Leere Betten als Geschäftsmodell
SPD-Politikerin Mattheis kritisiert Ulmer Uniklinik wegen Corona-Ausgleichszahlungen
- Zunächst wurden die deutschen Krankenhäuser hochgelobt für ihren Einsatz im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Nun aber stehen sie am Pranger des Bundesrechnungshofs. Es habe „eine massive Überkompensation aus Steuermitteln“stattgefunden, kritisiert dieser. Der versteckte Vorwurf: Manche Kliniken hätten sich in der Krise gesundgestoßen. Sie sollen zu viele der vom Bund bereitgestellten Ausgleichszahlungen kassiert haben.
Dass es während der Pandemie zu „ziemlichen Bereicherungen“gekommen ist, wie es die Ulmer SPDBundestagsabgeordnete Hilde Mattheis formuliert, scheint klar. Zunächst ging es um fragwürdige Maskengeschäfte von Politikern aus CDU und CSU, dann um Testzentren, deren Betreiber zu viele Tests abgerechnet hatten. Nun hat die Gesundheitspolitikerin Mattheis die Ulmer Uniklinik ins Visier genommen.
Im Herbst scheidet Mattheis nach 20 Jahren aus dem Bundestag aus. Viele Gefechte hat die heute 66-Jährige in dieser Zeit geschlagen, zuletzt legte sie sich mit Heiner Scheffold an, dem parteilosen Landrat des AlbDonau-Kreises. Sie zeigte sich unzufrieden mit der Arbeit des örtlichen Gesundheitsamts. Die beiden lieferten sich einen über die Medien ausgetragenen Schlagabtausch.
Nun zieht Mattheis in die womöglich letzte Auseinandersetzung ihrer politischen Karriere. Ihr Gegenüber ist Udo Kaisers, Chef des Ulmer Uniklinikums, Ulms größter Arbeitgeber.
Es geht um Milliardensummen, Steuerzahlergeld, das der Bund den Kliniken seit dem vergangenen Frühjahr überwiesen hat, damit diese Betten freihalten für Covid-19-Patienten. Deren Behandlung wird spätestens dann teuer und aufwändig, wenn sie beatmet werden müssen. Außerdem sollte der Zuschuss den Kliniken helfen: Denn eigentlich können sie es sich kaum leisten, Betten frei zu halten. Diese rechnen sich nur, wenn die Häuser dafür Behandlungskosten mit den Krankenkassen abrechnen können. Damit in Pandemiezeiten dennoch Reserveplätze für schwere Fälle blieb, sprang der Bund ein.
Auch die Ulmer Uniklinik hat von solchen „Freihaltepauschalen“profitiert, rund 500 Euro gab es pro Bett und Tag. Auch floss Geld, wenn Kliniken neue Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit
einrichteten – 50 000 Euro pro Bett. Bundesweit sind unterm Strich bislang 14 Milliarden Euro ausgeschüttet worden.
Doch ging dabei alles mit rechten Dingen zu? Noch bevor dies unlängst der Bundesrechnungshof anzweifelte, begann Mattheis, der Ulmer Uniklinik Fragen zu stellen, das war schon im Mai. Für sie befriedigende Antworten bekam sie nicht. Was sie wissen wollte: Wie viel Geld hat das Krankenhaus tatsächlich bekommen, und sind diese Betten auch wirklich eingerichtet worden?
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will mittlerweile dem Verdacht nachgehen, ob deutsche Kliniken die Zahl freier Intensivbetten zum Kassieren von Freihaltepauschalen heruntergerechnet haben könnten. Warum „heruntergerechnet“? Weil in den Genuss der Gelder nur Häuser kamen, bei denen der Anteil an freien Betten unter 25 Prozent lag. Spahn findet nun: Das müsse aufgeklärt werden. Jedoch „jenseits von Vermutungen“.
Rund 1200 Betten hat die Ulmer Uniklinik. Doch wie viele davon für Covid-19-Patienten frei gehalten und wie viele neu geschaffen wurden, das weiß Mattheis auch nach einem Gesprächstermin
mit Klinikchef Udo Kaisers nicht, sagt sie. Kaisers habe ihr hinter verschlossener Türe vorgeworfen, Parteipolitik zu betreiben vor der Bundestagswahl. Mattheis, die dem linken SPD-Flügel zugerechnet wird, bringt das auf die Palme.
Offiziell teilt die Uniklinik der Öffentlichkeit zum Verdacht von Mattheis und dem Rechnungshof mit: „Es wurden zu keinem Zeitpunkt falsche oder unvollständige Angaben gemacht.“Bei der Erweiterung der Intensivbettenkapazität habe die Klinik die Intention des Gesetzgebers „wortgetreu“umgesetzt. Allerdings: Wie viel Geld sie nun tatsächlich bekommen hat – das will sie nicht sagen. Für Mattheis ein eklatanter Fall von Intransparenz.
Fachlich ist die Uniklinik für die Politikerin über jegliche Zweifel erhaben. Sie lobt die erstklassige Arbeit des Personals – vor allem in der extrem belastenden Corona-Zeit mit Rund-um-die-Uhr Schichten auf den Stationen. Doch die Pandemie habe auch Existenzen zerstört. Da müsse es eine Selbstverständlichkeit sein, findet Mattheis, dass Krankenhäuser, auch wenn sie vielen Covid-19Patienten das Leben gerettet haben, Rechenschaft darüber ablegen, was sie mit dem vielen zusätzlichen Steuergeld angestellt haben.
Das für Unikliniken im Land zuständige Stuttgarter Sozialministerium hält sich zurück. Eine Sprecherin sagt, es sei nicht möglich, der Öffentlichkeit mitzuteilen, wie hoch die
Ausgleichszahlungen an die Uniklinik waren und womöglich noch sind. Begründung: „Wahrung der Betriebsund Geschäftsgeheimnisse“der Uniklinik.
Das Ministerium räumt ein, dass das Hilfsprogramm des Bundes zu anfangs bei baden-württembergischen Kliniken durchaus für Verwirrung gesorgt habe. Diese mussten ihre freien Kapazitäten dem Divi-Intensivregister melden. Und je nach angezeigter Auslastung flossen dann die Ausgleichszahlungen.
Laut der Ministeriumssprecherin sei es dabei zu „Unklarheiten“gekommen. Die habe man jedoch „sehr zügig“behoben. Zu keiner Zeit habe das Ministerium Hinweise erhalten auf „absichtliche Falschmeldungen“oder „betrügerische Absichten“. Ministerium wie Klinik verweisen darauf, dass Corona eine Ausnahmesituation war. Die Krankenhäuser befanden sich plötzlich in einer Notlage. In der galt es, schnell ausreichend Intensivkapazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen.
Dem widerspricht Mattheis nicht. Doch so lange ihr die Klinik den Beweis schuldig bleibe, dass die zusätzlichen Gelder vorschriftsmäßig verwendet wurden, sei sie skeptisch. Mattheis schätzt, dass mindestens zehn Millionen Euro nach Ulm geflossen sind. Sie fragt sich: Warum mauern Klinik und Ministerium so? Wenn sie nichts zu verbergen haben, dann könnten sie die Zahlen doch offenlegen.