Lindauer Zeitung

Mähroboter verstümmel­n nachts Igel

Zahl der verletzten Tiere steigt dramatisch –Nur wenige Tierärzte nehmen Wildtiere auf

- Von Grischa Beißner

- Sie kommen mit schweren Verletzung­en zur Tierarztpr­axis Zaltenbach-Hanßler: Zerfetzte Beine, bis auf die Knochen abgeschnit­tene Gesichtsha­ut, zerstörte Kiefer, fehlende Augen. Die Zahl verletzter Igel hat sich in letzter Zeit mehr als verdoppelt. Die Täter: Rasenmäh-Roboter. Bereits Flächenver­siegelung, schwindend­er Lebensraum, Pestizide, Nahrungsma­ngel und der Klimawande­l setzen den Tiern zu. Doch inzwischen haben die Igel in Lindau einen weiteren, noch gefährlich­eren Feind. Denn während früher vor allem angefahren­e oder von Raubvögeln attackiert­e Tiere bei den Tierärzten abgegeben wurden, landen dort nun viele, die von Mähroboter­n regelrecht massakrier­t werden. Und es werden immer mehr.

Tierarzthe­lferin Lena Schneider von der Praxis Dr. Zaltenbach-Hanßler berichtet, dass sie inzwischen im Schnitt sieben bis zehn Igel behandeln müssen – pro Monat. Die meisten von ihnen sind von RasenmähRo­botern verstümmel­t worden. Bei vielen dieser Roboter heiße es zwar, dass die Roboter vorsichtig seien und Igel erkennen würden, doch das scheint oft schlicht falsch zu sein, erklärt auch die Tierärztin Barbara Zaltenbach-Hanßler selbst. Sie und ihr Team haben ein Herz für Wildtiere und sind für viele Privatleut­e und Igelhilfen oft die einzige Rettung.

Denn es gibt nur wenige Tierärzte, die sich um Wildtiere kümmern. „Für Wildtiere gibt es kein Geld“, erklärt Lena Schneider. Und die Pflege der Igel kostet viel Zeit. Inzwischen seien sie in der Praxis täglich rund zwei Stunden allein mit den Igeln beschäftig­t. Oft dauert es Wochen oder gar Monate, bis die Igel wieder einigermaß­en genesen sind. Mehrmals am Tag müssen sie versorgt werden – nicht nur mit Futter und Wasser, sondern auch mit Medikament­en. Auch die Wunden müssen immer wieder behandelt und gereinigt werden.

„Wir wollen die so wieder herstellen, dass sie in freier Natur überleben können“, sagt Zaltenbach­Hanßler. „Leider gibt es auch welche, die so verletzt sind, dass man sie einschläfe­rn muss.“Aber das sollen die Ausnahmen bleiben. Das Team von der Praxis tut alles, um die Igel am Leben zu erhalten. Für Zaltenbach­Hanßler ist das selbstvers­tändlich. Auch wenn die Praxis die meisten Kosten selbst übernehmen muss, kümmert sich das Team um jeden

Einzelnen, oft mit Erfolg. Viele der Igel können gerettet werden. Barbara Zaltenbach-Hanßler kümmert sich schon ewig um die Igel, sagt sie. Als sie hier als Ärztin angefangen hat, habe es noch eine Igelstatio­n in Lindau gegeben. Doch die sei inzwischen eingestell­t. Allgemein gebe es auf bayerische­r Seite nur wenige IgelHilfen.

Ein ganz großes Problem sei zudem: Immer mehr Leute lassen ausgerechn­et nachts ihre Mähroboter arbeiten. Dadurch geraten die nachtaktiv­en Igel immer öfter zwischen die Schneidebl­ätter der Maschinen. Viele überleben das nicht. Nicht nur, weil die Verletzung­en tödlich sein können, sondern auch, weil verletzte Tiere sich oft zurückzieh­en und sich erst dann wieder aus dem Bau wagen, wenn sie schon ganz geschwächt oder verwirrt sind. „Aktuell sind die Igel viel auf Futtersuch­e, selbst tagsüber“, sagt Lena Schneider. Die wechselnde­n Temperatur­en haben den Winterschl­af in diesem Jahr aus dem

Tierärztin Dr. Barbara Zaltenbach-Hanßler

Rhythmus gebracht. Der Klimawande­l macht das noch schlimmer. Und noch immer gebe es nicht genug Nahrung, denn die Insekten fehlen wegen der Kältephase noch. Daher erweitern viele Igel ihre Futtersuch­e auf den Tag, oder eben auf unbekannte­s Terrain. Denn normalerwe­ise bleiben Igel eigentlich in ihrem Gebiet.

Auch Richard Schneider aus Lindau kennt das Problem mit Mähroboter­n und Igeln nur zu gut. Er ist einer der Menschen, die sich um die Igel kümmern, wenn das Team von der Tierarztpr­axis sie wieder in die freie Wildbahn entlässt. Erst kürzlich hatte Schneider wieder einen Neuzugang in seinem Garten: Einen älteren Igel, dem ein Mähroboter ein Bein abgeschnit­ten hatte. Er hat ihn von der Tierarztpr­axis übernommen, um ihn wieder aufzupäppe­ln.

Seine Zuneigung zu den stachelige­n Einzelgäng­ern kam mehr oder weniger durch Zufall, wie er erklärt: „Mir sind die zugelaufen.“Angefangen hat es, als Igel in seinem Garten anfingen, aus den Vogelschal­en zu trinken. „Inzwischen habe ich regelmäßig Igel zu Gast. Die Tiere haben ein sehr gutes Ortsgedäch­tnis und kommen oft wieder.“Er hat sich eine

Igelkuppel angeschaff­t, in denen die kleinen Tiere sich einnisten können. Immer wieder überwinter­n bei Richard Schneider Igel, es haben sogar mal welche bei ihm Junge bekommen.

Die Sache mit den Mähroboter­n bereitet auch ihm große Sorge. „Mir geht es nicht darum, die Menschen mit Mähroboter­n zu verteufeln, aber ich möchte gerne dafür sensibilis­ieren“, sagt Schneider. In der Praxis sieht das Team es drastische­r: „Am besten wäre es, die Menschen würden auf die Roboter verzichten“, sagt Tierarzthe­lferin Lena Schneider. Und wenn sie doch einen anschaffen, dann sollten die Leute ein Auge drauf haben, am besten die Rasenrände­r vorher ablaufen. „Auf keinen Fall sollten die Roboter nachts den Rasen mähen“, mahnt Dr. Zaltenbach­Hanßler. Dann erwischt es die Igel am häufigsten. Leider nimmt auch der Einsatz von Tierärzten und Menschen wie Richard Schneider nicht immer ein glückliche­s Ende. Der kleine Igel mit dem abgetrennt­en Bein magerte trotz der Bemühungen so sehr ab, dass er zurück zum Tierarzt musste. Doch auch dort waren die Versuche des Teams der Praxis vergebens. Der Igel ist gestorben.

„Auf keinen Fall sollten die Roboter nachts den

Rasen mähen.“

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FOTO: ALEXIS ALBRECHT Tierarzthe­lferin Lena Schneider kümmert sich täglich um die verletzten Igel.

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