Beim Homeoffice hört die Freundschaft auf
Wenn viele Menschen von daheim aus arbeiten, wirkt sich das bisweilen auf den Hausfrieden aus. Verwalter klagen über Zwist im Lockdown, berichten aber auch von Solidarität.
Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die so eine Hausgemeinschaft entzweien und aus guten Nachbarn oder gar Freunden erbitterte Konfliktparteien machen. Wie in einer Wohnanlage in einem Ort nahe dem Bodensee. Der Chef einer Hausverwaltung, die dort zuständig ist, erzählt folgende Geschichte: Ein Wohnungseigentümer – nennen wir ihn Herr W. – kann wegen der Corona-Pandemie praktisch von heute auf morgen nicht mehr ins Büro. Er richtet sich an seinem Schlafzimmerfenster einen improvisierten Schreibtisch ein. Anstatt morgens wie sonst immer das Haus zu verlassen, nimmt er fortan dort mit seinem Firmen-Laptop die tägliche Arbeit auf. Mit Blick auf den Bewohnerparkplatz, den er früher so gut wie nie beachtet hat. Sein Stellplatz ist frei, weil Herr W. gar kein eigenes Auto besitzt. Jetzt, da er ihn ständig im Blick hat, fällt ihm aber auf, dass er sehr rege benutzt wird: von Handwerkern, von der mobilen Fußpflegerin einer Nachbarin, von anderen Sozialdiensten und auch von verschiedenen Nachbarn und ihren Gästen selbst. Herr W., der bislang bei der Hausverwaltung nicht als schwieriger Bewohner aufgefallen ist, ärgert sich über den ungefragten Gebrauch seines Stellplatzes und kommt auf eine Idee, die später noch für viel Ärger sorgen wird.
Ist Herr W. eine Ausnahme, oder schlägt sich das Homeoffice generell auf die Befindlichkeiten der Bewohner von Hausgemeinschaften nieder? Die Mitarbeiterin einer Hausverwaltung in Ravensburg stellt am Telefon erst mal klar: „Das ist natürlich nicht so gut, wenn Sie meinen Namen und den Namen der Firma in der Zeitung nennen. Wir können ja schlecht öffentlich über unsere eigene Kundschaft herziehen.“Sie lacht. Dieser Umstand erschwert die Recherche und zieht sich wie ein roter Faden durch diese Geschichte, die zitierten Personen sind der Redaktion aber bekannt, auch wenn sie anonym bleiben wollen. Die Frau aus der besagten Hausverwaltung nimmt häufig als Erste das Telefon ab, wenn Bewohner der verwalteten Liegenschaften anrufen, um sich zu beschweren oder ganz allgemein Dampf abzulassen.
Sie sei zwar eine Frohnatur und lächle vieles weg – aber dass die Bewohner sich im Homeoffice schneller und leichter gestört fühlen, das können sie eindeutig bestätigen. „Die Leute sind einfach angespannt, sie haben auf gut deutsch die Schnauze voll.“Darunter leide auch die Höflichkeit.
Das Miteinander. „Wir registrieren plötzlich Beschwerden über Kinderlärm in Wohnhäusern, wo das zuvor nie vorgekommen ist.“Wenn man praktisch nur noch aufeinandersitze, gehe man sich allgemein mehr auf den Keks. „Das ist, glaube ich, nicht nur wegen dem Homeoffice so“, sagt die Mitarbeiterin und hofft, dass schnell wieder bessere Zeiten anbrechen.
Herr W. aus dem bodenseenahen Ort beschließt, dem aus seiner Sicht unverschämten Gebrauch seines Stellplatzes einen Riegel vorzuschieben. Im Internet bestellt er sich eine elektronische Parkplatzsperre. Der Hausverwalter spricht von einem „gelben Spielzeug“. Es handle sich um eine windige Konstruktion mit einem Bügel, der sich per Funkfernbedienung nach oben hebt oder nach unten senkt. Während dieses Vorgangs blinkt und piept das Gerät. Herr W. denkt, damit sei das Problem gelöst. Aber er hat die Rechnung ohne seine Miteigentümer gemacht, die teilweise regelrecht entsetzt sind, weil ein aus ihrer Sicht so unschöner Parkwächter einsam zwischen den Stellplätzen prangt. Es entzündet sich ein Streit an der Frage, ob Herr W. das einfach so gedurft hat – oder ob dieser Eingriff in die Optik des Vorplatzes der Wohnanlage nicht von der Eigentümergemeinschaft hätte genehmigt werden müssen. Herr W. denkt indes nicht daran, das Ding wieder abzubauen. Ein paar Tage später wird er beim Blick auf seinen Stellplatz eine Überraschung erleben.
Andreas Veit, Vorstand im Verband der Immobilienverwalter Baden-Württemberg, erklärt im
Telefoninterview mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass die Mitglieder bislang nicht über mehr Zwist in Hausgemeinschaften berichteten. Neben seiner Tätigkeit im Verband ist Veit Geschäftsführer der Wohnungsbau Ludwigsburg, einer kommunalen Gesellschaft mit 3000 Wohnungen. „Wir hatten uns zu
Schlägt sich das Homeoffice auf die Befindlichkeiten der Bewohner von Hausgemeinschaften nieder? Das vermehrte Gerangel um Privatparkplätze beispielsweise legt diesen Verdacht nahe.
Beginn der Pandemie auf erheblich mehr Probleme eingestellt“, sagt Veit. Was, wenn die Leute von zu Hause aus arbeiten? Was, wenn auch die Kinder nur noch drinnen sind? Tohuwabohu total? Spielplatz Treppenhaus? „Es hat dann zwar eine Zunahme von Konflikten und Beschwerden im Frühjahr 2020 gegeben, aber noch in keinem bedenklichen Bereich“, sagt Veit. Die Wohnungsbau Ludwigsburg unterhalte sogenannte Konfliktgruppen, die Streitigkeiten durch Mediation lösten. „Was man gemerkt hat, ist, dass die Mülltonnen voller als sonst waren“, erinnert sich Veit. Durch das viele Bestellen im Internet und das Essen per Lieferservice. Insgesamt hat Andreas Veit aber eine überwiegend positive Botschaft aus der Ära der Pandemie: „Als wir zu Beginn der Corona-Krise unsere Bewohner dazu aufgerufen haben, sich zu melden, wenn sie Hilfe oder Unterstützung brauchen, um sich zu versorgen, haben sich viel mehr Leute gemeldet, die mithelfen wollten, als Menschen, die Hilfe brauchten.“
Womöglich ist die Pandemie bei kommunalen Hausverwaltungen mit Mietern anders verlaufen als bei privaten Verwaltungen, die Objekte mit Wohnungseigentümern betreuen, denn: Die Angestellte einer privaten Hausverwaltung am bayerischen Bodensee sagt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Leute sind richtig gemein zueinander.“
Die Geduld sei bei vielen Bewohnern erschöpft. „Es gibt auch viele Menschen im Homeoffice, die jetzt viel Zeit in Aus- oder Umbauarbeiten in die eigene Wohnung investieren.“Die glänzenden Geschäfte der Baumärkte legen nahe, dass diese Einschätzung richtig ist. „Das ist dann eben auch mit Lärm verbunden.“
Während der eine in einer Videokonferenz sich auf die Arbeit konzentrieren wolle, verlege der andere einen neuen Boden und säge zu diesem Zweck in unregelmäßigen Abständen die Dielen zu, bohre ständig irgendwelche Löcher oder mähe den Rasen seiner Gartenwohnung viel öfter als nötig. „Die Klagen über Lärmbelästigungen sind viel mehr geworden“, sagt die Hausverwaltungsangestellte und hofft, dass Homeoffice bald wieder der Vergangenheit angehört.
Dann habe die „Erbsenzählerei“vielleicht auch wieder ein Ende. Denn die frei gewordene Zeit durch das Homeoffice hätte so mancher Wohnungseigentümer genutzt, um Wirtschaftspläne und Nebenkostenabrechnungen mit sehr spitzer
Feder zu prüfen. „Da kann es dann sein, dass man der Hausverwaltung wegen ein paar Cent-Beträgen Vorwürfe macht.“
Zurück zu Herrn W. und seinem Parkplatzproblem: Eines Morgens muss er feststellen, dass der gelbe Bügel seines Parkwächters umgefahren worden ist. Der Herr Hausverwalter berichtet, dass sich W. so darüber geärgert habe, dass dieser sogar eine Anzeige bei der Polizei wegen Sachbeschädigung erstattet habe. Jemand habe das „gelbe Spielzeug“plattgemacht, erzählt der Hausverwalter und glaubt nicht, dass das betreffende Fahrzeug großen Schaden genommen haben kann. Dazu sei das Gerät einfach zu klapprig konstruiert. Herr W. habe die Überreste des Parkwächters in der Zwischenzeit demontiert, dem Vernehmen nach aber schon einen neuen und stabileren bestellt. „Die Zustimmung seiner Miteigentümer hat er wieder nicht eingeholt. Es ist gut möglich, dass die Sache noch vor Gericht landet.“Aber ein Richter
könne so einen Hausfrieden nicht reparieren, das müssten die Leute in einem Haus schon selber machen.
„Gestritten worden ist vor der Pandemie – und gestritten wird während der Pandemie, und danach auch“, glaubt Rechtsanwalt Karl Wanner, der in Lindau und Wangen eine Geschäftsstelle des Immobilien-Eigentümervereins Haus und Grund leitet. Von dieser Seite aus berichtet er von keinen besonderen Ausreißern während der CoronaPhase. Bei Haus und Grund sind nach seiner Aussage fast ausschließlich kleine und private Immobilienbesitzer, die zudem oft Vermieter sind, organisiert und keine großen Gesellschaften. Statt sich untereinander zu streiten, hätten private Mieter und Vermieter an einem Strang gezogen: „Viele haben sich wegen der Mietzahlungen arrangiert. Wir verzeichnen auch keinen höheren Zugang an Räumungsklagen“, erklärt Karl Wanner, der einen erhöhten Beratungsbedarf wegen Corona wahrgenommen hat, aber kein generell gesteigertes Konfliktpotenzial.
Bei der Recherche fällt auf, dass Menschen, die sich öffentlich und mit vollem Namen äußern, eher Positives zu berichten haben. Und Menschen, die hinter vorgehaltener Hand sprechen und sich darauf verlassen können, dass ihr Name nicht in der Zeitung steht, doch ganz andere Töne anschlagen. Was natürlich Zufall sein kann. Und was sagt Jörg Schenkluhn, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Wohnungsbau Oberland (GWO) aus Laupheim, die 1700 Mietwohnungen im Bestand hat und 1800 für Dritte verwaltet? „Wir verzeichnen keine Zunahme oder außerordentliche Konflikte.“Trotzdem habe die Pandemie die GWO vor Herausforderungen gestellt, etwa in der Koordination von Baustellen.
„Wir haben versucht, uns so eng wie möglich mit Mietern im Homeoffice abzustimmen, wenn es lärmintensive Arbeiten zu erledigen gab.“Handwerker hätten sich Mühe gegeben, darauf Rücksicht zu nehmen. „Wir haben aber eine grundsätzliche Sache aus der Homeofficeund Homeschooling-Zeit gelernt. Nämlich, dass wir unser Bauprogramm diesen neuen Bedürfnissen anpassen sollten“, erklärt Schenkluhn. Konkret bedeutet das, dass die GWO bei Neubauprojekten lieber kompakte Drei-ZimmerWohnungen einplane statt großzügigere Zwei-Zimmer-Wohnungen. Denn wer zu Hause lernt oder arbeitet, macht gerne die Tür hinter sich zu. „Wir sind sicher, dass da die Nachfrage noch zunimmt – und wir reagieren mit unserem Angebot darauf.“
Und Herr W. mit seinem Parkplatzproblem? Ist das nun ein Einzelfall? Ein Konflikt, der ohne das Homeoffice jetzt gar nicht aufgetreten wäre – dafür aber spätestens, wenn Herr W. in Rente gegangen wäre? Die 7-Tage-Inzidenzen pro 100 000 Einwohner waren im Bodenseekreis zuletzt erfreulich stabil unter der Marke von 35. Zwar halten viele Unternehmen weiterhin – zumindest tageweise – am Homeoffice fest, doch im Vergleich zu den harten Lockdown-Zeiten nimmt die Arbeit von zu Hause aus inzwischen wieder ab. Und damit vielleicht auch die Ungeduld mancher Menschen, die sich daheim jetzt nicht mehr so eingesperrt fühlen müssen. Und nicht mehr so oft und lange vom Fenster aus auf den Parkplatz schauen, wer da so alles parkt, während man eigentlich gar nicht da ist.
Angestellter einer privaten Hausverwaltung
„Die Leute sind richtig gemein
zueinander. Die Geduld ist
erschöpft.“