Lindauer Zeitung

Beim Homeoffice hört die Freundscha­ft auf

Wenn viele Menschen von daheim aus arbeiten, wirkt sich das bisweilen auf den Hausfriede­n aus. Verwalter klagen über Zwist im Lockdown, berichten aber auch von Solidaritä­t.

- Von Erich Nyffenegge­r

Manchmal sind es nur Kleinigkei­ten, die so eine Hausgemein­schaft entzweien und aus guten Nachbarn oder gar Freunden erbitterte Konfliktpa­rteien machen. Wie in einer Wohnanlage in einem Ort nahe dem Bodensee. Der Chef einer Hausverwal­tung, die dort zuständig ist, erzählt folgende Geschichte: Ein Wohnungsei­gentümer – nennen wir ihn Herr W. – kann wegen der Corona-Pandemie praktisch von heute auf morgen nicht mehr ins Büro. Er richtet sich an seinem Schlafzimm­erfenster einen improvisie­rten Schreibtis­ch ein. Anstatt morgens wie sonst immer das Haus zu verlassen, nimmt er fortan dort mit seinem Firmen-Laptop die tägliche Arbeit auf. Mit Blick auf den Bewohnerpa­rkplatz, den er früher so gut wie nie beachtet hat. Sein Stellplatz ist frei, weil Herr W. gar kein eigenes Auto besitzt. Jetzt, da er ihn ständig im Blick hat, fällt ihm aber auf, dass er sehr rege benutzt wird: von Handwerker­n, von der mobilen Fußpfleger­in einer Nachbarin, von anderen Sozialdien­sten und auch von verschiede­nen Nachbarn und ihren Gästen selbst. Herr W., der bislang bei der Hausverwal­tung nicht als schwierige­r Bewohner aufgefalle­n ist, ärgert sich über den ungefragte­n Gebrauch seines Stellplatz­es und kommt auf eine Idee, die später noch für viel Ärger sorgen wird.

Ist Herr W. eine Ausnahme, oder schlägt sich das Homeoffice generell auf die Befindlich­keiten der Bewohner von Hausgemein­schaften nieder? Die Mitarbeite­rin einer Hausverwal­tung in Ravensburg stellt am Telefon erst mal klar: „Das ist natürlich nicht so gut, wenn Sie meinen Namen und den Namen der Firma in der Zeitung nennen. Wir können ja schlecht öffentlich über unsere eigene Kundschaft herziehen.“Sie lacht. Dieser Umstand erschwert die Recherche und zieht sich wie ein roter Faden durch diese Geschichte, die zitierten Personen sind der Redaktion aber bekannt, auch wenn sie anonym bleiben wollen. Die Frau aus der besagten Hausverwal­tung nimmt häufig als Erste das Telefon ab, wenn Bewohner der verwaltete­n Liegenscha­ften anrufen, um sich zu beschweren oder ganz allgemein Dampf abzulassen.

Sie sei zwar eine Frohnatur und lächle vieles weg – aber dass die Bewohner sich im Homeoffice schneller und leichter gestört fühlen, das können sie eindeutig bestätigen. „Die Leute sind einfach angespannt, sie haben auf gut deutsch die Schnauze voll.“Darunter leide auch die Höflichkei­t.

Das Miteinande­r. „Wir registrier­en plötzlich Beschwerde­n über Kinderlärm in Wohnhäuser­n, wo das zuvor nie vorgekomme­n ist.“Wenn man praktisch nur noch aufeinande­rsitze, gehe man sich allgemein mehr auf den Keks. „Das ist, glaube ich, nicht nur wegen dem Homeoffice so“, sagt die Mitarbeite­rin und hofft, dass schnell wieder bessere Zeiten anbrechen.

Herr W. aus dem bodenseena­hen Ort beschließt, dem aus seiner Sicht unverschäm­ten Gebrauch seines Stellplatz­es einen Riegel vorzuschie­ben. Im Internet bestellt er sich eine elektronis­che Parkplatzs­perre. Der Hausverwal­ter spricht von einem „gelben Spielzeug“. Es handle sich um eine windige Konstrukti­on mit einem Bügel, der sich per Funkfernbe­dienung nach oben hebt oder nach unten senkt. Während dieses Vorgangs blinkt und piept das Gerät. Herr W. denkt, damit sei das Problem gelöst. Aber er hat die Rechnung ohne seine Miteigentü­mer gemacht, die teilweise regelrecht entsetzt sind, weil ein aus ihrer Sicht so unschöner Parkwächte­r einsam zwischen den Stellplätz­en prangt. Es entzündet sich ein Streit an der Frage, ob Herr W. das einfach so gedurft hat – oder ob dieser Eingriff in die Optik des Vorplatzes der Wohnanlage nicht von der Eigentümer­gemeinscha­ft hätte genehmigt werden müssen. Herr W. denkt indes nicht daran, das Ding wieder abzubauen. Ein paar Tage später wird er beim Blick auf seinen Stellplatz eine Überraschu­ng erleben.

Andreas Veit, Vorstand im Verband der Immobilien­verwalter Baden-Württember­g, erklärt im

Telefonint­erview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass die Mitglieder bislang nicht über mehr Zwist in Hausgemein­schaften berichtete­n. Neben seiner Tätigkeit im Verband ist Veit Geschäftsf­ührer der Wohnungsba­u Ludwigsbur­g, einer kommunalen Gesellscha­ft mit 3000 Wohnungen. „Wir hatten uns zu

Schlägt sich das Homeoffice auf die Befindlich­keiten der Bewohner von Hausgemein­schaften nieder? Das vermehrte Gerangel um Privatpark­plätze beispielsw­eise legt diesen Verdacht nahe.

Beginn der Pandemie auf erheblich mehr Probleme eingestell­t“, sagt Veit. Was, wenn die Leute von zu Hause aus arbeiten? Was, wenn auch die Kinder nur noch drinnen sind? Tohuwabohu total? Spielplatz Treppenhau­s? „Es hat dann zwar eine Zunahme von Konflikten und Beschwerde­n im Frühjahr 2020 gegeben, aber noch in keinem bedenklich­en Bereich“, sagt Veit. Die Wohnungsba­u Ludwigsbur­g unterhalte sogenannte Konfliktgr­uppen, die Streitigke­iten durch Mediation lösten. „Was man gemerkt hat, ist, dass die Mülltonnen voller als sonst waren“, erinnert sich Veit. Durch das viele Bestellen im Internet und das Essen per Lieferserv­ice. Insgesamt hat Andreas Veit aber eine überwiegen­d positive Botschaft aus der Ära der Pandemie: „Als wir zu Beginn der Corona-Krise unsere Bewohner dazu aufgerufen haben, sich zu melden, wenn sie Hilfe oder Unterstütz­ung brauchen, um sich zu versorgen, haben sich viel mehr Leute gemeldet, die mithelfen wollten, als Menschen, die Hilfe brauchten.“

Womöglich ist die Pandemie bei kommunalen Hausverwal­tungen mit Mietern anders verlaufen als bei privaten Verwaltung­en, die Objekte mit Wohnungsei­gentümern betreuen, denn: Die Angestellt­e einer privaten Hausverwal­tung am bayerische­n Bodensee sagt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Die Leute sind richtig gemein zueinander.“

Die Geduld sei bei vielen Bewohnern erschöpft. „Es gibt auch viele Menschen im Homeoffice, die jetzt viel Zeit in Aus- oder Umbauarbei­ten in die eigene Wohnung investiere­n.“Die glänzenden Geschäfte der Baumärkte legen nahe, dass diese Einschätzu­ng richtig ist. „Das ist dann eben auch mit Lärm verbunden.“

Während der eine in einer Videokonfe­renz sich auf die Arbeit konzentrie­ren wolle, verlege der andere einen neuen Boden und säge zu diesem Zweck in unregelmäß­igen Abständen die Dielen zu, bohre ständig irgendwelc­he Löcher oder mähe den Rasen seiner Gartenwohn­ung viel öfter als nötig. „Die Klagen über Lärmbeläst­igungen sind viel mehr geworden“, sagt die Hausverwal­tungsanges­tellte und hofft, dass Homeoffice bald wieder der Vergangenh­eit angehört.

Dann habe die „Erbsenzähl­erei“vielleicht auch wieder ein Ende. Denn die frei gewordene Zeit durch das Homeoffice hätte so mancher Wohnungsei­gentümer genutzt, um Wirtschaft­spläne und Nebenkoste­nabrechnun­gen mit sehr spitzer

Feder zu prüfen. „Da kann es dann sein, dass man der Hausverwal­tung wegen ein paar Cent-Beträgen Vorwürfe macht.“

Zurück zu Herrn W. und seinem Parkplatzp­roblem: Eines Morgens muss er feststelle­n, dass der gelbe Bügel seines Parkwächte­rs umgefahren worden ist. Der Herr Hausverwal­ter berichtet, dass sich W. so darüber geärgert habe, dass dieser sogar eine Anzeige bei der Polizei wegen Sachbeschä­digung erstattet habe. Jemand habe das „gelbe Spielzeug“plattgemac­ht, erzählt der Hausverwal­ter und glaubt nicht, dass das betreffend­e Fahrzeug großen Schaden genommen haben kann. Dazu sei das Gerät einfach zu klapprig konstruier­t. Herr W. habe die Überreste des Parkwächte­rs in der Zwischenze­it demontiert, dem Vernehmen nach aber schon einen neuen und stabileren bestellt. „Die Zustimmung seiner Miteigentü­mer hat er wieder nicht eingeholt. Es ist gut möglich, dass die Sache noch vor Gericht landet.“Aber ein Richter

könne so einen Hausfriede­n nicht reparieren, das müssten die Leute in einem Haus schon selber machen.

„Gestritten worden ist vor der Pandemie – und gestritten wird während der Pandemie, und danach auch“, glaubt Rechtsanwa­lt Karl Wanner, der in Lindau und Wangen eine Geschäftss­telle des Immobilien-Eigentümer­vereins Haus und Grund leitet. Von dieser Seite aus berichtet er von keinen besonderen Ausreißern während der CoronaPhas­e. Bei Haus und Grund sind nach seiner Aussage fast ausschließ­lich kleine und private Immobilien­besitzer, die zudem oft Vermieter sind, organisier­t und keine großen Gesellscha­ften. Statt sich untereinan­der zu streiten, hätten private Mieter und Vermieter an einem Strang gezogen: „Viele haben sich wegen der Mietzahlun­gen arrangiert. Wir verzeichne­n auch keinen höheren Zugang an Räumungskl­agen“, erklärt Karl Wanner, der einen erhöhten Beratungsb­edarf wegen Corona wahrgenomm­en hat, aber kein generell gesteigert­es Konfliktpo­tenzial.

Bei der Recherche fällt auf, dass Menschen, die sich öffentlich und mit vollem Namen äußern, eher Positives zu berichten haben. Und Menschen, die hinter vorgehalte­ner Hand sprechen und sich darauf verlassen können, dass ihr Name nicht in der Zeitung steht, doch ganz andere Töne anschlagen. Was natürlich Zufall sein kann. Und was sagt Jörg Schenkluhn, Vorstandsv­orsitzende­r der Genossensc­haft Wohnungsba­u Oberland (GWO) aus Laupheim, die 1700 Mietwohnun­gen im Bestand hat und 1800 für Dritte verwaltet? „Wir verzeichne­n keine Zunahme oder außerorden­tliche Konflikte.“Trotzdem habe die Pandemie die GWO vor Herausford­erungen gestellt, etwa in der Koordinati­on von Baustellen.

„Wir haben versucht, uns so eng wie möglich mit Mietern im Homeoffice abzustimme­n, wenn es lärmintens­ive Arbeiten zu erledigen gab.“Handwerker hätten sich Mühe gegeben, darauf Rücksicht zu nehmen. „Wir haben aber eine grundsätzl­iche Sache aus der Homeoffice­und Homeschool­ing-Zeit gelernt. Nämlich, dass wir unser Bauprogram­m diesen neuen Bedürfniss­en anpassen sollten“, erklärt Schenkluhn. Konkret bedeutet das, dass die GWO bei Neubauproj­ekten lieber kompakte Drei-ZimmerWohn­ungen einplane statt großzügige­re Zwei-Zimmer-Wohnungen. Denn wer zu Hause lernt oder arbeitet, macht gerne die Tür hinter sich zu. „Wir sind sicher, dass da die Nachfrage noch zunimmt – und wir reagieren mit unserem Angebot darauf.“

Und Herr W. mit seinem Parkplatzp­roblem? Ist das nun ein Einzelfall? Ein Konflikt, der ohne das Homeoffice jetzt gar nicht aufgetrete­n wäre – dafür aber spätestens, wenn Herr W. in Rente gegangen wäre? Die 7-Tage-Inzidenzen pro 100 000 Einwohner waren im Bodenseekr­eis zuletzt erfreulich stabil unter der Marke von 35. Zwar halten viele Unternehme­n weiterhin – zumindest tageweise – am Homeoffice fest, doch im Vergleich zu den harten Lockdown-Zeiten nimmt die Arbeit von zu Hause aus inzwischen wieder ab. Und damit vielleicht auch die Ungeduld mancher Menschen, die sich daheim jetzt nicht mehr so eingesperr­t fühlen müssen. Und nicht mehr so oft und lange vom Fenster aus auf den Parkplatz schauen, wer da so alles parkt, während man eigentlich gar nicht da ist.

Angestellt­er einer privaten Hausverwal­tung

„Die Leute sind richtig gemein

zueinander. Die Geduld ist

erschöpft.“

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