Die Tour als Therapie
Der Ravensburger Emanuel Buchmann soll als Joker viele Freiheiten genießen
(dpa) - Die Form ist da, das Knie hält: Emanuel Buchmann hat auch seinen letzten Härtetest vor der Tour de France bestanden. „Ich habe mich sehr gut gefühlt, das war das Wichtigste für mich“, sagte Buchmann nach den deutschen Meisterschaften in Stuttgart. Das Trikot mit dem schwarz-rot-goldenem Brustring gab es zwar nicht, dafür Platz vier und die wichtige Erkenntnis, dass das durch den Sturz beim Giro d’Italia lädierte Knie keine Probleme mehr bereitet. „ Zuerst war der mentale Schmerz sicher größer. Körperlich hat das Knie etwas länger gezwickt, aber seit letzter Woche bin ich soweit wieder fit“, sagt der Ravensburger.
Wenn die Frankreich-Rundfahrt am Samstag in Brest losrollt, wird es für Buchmann ohnehin ein Rennen wie kein anderes. Die deutsche Radsport-Hoffnung wird nicht als Kapitän seines Teams Bora-Hansgrohe fahren, vielmehr soll Buchmann nach seiner kurzfristigen Nominierung als Joker und Etappenjäger viele Freiheiten genießen. „Ich werde mich nicht absichtlich abhängen lassen. Aber der Kurs liegt mir nicht wirklich, und Wilco (Kelderman) ist unser Leader“, betonte der 28-Jährige. „Ich werde einfach mal schauen, wo ich nach dem Zeitfahren und den ersten Bergetappen stehe.“
Mit so wenig Druck ist Buchmann zuletzt nicht in eine Grand Tour gegangen. Es wird ihm gut tun, vor allem mental. Denn nach seinem vierten Platz bei der Tour 2019 waren seine Angriffe auf das Podium von Sturzpech geprägt. Im vergangenen Jahr war Buchmann schon bei der Dauphiné in bestechender Form, stürzte aber bei dem Vorbereitungsrennen für die Tour in einer Abfahrt und kam nicht mehr in Tritt. Im Mai zeigte sich der Ravensburger beim Giro ebenfalls in prächtiger Verfassung, ein unglücklicher Sturz auf der 15. Etappe ließ jedoch alle Podiumsträume platzen.
Es ist nur allzu verständlich, dass Buchmann die Was-wäre-wenn-Fragen
gar nicht an sich heranlassen will. „Es ist extrem hart, weil man wirklich viele Monate nur dieses Ziel im Kopf hat. Dann stimmt die Form, sehr vieles wäre möglich, und dann steht man trotzdem vor dem Nichts“, sagte der nicht einmal 60 Kilogramm schwere Kletterspezialist. Die Große Schleife soll nun auch so etwas wie eine Therapie für ihn werden: „Darum wollte ich auch die Tour fahren, um den Giro möglichst schnell hinter mich zu lassen. Ein Erfolgserlebnis wäre schon schön. Man muss aber auch sagen, dass es einem Motivation gibt, wenn man sieht, was möglich gewesen wäre und dass man vorne dabei ist.“
Schön und vor allem nicht unmöglich. Verliert Buchmann in der ersten Woche viel Zeit, werden ihm die Top-Fahrer in den Bergen Freiheiten gewähren. Andererseits will er vorn dabeibleiben, sollte Kapitän Kelderman ausfallen. Der beendete
Emanuel Buchmann zwar den Giro im vergangenen Jahr auf Platz drei, ist den Beweis seiner Leistungsstärke bei der Tour aber noch schuldig. Wie schnell es gehen kann, weiß auch Teamchef Ralph Denk. „Es kann auch sein, dass unserem Kapitän Wilco Kelderman etwas passiert. Dann sind wir vielleicht froh, wenn Emu noch auf Schlagdistanz ist“, sagte Denk.
In Bestform wird Buchmann nicht am Start stehen, wie der Teamchef erklärt: „Sonst wäre ja alles Schwachsinn, was wir machen. Das Timing ist in der Trainingssteuerung sehr komplex. Normal hätte er jetzt Pause. Die Form ist ganz gut, aber nicht auf Giro-Niveau.“
Erst im Höhentrainingslager in Livigno fiel die Entscheidung, es bei der Tour zu versuchen. Die beiden Zeitfahren liegen ihm zwar nicht, aber womöglich ist diese TherapieTour ohne Druck genau das Richtige für ihn. Denn in einer Sache ist sich Buchmann sicher: „Ich habe mein Leistungslimit noch nicht ganz ausgereizt. Ich gehe also davon aus, dass ich auch in den kommenden Jahren eine Chance haben werde, bei einer Grand Tour aufs Podium zu fahren.“
„Ich werde mich nicht absichtlich abhängen lassen. Aber der Kurs liegt mir nicht wirklich.“