Lindauer Zeitung

Polizeipfe­rde als Sympathiet­räger

Beamte hoch zu Ross helfen auch bei Corona-Einsätzen – Stuten sind außen vor

- Von Julia Giertz

(dpa) - Lester ist ein cooler 15-Jähriger: Ihn irritieren weder kläffende Hunde, laute Sirenen oder wehende Fahnen. Neugierig, lernbereit, mutig – der große Braune ist ein Aktivposte­n in der Reiterstaf­fel das Landes Baden-Württember­g. Das Warmblutpf­erd mit der Sternbless­e steht bei Einsätzen an vorderster Front und verhindert, dass unerfahren­e Tiere nervös werden und ausscheren.

Stammreite­r Ralf Münzer schätzt an seinem Pferd, dass es einen eigenen Kopf hat, mitdenkt und temperamen­tvoll ist. Das Tier sei aber auch sehr selbstbewu­sst und eigenbrötl­erisch, sagt Münzer, einer der 15 Mitglieder der Mannheimer Reiterstaf­fel. Anfangs habe der Wallach keinen Respekt vor Menschen gehabt. Nach etlichen Kämpfen zwischen Pferd und Reiter gehört er jetzt zu den „Verlasspfe­rden“. In ganz Deutschlan­d hat die Polizei tierische Unterstütz­ung, vor allem im Westen.

Stuten gibt es bei den Reiterstaf­feln nicht. Auf dem Hof im ländlichen Weiler Mannheim-Straßenhei­m erklärt der Leiter der Staffel, Jens Grimm: „Weibliche Tiere würden Unruhe verursache­n – dann werden die Wallache doch wieder zu kleinen Hengsten.“Für die Staffeln in Mannheim und Stuttgart sind um die 30 Pferde im Dienst.

Die Pandemie hatte auch auf sie Einfluss: Sie rückten bei einem Großteil ihrer Einsätze aus, um die Demos gegen die Corona-Politik oder das Einhalten der Corona-Verordnung zu überwachen. Im Jahr 2020 hatte etwa im Südwesten rund jeder zweite der insgesamt 366 Einsätze Bezug zur Pandemie. Vom Pferderück­en aus haben die Beamten den Überblick. Gerade bei unerlaubte­n Versammlun­gen werden Pferde zur Räumung eingesetzt. Mit ihren 750 Kilo können sie Menschen wegschubse­n, ohne sie zu verletzen.

Auch bei Fußballspi­elen und der Vermissten­suche leisten Pferde gute Dienste. Die Beamten hoch zu Ross durchlaufe­n eine allgemeine Polizeiaus­bildung, bevor sie zur Reiterstaf­fel kommen. In der Hamburger Innenbehör­de etwa heißt es: „Die Reiterstaf­feln können für Respekt sorgen, ohne martialisc­h zu wirken.“In der Hansestadt sind berittene Polizisten heute ein selbstvers­tändlicher Anblick; 2010 war nach 35 Jahren wieder eine Reiterstaf­fel eingeführt und die Fahrradsta­ffel abgeschaff­t worden.

Vor allem in Bayern wird die Arbeit der Berittenen geschätzt. Derzeit gibt es 59 Dienstpfer­de in München, Rosenheim und Nürnberg – 100 Pferde sollen es bis Ende der Legislatur­periode werden. Patin der Staffeln ist keine Geringere als Karin Baumüller-Söder, die Frau des bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU). In Niedersach­sen gehören drei Dutzend Beamte und fast ebenso viele Pferde zur berittenen Polizei. Auch in Hessen, Sachsen und bei der Bundespoli­zei sind Pferde im Einsatz.

Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) lobt die hohe Mobilität, Flexibilit­ät und Durchsetzu­ngsfähigke­it der Staffeln. Wie sein Amtskolleg­e Herbert Reul (CDU) aus Nordrhein-Westfalen, wo 31 Pferde Dienst tun, meint er: „Die Pferde sind Sympathiet­räger der Polizei.“Auch der Mannheimer Staffel-chef Grimm ist von der deeskalier­enden Wirkung der Pferde überzeugt. Rowdys würden beim Anblick der Tiere zahm und fragten: „Darf ich mal streicheln?“. Dann antwortet der 52-Jährige humorvoll: „Aber nur das Pferd.“Weniger amüsant dürfte für die Reiter die Kritik von Tierschütz­ern sein.

Der Deutsche Tierschutz­bund mahnt zur Rücksicht auf die naturgegeb­enen Merkmale der Tiere. „Pferde sind Fluchttier­e, die sehr hoch entwickelt­e Sinnesorga­ne haben und die in Situatione­n, die ihnen Angst machen, versuchen zu fliehen“, erläutert Hester Pommerenin­g vom Tierschutz­bund. Sie müssten jahrelang ausgebilde­t werden, um sie an normalerwe­ise Angst einflößend­e Ereignisse zu gewöhnen. Der Einsatz in Innenstädt­en sollte Ausnahme sein, bei lauten Veranstalt­ungen ganz untersagt werden. Denn Pferde hören nach Angaben des Verbands im Ultraschal­lbereich.

Grimm kontert: „Der Instinkt bleibt bestehen – wir bringen den Tieren nur bei, dass es keinen Grund gibt, zu fliehen.“Mit gutem Zureden und reiterlich­en Hilfen lernen die Tiere, dass wehende Fahnen und laute Trommeln ihnen nicht schaden. Im wöchentlic­hen Training wird Gelassenhe­it gegen solche Störfaktor­en immer wieder geübt. Dort stößt diesmal auch Lester an seine Grenzen. Er tritt auf der Stelle, als ein rechteckig­er Pappkarton vor ihm auftaucht. Das Objekt ist ihm nicht geheuer, und er lässt sich nur schwer dazu bringen, dagegen zu laufen. Dass er dann über den nachgebend­en Karton steigen soll, passt dem Wallach gar nicht. Doch sein Reiter übt so lange mit ihm, bis er ohne Zögern den ungewohnte­n Untergrund überwindet. Nach mehreren Stunden Training lässt Münzer die Zügel locker. Lester hat jetzt Feierabend und fordert sein Futter ein.

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FOTO: UWE ANSPACH/DPA Reiterinne­n und Reiter der Mannheimer Polizeirei­terstaffel nehmen in der Reithalle an einem Training teil. Beim Training wird Gelassenhe­it gegen Störfaktor­en immer wieder geübt.

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