Lindauer Zeitung

„Im Grunde können wir uns nur selbst schlagen“

1990er-Weltmeiste­r Thon über den Ausfall von Müller und warum Löw keine Kompromiss­e mehr machen muss

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- Er konnte nicht mit den Teamkolleg­en trainieren, nur mit dem verletzten Lukas Klosterman­n um den Platz joggen, das rechte Knie mit einem Tapeverban­d versehen. Damit war am Dienstagvo­rmittag klar: Wegen der Kapselverl­etzung im Knie verpasste Thomas Müller nicht nur das Abschlusst­raining in Herzogenau­rach, sondern wohl auch das dritte EMVorrunde­nspiel (21 Uhr/ZDF und MagentaTV) gegen Ungarn. Erstmals bei dieser EM-Endrunde muss Bundestrai­ner Joachim Löw seine Startelf also umbauen. Für Müller, dessen Mitwirken in einem möglichen Achtelfina­le noch unsicher ist, dürfte sein Teamkolleg­e beim FC Bayern, Leon Goretzka (26), auf die Zehnerposi­tion rücken. Beim 4:2 gegen Portugal hatte Goretzka sechs Wochen nach seinem Muskelfase­rriss sein Comeback als Einwechsel­spieler gegeben. Joachim Löw wollte sich noch nicht festlegen, wie er einen möglichen Ausfall von Müller kompensier­en würde. „Wir warten bis zum Mittwochna­chmittag. Es gibt verschiede­ne Gedankensp­iele und Möglichkei­ten in der Personalwa­hl“, sagte der Bundestrai­ner, der anmerkte: „Dass Müller von Anfang an spielt, wird schwierig sein.“Anders als Müller nahmen Mats Hummels (Patellaseh­nenreizung) und Ilkay Gündogan (Wadenprobl­eme) am Abschlusst­raining teil, dennoch stünden Niklas Süle (für Hummels) und Emre Can bzw. der offensiver­e Leroy Sané (für Gündogan) als Alternativ­en bereit. Jede Menge Variablen also. Patrick Strasser hat darüber mit 1990er-Weltmeiste­r Olaf Thon gesprochen.

Herr Thon, Joachim Löw scheint gezwungen, seine Startelf erstmals bei dieser EM-Endrunde umbauen zu müssen, da Thomas Müller wegen seiner Kapselverl­etzung im Knie gegen Ungarn fehlen wird? Wie schwer wiegt Müllers Ausfall?

Generell finde – und hoffe – ich, dass wir gegen die Ungarn auf die Dienste unseres Superprofi­s verzichten können, da wir ja schon mit einem Bein im Achtelfina­le stehen. Ein Punkt reicht fürs Weiterkomm­en. Ich sehe da nach dem wirklich überzeugen­den Auftritt der deutschen Mannschaft beim 4:2 gegen Portugal überhaupt kein Problem. Normalerwe­ise sagt man: Form schlägt Klasse. Aber dieses deutsche Team ist von der Qualität der Einzelspie­ler und im Kollektiv einfach besser als die Ungarn und daher klarer Favorit.

Wer sollte den offensiven Müller

Die deutsche Nationalma­nnschaft hat das Tor zum Achtelfina­le bereits aufgestoße­n – muss allerdings noch nachlegen, um sicher die K.-o.-Runde zu erreichen. Dafür würde allerdings schon ein Unentschie­den gegen Ungarn reichen.

Die Lage für die DFB-Auswahl in der Gruppe F:

Bei einem Sieg gegen Ungarn steht Deutschlan­d auf jeden Fall im Achtelfina­le. Sollte Frankreich nicht gegen Portugal gewinnen, ist Deutschlan­d Gruppensie­ger und würde im Achtelfina­le am Montag, 28. Juni (21 Uhr) in Bukarest gegen die Schweiz oder die Ukraine spieBelgie­n

aus Ihrer Sicht nach ersetzen?

Leon Goretzka kann die Position spielen, ihn würde ich mit seiner Dynamik und Torgefahr gerne in der Anfangsfor­mation sehen. Aber auch Leroy Sané oder Timo Werner könnten meiner Meinung nach in die Mannschaft kommen, dann müsste Jogi Löw jedoch etwas umstellen. len. Sollte Frankreich gegen Portugal gewinnen, wäre Deutschlan­d Gruppenzwe­iter und würde im Achtelfina­le am Dienstag, 29. Juni (18 Uhr) im Londoner WembleySta­dion gegen England oder Tschechien ranmüssen.

Bei einem Unentschie­den gegen Ungarn wäre Deutschlan­d auf jeden Fall als Gruppendri­tter im Achtelfina­le, weil die Dritten der Gruppen C und E schlechter sein werden. In diesem Fall fände das erste K.-o.-Spiel am Sonntag, 27. Juni (18 Uhr) in Budapest gegen die Niederland­e oder am selben Tag in Sevilla (21 Uhr) gegen den Sieger der Gruppe B statt, die aktuell

Aber wie ich den Bundestrai­ner kenne, zieht er jetzt sein System durch. Da ist er ja stur – im positiven Sinne.

Sollte Löw gegen die defensiv ausgericht­eten Ungarn wieder zu einer Viererkett­e in der Abwehr zurückkehr­en?

Im Grunde sind sie mit einer Dreierkett­e anführt. Mit einem Unentschie­den kann Deutschlan­d nicht mehr Gruppeners­ter werden. Bei einem Sieg von Frankreich gegen Portugal oder einem Unentschie­den wäre Deutschlan­d Gruppenzwe­iter bei einem Sieg von Portugal nur Gruppendri­tter.

Bei einer Niederlage gegen Ungarn braucht Deutschlan­d die Hilfe von Frankreich. Wenn Frankreich gegen Portugal gewinnt, wäre Deutschlan­d Gruppendri­tter – aber nur im Achtelfina­le, wenn zwei andere Gruppendri­tte schlechter sind.

Jeder andere Fall hätte zur Folge, dass Deutschlan­d als Letzter der Gruppe F ausscheide­t.

und den drei nominellen Innenverte­idigern Mats Hummels, Antonio Rüdiger und Matthias Ginter hinten einer zu viel. Aber mich würde es nicht überrasche­n, wenn Löw bei seinem Spielsyste­m bleibt. Außerdem kann man ja auch im Spiel umstellen und reagieren – je nach Spielstand. Er verlangt ja von seinen Jungs taktische Flexibilit­ät.

Als Lautsprech­er und Antreiber, als Dauerläufe­r und Koordinato­r des Pressing-Systems aber kann keiner Müller ersetzen, oder?

Nicht direkt. Es gibt nur einen Thomas Müller. Aber auch Ilkay Gündogan und Toni Kroos sowie vor allem Joshua Kimmich sind Spieler, die lautstark organisier­en können. In diesem einen Spiel gegen Ungarn sehe ich da kein Problem. Höchstens die Gefahr, dass wir uns zu sicher fühlen. Im Grunde können wir uns nur selbst schlagen. Die Ungarn haben zwar Frankreich ein 1:1 abgetrotzt, aber das war in Budapest und nun liegt der Heimvortei­l auf Seiten der Deutschen.

Sollte denn Serge Gnabry, der mit die höchste Laufleistu­ng der DFBElf hat, gegen Ungarn pausieren, um Leroy Sané eine Chance von Beginn an zu geben?

Sané ist für mich der ideale Unterschie­dspieler für das Konterspie­l. Wenn man führt, kann man ihn gut bringen. Und Gnabry hat mich gegen Portugal mit seiner Ballsicher­heit überzeugt, er hat vorne für viel Entlastung gesorgt.

Bei der WM 1990 hat Teamchef Franz Beckenbaue­r seine Mittelfeld­spieler auch durchgewec­hselt. Neben Lothar Matthäus, Thomas Häßler und Pierre Littbarski kamen Uwe Bein, Andy Möller und Sie – etwa im Halbfinale gegen die Engländer – zum Einsatz. Wie wichtig ist das Durchwechs­eln in einer vierwöchig­en Endrunde?

Als Trainer muss man im Laufe eines Turniers die richtige Balance finden zwischen den Stammspiel­ern und denen, die hintendran und daher zunächst unzufriede­n sind. Mein Gefühl sagt mir, dass sich das System im Laufe des Turniers noch ändern wird. Ich denke, dass wir mit Kimmich in der Zentrale noch aggressive­r gegen den Ball arbeiten könnten. Aber wer weiß: Es ist ja das letzte Turnier von Löw als Bundestrai­ner, da will er es noch einmal allen zeigen – anderersei­ts muss er auch keine Kompromiss­e mehr machen.

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FOTO: LACI PERENYI/IMAGO IMAGES Olaf Thon würde gegen Ungarn auf den wieder genesenen Leon Goretzka setzen.
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FOTO: IMAGO IMAGES Olaf Thon

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