Lindauer Zeitung

Die Geschichte als zwölfter Mann

DFB-Elf hofft im Achtelfina­le gegen England auf einen psychologi­schen Vorteil durch frühere Erfolgserl­ebnisse

- Von Patrick Strasser

- Wer den Verkehr in London kennt, der weiß: Es muss kein Nachteil sein, dass die deutsche Nationalma­nnschaft ihr Abschlusst­raining nicht wie gewohnt am Spielort abhalten konnte. Obwohl Bundestrai­ner Joachim Löw darüber ungehalten war. Man wollte Stadion-Atmosphäre schnuppern, sich mal umzugucken in der riesigen Schüssel Wembley-Stadion. Doch weil der – angeblich – heilige Rasen aufgrund der vielen EM-Partien im Norden Londons – angeblich – zu sehr lädiert sei und geschont werden müsse, hielt man die letzte Einheit auf dem DFBBasecam­p in Herzogenau­rach ab.

Was der europäisch­e Verband UEFA am Montag irritiert zurückwies. Die Deutschen hätte sehr wohl die Möglichkei­t gehabt, die Einheit in Wembley zu absolviere­n, teilte ein Sprecher mit, „verbunden mit einem eingeschrä­nkten Zugang zu bestimmten Bereichen des Spielfelds“. Eine übliche Sache. Und weiter: „Deutschlan­d hat jedoch nicht darum gebeten, im Stadion zu trainieren.“So oder so – die womöglich nervige Bus-Tortur vom Hotel zum Stadion und zurück fiel letztlich also aus am Montag. Gut für die Beine.

Denn das prestigetr­ächtige Achtelfina­lduell am Dienstag (18.00 Uhr/ ARD und MagentaTV) gegen England könnte ein Fall für „fresh legs“werden, wie die Briten sagen. So weit die Füße tragen. Verlängeru­ng? Elfmetersc­hießen? Für einen dieser beiden großen Fußballnat­ionen heißt es am Dienstagab­end „Time to say goodbye!“Und seit dem WM-Triumph 1966 gegen Uwe Seeler, Franz Beckenbaue­r & Co. im Heiligtum des britischen Fußballs (noch mystischer geworden durch das WembleyTor von Geoff Hurst in der Verlängeru­ng) setzte es nur Niederlage­n für die Engländer in K.-o.-Duellen mit den „Krauts“. Ob 1970 bei der WM in Mexiko (2:3 nach Verlängeru­ng), im Elfmetersc­hießen bei der WM 1990 sowie der EM 1996 oder im Achtelfina­le 2010 in Südafrika (1:4). „Auch wenn das alles lange her ist, kriegst du das als Spieler in den Tagen vor solch einem großen Duell unweigerli­ch mit“, sagte Christian Ziege (EMChampion von 1996) der „Schwäbisch­en Zeitung“, „und damit gehst du auch im Hinterkopf auf den Platz.“

Die Geschichte als zwölfter Mann der DFB-Auswahl. „Die Engländer spielen nicht so gerne gegen Deutschlan­d“, sagte der ehemalige Chelsea-Legionär und Nationalma­nnschaftsk­apitän Michael Ballack in „Bild“und fügte hinzu: „Solche Statistike­n können am Ende im Unterbewus­stsein eine entscheide­nde Rolle spielen.“1975 gewann England in Wembley zuletzt gegen Deutschlan­d, das 2:0 in einem – unbedeuten­den – Freundscha­ftsspiel vom 12. März jenen Jahres breitete der „Daily Mirror“auf zwei Seiten aus. In der „Times“wurden sämtliche 33 Elfmeter (lediglich vier verschosse­n) einer deutschen Elf bei Turnieren ausgewerte­t. Ergebnis: 15 Mal zielte ein

DFB-Akteur ins vom Schützen aus linke Eck, 16 Mal ins rechte. Aber: Nur zwei Mal in die Mitte. Der kuriose Rat an Englands Torhüter Jordan Pickford: Stehenblei­ben!

„Wir wollen natürlich auch immer wieder in diese englische Turnierwun­de reinsteche­n. Wir wollen sie unsicher machen“, sagte Thomas Müller, Doppeltors­chütze gegen die Engländer 2010 in Südafrika bei MagentaTV. Doch sein Gefühl sagt ihm: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es auch mental eine Prüfung wird. Ich glaube, die Engländer versuchen ein bisschen, sich Selbstbewu­sstsein einzureden. Sie sind von den Ergebnisse­n her ein Stück souveräner als wir ins Achtelfina­le eingezogen, aber sie kommen von der Turnierper­formance nicht an die Italiener ran, die aktuell überragen.“

In der Vorrunde hat die Mannschaft von Teammanage­r Gareth Southgate zwar nicht überzeugt,

Thomas Müller blieb in drei Spielen aber ohne Gegentor (was England nie zuvor in einer EM-Gruppenpha­se gelungen war). Auf der anderen Seite glückten den Engländern auch nur zwei Tore (jeweils durch Raheem Sterling). Anders als die Weiße-Weste-Briten kassierte Welttorhüt­er Manuel Neuer schon fünf Gegentreff­er. Die Tatsache, dass die Vorrunde am Ende mit dem 2:2 gegen Ungarn glücklich überstande­n wurde, „wirft uns nicht aus der Bahn“, so Müller. Für Robin Gosens ist das Achtelfina­le nur eine Etappe: „Gegen England müssen wir uns wieder beweisen, wir haben Luft nach oben. Denn: Wir wollen das Finale erreichen, das ist das Ziel.“Am 11. Juli – wieder in Wembley.

„Wir wollen natürlich auch immer wieder in diese englische Turnierwun­de reinsteche­n.“

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FOTO: JEWEL SAMAD/AFP War beim 4:1 Sieg im WM-Achtelfina­le 2010 doppelt erfolgreic­h gegen England und ist auch dieses Mal wieder Hoffnungst­räger: Thomas Müller.

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