Die Geschichte als zwölfter Mann
DFB-Elf hofft im Achtelfinale gegen England auf einen psychologischen Vorteil durch frühere Erfolgserlebnisse
- Wer den Verkehr in London kennt, der weiß: Es muss kein Nachteil sein, dass die deutsche Nationalmannschaft ihr Abschlusstraining nicht wie gewohnt am Spielort abhalten konnte. Obwohl Bundestrainer Joachim Löw darüber ungehalten war. Man wollte Stadion-Atmosphäre schnuppern, sich mal umzugucken in der riesigen Schüssel Wembley-Stadion. Doch weil der – angeblich – heilige Rasen aufgrund der vielen EM-Partien im Norden Londons – angeblich – zu sehr lädiert sei und geschont werden müsse, hielt man die letzte Einheit auf dem DFBBasecamp in Herzogenaurach ab.
Was der europäische Verband UEFA am Montag irritiert zurückwies. Die Deutschen hätte sehr wohl die Möglichkeit gehabt, die Einheit in Wembley zu absolvieren, teilte ein Sprecher mit, „verbunden mit einem eingeschränkten Zugang zu bestimmten Bereichen des Spielfelds“. Eine übliche Sache. Und weiter: „Deutschland hat jedoch nicht darum gebeten, im Stadion zu trainieren.“So oder so – die womöglich nervige Bus-Tortur vom Hotel zum Stadion und zurück fiel letztlich also aus am Montag. Gut für die Beine.
Denn das prestigeträchtige Achtelfinalduell am Dienstag (18.00 Uhr/ ARD und MagentaTV) gegen England könnte ein Fall für „fresh legs“werden, wie die Briten sagen. So weit die Füße tragen. Verlängerung? Elfmeterschießen? Für einen dieser beiden großen Fußballnationen heißt es am Dienstagabend „Time to say goodbye!“Und seit dem WM-Triumph 1966 gegen Uwe Seeler, Franz Beckenbauer & Co. im Heiligtum des britischen Fußballs (noch mystischer geworden durch das WembleyTor von Geoff Hurst in der Verlängerung) setzte es nur Niederlagen für die Engländer in K.-o.-Duellen mit den „Krauts“. Ob 1970 bei der WM in Mexiko (2:3 nach Verlängerung), im Elfmeterschießen bei der WM 1990 sowie der EM 1996 oder im Achtelfinale 2010 in Südafrika (1:4). „Auch wenn das alles lange her ist, kriegst du das als Spieler in den Tagen vor solch einem großen Duell unweigerlich mit“, sagte Christian Ziege (EMChampion von 1996) der „Schwäbischen Zeitung“, „und damit gehst du auch im Hinterkopf auf den Platz.“
Die Geschichte als zwölfter Mann der DFB-Auswahl. „Die Engländer spielen nicht so gerne gegen Deutschland“, sagte der ehemalige Chelsea-Legionär und Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack in „Bild“und fügte hinzu: „Solche Statistiken können am Ende im Unterbewusstsein eine entscheidende Rolle spielen.“1975 gewann England in Wembley zuletzt gegen Deutschland, das 2:0 in einem – unbedeutenden – Freundschaftsspiel vom 12. März jenen Jahres breitete der „Daily Mirror“auf zwei Seiten aus. In der „Times“wurden sämtliche 33 Elfmeter (lediglich vier verschossen) einer deutschen Elf bei Turnieren ausgewertet. Ergebnis: 15 Mal zielte ein
DFB-Akteur ins vom Schützen aus linke Eck, 16 Mal ins rechte. Aber: Nur zwei Mal in die Mitte. Der kuriose Rat an Englands Torhüter Jordan Pickford: Stehenbleiben!
„Wir wollen natürlich auch immer wieder in diese englische Turnierwunde reinstechen. Wir wollen sie unsicher machen“, sagte Thomas Müller, Doppeltorschütze gegen die Engländer 2010 in Südafrika bei MagentaTV. Doch sein Gefühl sagt ihm: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es auch mental eine Prüfung wird. Ich glaube, die Engländer versuchen ein bisschen, sich Selbstbewusstsein einzureden. Sie sind von den Ergebnissen her ein Stück souveräner als wir ins Achtelfinale eingezogen, aber sie kommen von der Turnierperformance nicht an die Italiener ran, die aktuell überragen.“
In der Vorrunde hat die Mannschaft von Teammanager Gareth Southgate zwar nicht überzeugt,
Thomas Müller blieb in drei Spielen aber ohne Gegentor (was England nie zuvor in einer EM-Gruppenphase gelungen war). Auf der anderen Seite glückten den Engländern auch nur zwei Tore (jeweils durch Raheem Sterling). Anders als die Weiße-Weste-Briten kassierte Welttorhüter Manuel Neuer schon fünf Gegentreffer. Die Tatsache, dass die Vorrunde am Ende mit dem 2:2 gegen Ungarn glücklich überstanden wurde, „wirft uns nicht aus der Bahn“, so Müller. Für Robin Gosens ist das Achtelfinale nur eine Etappe: „Gegen England müssen wir uns wieder beweisen, wir haben Luft nach oben. Denn: Wir wollen das Finale erreichen, das ist das Ziel.“Am 11. Juli – wieder in Wembley.
„Wir wollen natürlich auch immer wieder in diese englische Turnierwunde reinstechen.“