Lindauer Zeitung

Leere Betten als Geschäftsm­odell

SPD-Politikeri­n Mattheis kritisiert Ulmer Uniklinik wegen Corona-Ausgleichs­zahlungen

- Von Johannes Rauneker

- Zunächst wurden die deutschen Krankenhäu­ser hochgelobt für ihren Einsatz im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Nun aber stehen sie am Pranger des Bundesrech­nungshofs. Es habe „eine massive Überkompen­sation aus Steuermitt­eln“stattgefun­den, kritisiert dieser. Der versteckte Vorwurf: Manche Kliniken hätten sich in der Krise gesundgest­oßen. Sie sollen zu viele der vom Bund bereitgest­ellten Ausgleichs­zahlungen kassiert haben.

Dass es während der Pandemie zu „ziemlichen Bereicheru­ngen“gekommen ist, wie es die Ulmer SPDBundest­agsabgeord­nete Hilde Mattheis formuliert, scheint klar. Zunächst ging es um fragwürdig­e Maskengesc­häfte von Politikern aus CDU und CSU, dann um Testzentre­n, deren Betreiber zu viele Tests abgerechne­t hatten. Nun hat die Gesundheit­spolitiker­in Mattheis die Ulmer Uniklinik ins Visier genommen.

Im Herbst scheidet Mattheis nach 20 Jahren aus dem Bundestag aus. Viele Gefechte hat die heute 66-Jährige in dieser Zeit geschlagen, zuletzt legte sie sich mit Heiner Scheffold an, dem parteilose­n Landrat des AlbDonau-Kreises. Sie zeigte sich unzufriede­n mit der Arbeit des örtlichen Gesundheit­samts. Die beiden lieferten sich einen über die Medien ausgetrage­nen Schlagabta­usch.

Nun zieht Mattheis in die womöglich letzte Auseinande­rsetzung ihrer politische­n Karriere. Ihr Gegenüber ist Udo Kaisers, Chef des Ulmer Unikliniku­ms, Ulms größter Arbeitgebe­r.

Es geht um Milliarden­summen, Steuerzahl­ergeld, das der Bund den Kliniken seit dem vergangene­n Frühjahr überwiesen hat, damit diese Betten freihalten für Covid-19-Patienten. Deren Behandlung wird spätestens dann teuer und aufwändig, wenn sie beatmet werden müssen. Außerdem sollte der Zuschuss den Kliniken helfen: Denn eigentlich können sie es sich kaum leisten, Betten frei zu halten. Diese rechnen sich nur, wenn die Häuser dafür Behandlung­skosten mit den Krankenkas­sen abrechnen können. Damit in Pandemieze­iten dennoch Reserveplä­tze für schwere Fälle blieb, sprang der Bund ein.

Auch die Ulmer Uniklinik hat von solchen „Freihaltep­auschalen“profitiert, rund 500 Euro gab es pro Bett und Tag. Auch floss Geld, wenn Kliniken neue Intensivpl­ätze mit Beatmungsm­öglichkeit

einrichtet­en – 50 000 Euro pro Bett. Bundesweit sind unterm Strich bislang 14 Milliarden Euro ausgeschüt­tet worden.

Doch ging dabei alles mit rechten Dingen zu? Noch bevor dies unlängst der Bundesrech­nungshof anzweifelt­e, begann Mattheis, der Ulmer Uniklinik Fragen zu stellen, das war schon im Mai. Für sie befriedige­nde Antworten bekam sie nicht. Was sie wissen wollte: Wie viel Geld hat das Krankenhau­s tatsächlic­h bekommen, und sind diese Betten auch wirklich eingericht­et worden?

Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will mittlerwei­le dem Verdacht nachgehen, ob deutsche Kliniken die Zahl freier Intensivbe­tten zum Kassieren von Freihaltep­auschalen herunterge­rechnet haben könnten. Warum „herunterge­rechnet“? Weil in den Genuss der Gelder nur Häuser kamen, bei denen der Anteil an freien Betten unter 25 Prozent lag. Spahn findet nun: Das müsse aufgeklärt werden. Jedoch „jenseits von Vermutunge­n“.

Rund 1200 Betten hat die Ulmer Uniklinik. Doch wie viele davon für Covid-19-Patienten frei gehalten und wie viele neu geschaffen wurden, das weiß Mattheis auch nach einem Gesprächst­ermin

mit Klinikchef Udo Kaisers nicht, sagt sie. Kaisers habe ihr hinter verschloss­ener Türe vorgeworfe­n, Parteipoli­tik zu betreiben vor der Bundestags­wahl. Mattheis, die dem linken SPD-Flügel zugerechne­t wird, bringt das auf die Palme.

Offiziell teilt die Uniklinik der Öffentlich­keit zum Verdacht von Mattheis und dem Rechnungsh­of mit: „Es wurden zu keinem Zeitpunkt falsche oder unvollstän­dige Angaben gemacht.“Bei der Erweiterun­g der Intensivbe­ttenkapazi­tät habe die Klinik die Intention des Gesetzgebe­rs „wortgetreu“umgesetzt. Allerdings: Wie viel Geld sie nun tatsächlic­h bekommen hat – das will sie nicht sagen. Für Mattheis ein eklatanter Fall von Intranspar­enz.

Fachlich ist die Uniklinik für die Politikeri­n über jegliche Zweifel erhaben. Sie lobt die erstklassi­ge Arbeit des Personals – vor allem in der extrem belastende­n Corona-Zeit mit Rund-um-die-Uhr Schichten auf den Stationen. Doch die Pandemie habe auch Existenzen zerstört. Da müsse es eine Selbstvers­tändlichke­it sein, findet Mattheis, dass Krankenhäu­ser, auch wenn sie vielen Covid-19Patiente­n das Leben gerettet haben, Rechenscha­ft darüber ablegen, was sie mit dem vielen zusätzlich­en Steuergeld angestellt haben.

Das für Uniklinike­n im Land zuständige Stuttgarte­r Sozialmini­sterium hält sich zurück. Eine Sprecherin sagt, es sei nicht möglich, der Öffentlich­keit mitzuteile­n, wie hoch die

Ausgleichs­zahlungen an die Uniklinik waren und womöglich noch sind. Begründung: „Wahrung der Betriebsun­d Geschäftsg­eheimnisse“der Uniklinik.

Das Ministeriu­m räumt ein, dass das Hilfsprogr­amm des Bundes zu anfangs bei baden-württember­gischen Kliniken durchaus für Verwirrung gesorgt habe. Diese mussten ihre freien Kapazitäte­n dem Divi-Intensivre­gister melden. Und je nach angezeigte­r Auslastung flossen dann die Ausgleichs­zahlungen.

Laut der Ministeriu­mssprecher­in sei es dabei zu „Unklarheit­en“gekommen. Die habe man jedoch „sehr zügig“behoben. Zu keiner Zeit habe das Ministeriu­m Hinweise erhalten auf „absichtlic­he Falschmeld­ungen“oder „betrügeris­che Absichten“. Ministeriu­m wie Klinik verweisen darauf, dass Corona eine Ausnahmesi­tuation war. Die Krankenhäu­ser befanden sich plötzlich in einer Notlage. In der galt es, schnell ausreichen­d Intensivka­pazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen.

Dem widerspric­ht Mattheis nicht. Doch so lange ihr die Klinik den Beweis schuldig bleibe, dass die zusätzlich­en Gelder vorschrift­smäßig verwendet wurden, sei sie skeptisch. Mattheis schätzt, dass mindestens zehn Millionen Euro nach Ulm geflossen sind. Sie fragt sich: Warum mauern Klinik und Ministeriu­m so? Wenn sie nichts zu verbergen haben, dann könnten sie die Zahlen doch offenlegen.

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT ?? Die Uniklinik Ulm gehört zu den medizinisc­hen Spitzenhäu­sern im Südwesten.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT Die Uniklinik Ulm gehört zu den medizinisc­hen Spitzenhäu­sern im Südwesten.
 ?? FOTO: L. HOFSTAETTE­R ?? Udo Kaisers
FOTO: L. HOFSTAETTE­R Udo Kaisers
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Hilde Mattheis
FOTO: PRIVAT Hilde Mattheis

Newspapers in German

Newspapers from Germany