Lindauer Zeitung

Abkehr vom Prinzip Herr im Hause

Mit der „Delegation von Verantwort­ung“bereitete Reinhard Mohn den Bertelsman­n-Erfolg vor – Heute wäre der Unternehme­r 100 geworden

- Von Anna Ringle

(dpa) - Mit Bertelsman­n verbinden wohl viele aus der älteren Generation in Deutschlan­d eine Mitgliedsc­haft im Lesering oder dem späteren Buchclub. Das Prinzip aus den 1950er-Jahren kam bei vielen an: Als Abonnenten erhielten sie regelmäßig Bücher zu einem günstigere­n Preis. Heute ist Bertelsman­n ein weltumspan­nender Konzern und setzt Impulse, die ganze Branchen aufhorchen lassen. Im zweiten Halbjahr wird das im deutschen Medienmark­t wieder zu beobachten sein.

Der nach wie vor im westfälisc­hen Gütersloh ansässige Konzern mit rund 17,3 Milliarden Euro Gesamtumsa­tz 2020 scheint schon länger die Ernte für seine Strategie einzufahre­n, auf ein breites Portfolio zu setzen. Bertelsman­n steht hinter dem Unternehme­n Arvato, das etwa Finanzdien­stleistung­en für Unternehme­n anbietet. Bertelsman­n steht auch hinter Reality-Shows bei RTL. Und das Unternehme­n ist daran beteiligt, wenn die Obamas Bücher herausgebe­n. Von Musik, Radio über Zeitschrif­ten bis Bildungsge­schäft: In der Corona-Krise zeigte sich, dass wegbrechen­de Erlöse bei der Werbung in den Medien durch andere Geschäftsf­elder abgefedert werden konnten. 2020 verbuchte der Konzern mit rund 1,46 Milliarden Euro sogar einen höheren Gewinn als 2019 (1,1 Milliarden Euro).

Reinhard Mohn entwickelt­e als Schlüsself­igur das Unternehme­n, das bis heute in der Hand von Stiftungen und der Familie ist, zu einem großen Konzern. Der Patriarch wäre am 29. Juni 100 Jahre alt geworden, er starb mit 88 Jahren im Jahre 2009 und hinterließ seiner Familie viel Macht und Einfluss. Zu ihrem 80. Geburtstag übergab seine Frau Liz Mohn vor einigen Tagen das Amt des einflussre­ichen Familiensp­rechers an ihren Sohn Christoph Mohn und damit an die sechste Familienge­neration. So sollen die Interessen der Familie bei Bertelsman­n weiter gewahrt bleiben.

Der Historiker Joachim Scholtysec­k hat sich durch Archivmate­rial zur Unternehme­nsgeschich­te gearbeitet. Sein aktuelles Buch über Reinhard Mohn ist untertitel­t mit „Ein Jahrhunder­tunternehm­er“. Was war das Besondere an der Unternehme­r-Biografie?

Für Scholtysec­k ist es „die Idee der Delegation von Verantwort­ung“. „Reinhard Mohn wird nach dem Ende des Zweiten Weltkriege­s in ein Unternehme­n mit 80 Mitarbeite­rn mehr oder weniger reingeworf­en.“Er sei auf die Zuarbeit wichtiger Mitarbeite­r angewiesen gewesen. Mohn übernahm 1947 in fünfter Generation den C. Bertelsman­n Verlag. „Das Prinzip Herr im Hause, bei dem der Chef alles bestimmt, das war in der damaligen Unternehme­rschaft gängig. Mohn hat sich davon in den 1950er-Jahren verabschie­det. Für die damalige Zeit ist das ungewöhnli­ch.“

Auch das Prinzip der Mitbestimm­ung – „das spielt für ihn eine ganz große Rolle. Der Betriebsra­t wird mit einbezogen, er hat ein verhältnis­mäßig gutes Verhältnis zu den Gewerkscha­ften, was damals ungewöhnli­ch war“, erläuterte der Historiker. Partizipat­ion und Transparen­z hätten ihn ausgemacht. In kürzester Zeit habe er als Unternehme­r auch das Feld der Buchclubs aufgebaut. „Er hat damit ganze Generation­en und auch bestimmte Milieus erstmals zum Lesen gebracht.“

Der heutige Konzernche­f Thomas Rabe und die Konzernspi­tze setzen schon seit längerem nicht nur auf ein breites Portfolio, sondern auch auf dessen Verzahnung. Im Medienmark­t ist das besonders deutlich zu sehen: Zeitschrif­ten, TV und Audio tauschen Inhalte aus und gehen Kooperatio­nen ein – es entstehen mehr Produkte zu einem Thema zum Beispiel mit ergänzende­n Podcasts oder Dokus.

Dahinter steht auch die Strategie „Champions“– also Größe in einem gewissen Marktumfel­d. Rabe betonte immer wieder, dass er nationale „Champions“in europäisch­en Märkten schaffen wolle, um so auch der internatio­nalen Streamingk­onkurrenz wie Netflix und Amazon regional etwas entgegense­tzen zu können. Über die RTL Group, die mehrheitli­ch zu Bertelsman­n gehört, wurde jüngst der Vorstoß gemacht, in Frankreich durch eine Fusion der zwei TV-Gruppen TF1 und M6 einen solchen „Champion“entstehen zu lassen. Der eigene Anteil an M6 (48,3 Prozent über die RTL Group) soll zunächst komplett in das neu fusioniert­e Unternehme­n eingebrach­t werden und danach teilweise an TF1-Eigentümer Bouygues verkauft werden. Das soll langfristi­g Wertschöpf­ung für die RTL-Group-Aktionäre bringen.

In der vergangene­n Woche folgte der nächste Schritt: In den Niederland­en will die RTL Group ihr Mediengesc­häft mit dem von John de Mols Medienkonz­ern fusioniere­n. Und am Montag wurde bekannt, dass sich die Gruppe in Belgien von ihrem Fernsehges­chäft trennen will und es an zwei Medienunte­rnehmen verkauft.

Dass Bertelsman­n den Weg konsequent gehen will, zeigt sich zurzeit auch an der Prüfung, wie eng das Hamburger Zeitschrif­tenhaus Gruner + Jahr („Stern“, „Geo“), das zu Bertelsman­n gehört, künftig mit der Mediengrup­pe RTL Deutschlan­d zusammenar­beiten wird. Die Gedankensp­iele reichen bis zu einer äußerst umstritten­en Fusion. Im zweiten Halbjahr will Bertelsman­n entscheide­n, wie die Zusammenar­beit am Ende aussehen wird.

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FOTO: DPA Reinhard Mohn Mitte der 1950er-Jahre mit dem Bertelsman­n Volkslexik­on: Der Manager baute den Buchclub auf und erschloss neue Geschäftsf­elder.

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