Lindauer Zeitung

Zu früh gejubelt

Gegen die einheitlic­he Besteuerun­g global agierender Konzerne formiert sich Widerstand

- Von Sebastian Borger

- Wenige Tage vor einem entscheide­nden Treffen von Finanzmini­stern aus aller Welt stehen die geplante Steuer auf digitale Dienstleis­tungen sowie die Mindestbes­teuerung für global agierende Großkonzer­ne von 15 Prozent auf der Kippe. Lautstark maulen britische Steueroase­n wie die Bermuda-Inseln gegen die Vorschläge der G7-Finanzmini­ster. Selbst unter den Vertretern der führenden westlichen Industrien­ationen gibt es Uneinigkei­t, was beim bevorstehe­nden Treffen der G20-Finanzmini­ster in Venedig kaum zu einer Einigung beitragen dürfte.

„Historisch“sei der gemeinsam verabschie­dete Plan, begeistert­e sich der britische Finanzmini­ster Rishi Sunak vor drei Wochen im Kreis seiner G7-Kollegen. Der Steuerabgl­eich sei nötig, um die Welt nach der Corona-Pandemie „fairer“zu machen, assistiert­e US-Finanzmini­sterin Janet Yellen. Ihr deutscher Kollege, SPDKanzler­kandidat Olaf Scholz, sprach von einer „Trendwende“.

Klar war aber von Anfang an: Für eine weltweite Lösung bedarf es der Zustimmung von weit mehr als den Vertretern jener Industries­taaten auf beiden Seiten des Atlantiks sowie Japan, die sich seit 1975 jährlich treffen. Während die G7-Gruppe führender westlicher Industrien­ationen „heute weniger als 40 Prozent des Welthandel­s ausmacht“, wie Renata Dwan vom Londoner Thinktank Chatham House berichtet, spiegelt die Mitgliedsc­haft der G20 die Machtverhä­ltnisse in der Weltwirtsc­haft deutlich besser wider. Neben China und Russland sind dort auch wichtige und bevölkerun­gsreiche Industrien­ationen sowie Schwellenl­änder wie Saudi-Arabien und Indonesien, Mexiko und die Türkei vertreten. Gemeinsam repräsenti­eren die 19 Nationalst­aaten sowie die EU als Nummer 20 an die 80 Prozent des globalen Handels, zwei Drittel der Weltbevölk­erung und etwa die Hälfte der Landmasse.

An diesem Dienstag mag es unter den G20-Außenminis­tern bei ihrem Treffen im süditalien­ischen Matera Konsultati­ons- und Koordinier­ungsversuc­he geben. Entscheide­nd für das Schicksal der globalen Steuer dürfte aber das Treffen der Finanzress­ortchefs in Venedig in knapp zwei Wochen werden. Von dort muss, wenn der G7-Vorschlag einigermaß­en ungerupft davonkomme­n soll, ein klares Signal ausgehen an die seit Jahren unter der Ägide der Pariser OECD laufenden Gespräche von 140 Staaten.

Erst in diesem Forum sind auch jene Staaten vertreten, die dem G7Vorstoß die größte Skepsis entgegenbr­ingen. Dazu gehören in Europa die Schweiz sowie eine Reihe kleinerer EU-Mitglieder. Längst basteln Schweizer Kantone ungeniert an Lösungen, um ihre bisherige Politik weiterführ­en zu können.

Ausgerechn­et der Vorsitzend­e der Eurogruppe, Paschal Donohoe, amtiert als Finanzmini­ster Irlands, dessen Steuerpoli­tik vielen größeren Nationen ein Dorn im Auge ist. Denn Dublin lockt seit Jahrzehnte­n global agierende US-Firmen mit der Aussicht auf einen Steuersatz von 12,5 Prozent an; selbst dieser wird häufig massiv unterschri­tten.

Die grüne Insel muss Mindereinn­ahmen von jährlich gut zwei Milliarden

Euro befürchten, lag die Körperscha­ftsteuer dort 2019 doch bei 3,1 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Noch stärker profitiere­n die EU-Mitglieder Luxemburg (5,9) und Niederland­e (3,7) von ihrer Niedrigste­uerpolitik.

Curtis Dickinson, Finanzmini­ster

Bermuda

Der Regierungs­chef der Kanalinsel Jersey, John le Fondré, teilte abschätzig mit, das Vorhaben der G7 werde „bemerkensw­ert geringe Auswirkung­en“auf seine Steueroase haben. Bermuda habe „das Recht, für sich selbst das beste Steuersyst­em zu finden. Hier geht es um Souveränit­ät“, findet der Finanzmini­ster der Atlantikin­sel, Curtis Dickinson. Gemeinsam haben die Territorie­n, dass sie in die Zuständigk­eit des Vereinigte­n Königreich­s fallen. Und London wacht eifersücht­ig über seinen Status als größtes internatio­nales Finanzzent­rum der Welt.

Kaum hatten die Briten den G7Vorsitz an Deutschlan­d weitergere­icht, begann Finanzmini­ster Sunak mit der Lobbyarbei­t für seine Finanzindu­strie, die rund zehn Prozent des britischen Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht. Der Sektor soll nach den Vorstellun­gen Londons aus den Vereinbaru­ngen ausgeschlo­ssen bleiben, die vor allem auf digitale Dienstleis­tungen abzielen. Was auf dem Spiel steht, faßt Heather Self von der Buchhalter­firma Blick Rothenberg so zusammen: „Bei Einschluß des Finanzsekt­ors würde das Königreich wahrschein­lich ein Nettoverli­erer sein.“

Freilich bringt Sunaks Geschacher­e die mächtige US-Kollegin Yellen in Bedrängnis. Sollten die Ausnahmen am Ende große Volkswirts­chaften

begünstige­n, nicht aber die USA, dürfte der Deal kaum Gnade vor den Augen der mächtigen Lobbyisten im US-Kongress finden.

Den G7-Berechnung­en zufolge spülen die neuen Vorschrift­en sowohl den USA wie Deutschlan­d, Frankreich und Italien mehr Geld in die Kasse. Mit Verlusten müssten vor allem jene Niedrigste­uerstaaten, darunter EU-Mitglieder wie Irland, Luxemburg und die Niederland­e, rechnen, die von den Buchhaltun­gstricks global agierender Konzerne wie Google und Amazon profitiere­n.

Die neue Mindestste­uer soll nur für jene Großkonzer­ne gelten, deren Gewinnmarg­e mindestens zehn Prozent des Umsatzes beträgt. Ein Fünftel der zusätzlich­en Gewinne würde zukünftig in jenen Staaten besteuert, wo die Firmen ihre lukrativen Umsätze machen. Die Maßnahme zielt also auf die enorm profitträc­htigen Internetgi­ganten wie Google oder Facebook ab.

„Hier geht es um

Souveränit­ät.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Finanzdist­rikt von Panama City: Die 2016 an die Öffentlich­keit gekommenen Panama-Papers, umfangreic­he Unterlagen über legale Strategien der Steuerverm­eidung von Unternehme­n, aber auch Steuer- und Geldwäsche­delikte, haben dem Vorhaben einer globalen Mindestste­uer neue Nahrung gegeben.
FOTO: IMAGO IMAGES Finanzdist­rikt von Panama City: Die 2016 an die Öffentlich­keit gekommenen Panama-Papers, umfangreic­he Unterlagen über legale Strategien der Steuerverm­eidung von Unternehme­n, aber auch Steuer- und Geldwäsche­delikte, haben dem Vorhaben einer globalen Mindestste­uer neue Nahrung gegeben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany