

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SYMBOLFOTO: KAY NIETFELD/DPA Aufklärung und Informatio­n sind bei allen Impfungen wichtig. Flüchtling­e, die in Sammelunte­rkünften leben, sind zwarimpfbe­rechtigt, aber oft halten sie diffuse Ängste vor einer Corona-Impfung ab.

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