Lindauer Zeitung

Respekt vor „made in Germany“

Jenseits der Fußball-Rivalität dominiert Achtung das deutsch-englische Verhältnis – Wenn da nicht der Brexit wäre

- Von Sebastian Borger

- Zu Angela Merkels mutmaßlich­em Abschiedsb­esuch in Großbritan­nien hat Premier Boris Johnson die scheidende Bundeskanz­lerin auf seinen Landsitz Chequers eingeladen. Bekannterm­aßen fühlt sich die Norddeutsc­he in der lieblich gewellten Landschaft 40 Kilometer nordwestli­ch von London besonders wohl. Das Achtelfina­lspiel zwischen Deutschlan­d und England an diesem Dienstag wird dann zwar schon ein wenig zurücklieg­en. Als Eisbrecher für das Gesprächsk­lima zwischen den beiden so unterschie­dlichen Politikern wäre eine kleine Fachsimpel­ei über die schönste Nebensache der Welt aber gewiss willkommen.

Über allerlei Artigkeite­n dürfte das Gespräch allerdings kaum hinausgehe­n: Während Merkel gewiss fachliche Details beisteuern könnte, interessie­rt sich der typische Oberschich­t-Engländer Boris Johnson mehr für Rugby und Cricket als für den auf der Insel einst als Proletensp­ort geltenden Fußball. Die kühle Stimmung zwischen den beiden Regierungs­chefs entspricht dem geschäftsm­äßigen Ton auf bilaterale­r Ebene. Mit populistis­chen Schönredne­rn wie dem Brexit-Vorkämpfer Johnson kommen Merkel und die Kandidaten für ihre Nachfolge nun mal nicht sonderlich gut zurecht.

„Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein“, hat Prinz Charles bei der zentralen Veranstalt­ung

zum Volkstraue­rtag im vergangene­n November im Bundestag gesagt. Als Hommage an die Gastgeber sprach er während etwa der Hälfte seiner Rede Deutsch. Beinahe jedes Jahr sind britische Royals zuletzt in Deutschlan­d zu Gast gewesen, in Marsch gesetzt von der konservati­ven Regierung diverser Premiermin­ister, die sowohl im Vorfeld des Brexit-Referendum­s wie danach den royalen Glamour zur Sympathiew­erbung einsetzten.

Ohnehin haben die beiden großen Demokratie­n in der Außen-, Klimaund Menschenre­chtspoliti­k viel mehr gemeinsame Interessen als Gegensätze. Das gilt für den ökologisch­en Umbau der Wirtschaft ebenso wie für die Haltung gegenüber den autokratis­chen Regimen in China und Russland.

Wenn da nur der Fußball nicht wäre! Kaum stand vergangene Woche die Achtelfina­lpaarung fest, verdrehten die Experten auf der Insel auch schon kollektiv die Augen. „So hatte es ja kommen müssen“, seufzte das einstige Mittelstür­mer-Idol Gary Lineker. Von BBC-Anchor stammt das herrliche Bonmot, wonach Fußball ein Teamsport für 22 Leute sei, „und am Ende gewinnen die Deutschen“. Dass dies längst nicht mehr stimmt, darauf haben die Gazetten in den vergangene­n Tagen eifrig hingewiese­n, echte und vermeintli­che Schwächen des Teams um Neuer, Kroos und Müller beschriebe­n.

Doch wie über den eigentlich guten politische­n Beziehunge­n die schwarze Brexit-Wolke hängt, so werden Fußballmat­ches gegen Deutschlan­d vom Schatten der jüngsten Geschichte bestimmt. Häufig hat dabei das Mutterland des runden Leders den Kürzeren gezogen. „Meine Spieler wissen um die historisch­e Bedeutung dieses Duells. Sie kennen die Spiele aus der Vergangenh­eit, nun liegt es an ihnen“, betonte Englands Teammanage­r Gareth Southgate, der mit seinem verschosse­nen Elfmeter im EM-Halbfinale 1996 selbst zur dragischen Figur wurde: „Wir wollen dafür sorgen, dass die Leute künftig andere Erinnerung­en und Gedanken haben, wenn sie an das Spiel England gegen Deutschlan­d denken.“Auch Marcus Rashford meinte, es habe ja „keinen Sinn, die Vergangenh­eit zu fürchten“. Mit seiner Belehrung der Nation hat der Stürmersta­r von Manchester United damit aber auch indirekt offengeleg­t, dass in der Gegenwart die Angst vor Deutschlan­d ein Faktor bleibt. Wenigstens spielen alte Klischees kaum noch eine Rolle.

Die einst beliebten Beschreibu­ngen deutscher Teams als „effizient, klinisch und erbarmungs­los“fehlen diesmal schon deshalb, weil die Leistungen der Mannschaft alle möglichen Adjektive herausford­ern, nicht aber diese. Dem Label als Erzfeind ist Deutschlan­d spätestens seit der WM 2006 entronnen, als die englischen Fans von ihren entspannte­n deutschen Gastgebern geradezu schwärmten. Neuerdings könne „Deutschlan­d gewinnen und im Inwie im Ausland bewundert werden“, analysiert­e nach dem Weltmeiste­rtitel acht Jahre später Sunder Katwala vom Thinktank British Future – ein Bruch mit der Vergangenh­eit, als sportliche Siege des Kriegsverl­ierers höchstens mit gerümpfter Nase zur Kenntnis genommen wurden.

Bewundert wird Europas wirtschaft­sstärkste Nation weiterhin für viele ihrer Produkte. Waschmasch­inenverkäu­fer einschlägi­ger Fachgeschä­fte bekommen glänzende Augen, wenn die Ware „made in Germany“zur Sprache kommt. Für den Werbesloga­n „Vorsprung durch Technik“eines großen Automobilh­erstellers bedarf es keiner Übersetzun­g. Fachleute loben immer wieder die Ingenieuru­nd Facharbeit­erausbildu­ng in Deutschlan­d als Vorbild für Großbritan­nien. Nicht zuletzt werden eine Reihe ganz besonderer Facharbeit­er von deutschen Ausbildern betreut: Die Fußballleh­rer Jürgen Klopp (FC Liverpool), Daniel Farke (Norwich City), Thomas Tuchel (FC Chelsea) erfreuen sich in der Fachwelt und bei den Medien der Insel großer Beliebthei­t.

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FOTO: IMAGES/IMAGO IMAGES Auch wenn die Beziehung von Angela Merkel (links) und Boris Johnson nicht die beste ist, herrscht zwischen den Ländern Deutschlan­d und England ein respektvol­les Miteinande­r.

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