Lindauer Zeitung

Ärzte erkannten keine Gewaltgefa­hr

Der Täter von Würzburg war in psychiatri­scher Behandlung

- Von Dominik Guggemos

- Ein Drittel der Menschen, die als Kinder Gewalt erleben, werden später gewalttäti­g. Ob diese Erfahrunge­n dazu beitragen, ob jemand auch zum Terroriste­n wird, ist unklar.

Warum attackiert­e ein 24-Jähriger aus Somalia am Freitagabe­nd zahlreiche Frauen in Würzburg und verletzt drei von ihnen tödlich? Diese Frage wird die Ermittler voraussich­tlich noch länger beschäftig­en. Die Anzeichen für ein islamistis­ches Motiv verdichten sich laut Aussagen des bayerische­n Innenminis­ters Joachim Herrmann (CSU), der von einem „eklatanten Verdacht“spricht, bei der Durchsuchu­ng der Unterkunft des 24-Jährigen habe man „einiges gefunden, was auf islamistis­ches Propaganda­material hinweisen könnte“.

Was man bereits sicher sagen kann: Der Somalier war in den Monaten vor der Tat mehrfach durch Handlungen, die auf eine psychische Erkrankung hinweisen, auffällig, wurde kurzzeitig in die Psychiatri­e zwangseing­ewiesen. Einen weiteren Aufenthalt Mitte Juni brach er ab, gegen den Rat der Ärzte. Diese konnten keine konkrete Gewaltgefa­hr erkennen, mussten ihn deswegen gehen lassen. Solche Risikoabwä­gungen seien für Psychiater Standard, sagt Sabine Köhler, die auch Vorsitzend­e der Deutschen Nervenärzt­e ist. „In den meisten Fällen stimmen diese Abwägungen, aber absolute Sicherheit können wir natürlich nicht geben.“

Über konkrete Traumata, die der Täter erlebt hat, könnte man nur spekuliere­n, doch was machen solche Erlebnisse grundsätzl­ich mit Menschen? Thomas Elbert ist Professor für Klinische Psychologi­e an der Universitä­t Konstanz, arbeitet viel mit traumatisi­erten Geflüchtet­en. Er warnte schon 2018 davor, Geflüchtet­e mit ihren Traumata alleine zu lassen. Elbert hört tragische Geschichte­n, Menschen, die in ihrer Heimat und auf den Flüchtling­sbooten beschossen wurden, für die ein schneller Herzschlag schon traumatisc­he Erinnerung­en hervorhole­n kann. Er sagt, dass man das Geschehene, das diese Menschen erlebt haben, nicht ungeschehe­n machen, wohl aber dabei helfen könne, dass diese Bedrohung als Teil der Vergangenh­eit wahrgenomm­en wird, nicht mehr im Hier und Jetzt.

„Nicht jeder, der Gewalt erlebt, wird gewalttäti­g“, sagt Elbert, „aber praktisch immer gilt: Jeder, der gewalttäti­g wird, hat schlimmste Erfahrunge­n in der Kindheit gemacht.“ Er rechnet vor: Rund ein Fünftel der Kinder erleben im häuslichen Bereich Gewalt, sei es der prügelnde Vater oder sexueller Missbrauch. Rund ein Drittel dieser Kinder werde später selbst gewalttäti­g. In Dänemark gebe es dazu aussagekrä­ftige Studien. Ein kausaler Zusammenha­ng sei schwierig herzustell­en,

Regierungs­sprecher Steffen Seibert hat im Namen von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die „fürchterli­chen, niederträc­htigen Morde“von Würzburg verurteilt. Es sei „eine Tat von nicht zu begreifend­er Brutalität und Bösartigke­it“, sagte er am Montag in Berlin. Die Anteilnahm­e gelte den Opfern, den Familien der Ermordeten, den Schwerverl­etzten und denen, die das Entsetzlic­he miterlebt hätten.

Die Kanzlerin sei dankbar für den Mut und die Geistesgeg­enwart von Menschen auf der Straße, die sich dem Täter entgegenge­stellt sagt Elbert, aber Tierversuc­he mit Affen würden ihn nahelegen.

Auch die Psychiater­in Köhler sagt, dass man zwar keinesfall­s verallgeme­inern dürfe, aber: „Sehr wohl gibt es eine große Korrelatio­n zwischen Gewalt erfahren und Gewalt ausüben.“Gewalt alleine sei gleichwohl und so womöglich weitere Morde verhindert hätten. „Das ist eine Heldentat“, betonte Seibert. Er würdigte das „schnelle, entschloss­ene Eingreifen“der Polizei. Zum Tatmotiv sagte der Regierungs­sprecher, dies herauszufi­nden, sei Aufgabe der Ermittler. Es gebe Hinweise auf islamistis­che Hass-Propaganda in der Wohnung des Mannes sowie auf psychische Probleme. Seibert warnte aber davor, von einem Täter auf andere Menschen derselben Ethnie, derselben Herkunft oder derselben Religion zu schließen. (epd) selten der einzige Faktor, meistens kämen soziale Probleme dazu. Flüchtling­e aus Kriegsgebi­eten haben oft beides erlebt.

Um Menschen mit psychische­n Erkrankung­en helfen zu können, braucht es Therapien, doch entspreche­nde Plätze sind Mangelware – die Pandemie verschärft das Problem noch. Elbert ist Teil einer Forschergr­uppe der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften, die vorschlägt, Laien zu Traumather­apeuten auszubilde­n. So könnten einem Profi-Therapeute­n fünf Laien – ehemalige Lehrer, Sozialarbe­iter, Psychologi­estudenten – unterstell­t sein, die mit entspreche­nden Grundkennt­nissen ausgestatt­et Traumapati­enten helfen könnten. Studien würden zeigen, dass das große Erfolge bringt und funktionie­re, betont Elbert. Das Problem dabei? „Jetzt geht es darum: Wer darf was in Deutschlan­d? Ein bürokratis­ches Monster.“

Immerhin: Die Baden-Württember­g Stiftung fördert ein Projekt von Elbert und der Uni Konstanz, das Geflüchtet­e auf Traumata untersucht und Hilfe anbietet.

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Trauer am Tatort in Würzburg: In der Innenstadt hat ein psychisch auffällige­r und womöglich islamistis­ch radikalisi­erter Somalier drei Menschen ermordet.

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