Respekt vor „made in Germany“
Jenseits der Fußball-Rivalität dominiert Achtung das deutsch-englische Verhältnis – Wenn da nicht der Brexit wäre
- Zu Angela Merkels mutmaßlichem Abschiedsbesuch in Großbritannien hat Premier Boris Johnson die scheidende Bundeskanzlerin auf seinen Landsitz Chequers eingeladen. Bekanntermaßen fühlt sich die Norddeutsche in der lieblich gewellten Landschaft 40 Kilometer nordwestlich von London besonders wohl. Das Achtelfinalspiel zwischen Deutschland und England an diesem Dienstag wird dann zwar schon ein wenig zurückliegen. Als Eisbrecher für das Gesprächsklima zwischen den beiden so unterschiedlichen Politikern wäre eine kleine Fachsimpelei über die schönste Nebensache der Welt aber gewiss willkommen.
Über allerlei Artigkeiten dürfte das Gespräch allerdings kaum hinausgehen: Während Merkel gewiss fachliche Details beisteuern könnte, interessiert sich der typische Oberschicht-Engländer Boris Johnson mehr für Rugby und Cricket als für den auf der Insel einst als Proletensport geltenden Fußball. Die kühle Stimmung zwischen den beiden Regierungschefs entspricht dem geschäftsmäßigen Ton auf bilateraler Ebene. Mit populistischen Schönrednern wie dem Brexit-Vorkämpfer Johnson kommen Merkel und die Kandidaten für ihre Nachfolge nun mal nicht sonderlich gut zurecht.
„Wir werden immer Freunde, Partner und Verbündete sein“, hat Prinz Charles bei der zentralen Veranstaltung
zum Volkstrauertag im vergangenen November im Bundestag gesagt. Als Hommage an die Gastgeber sprach er während etwa der Hälfte seiner Rede Deutsch. Beinahe jedes Jahr sind britische Royals zuletzt in Deutschland zu Gast gewesen, in Marsch gesetzt von der konservativen Regierung diverser Premierminister, die sowohl im Vorfeld des Brexit-Referendums wie danach den royalen Glamour zur Sympathiewerbung einsetzten.
Ohnehin haben die beiden großen Demokratien in der Außen-, Klimaund Menschenrechtspolitik viel mehr gemeinsame Interessen als Gegensätze. Das gilt für den ökologischen Umbau der Wirtschaft ebenso wie für die Haltung gegenüber den autokratischen Regimen in China und Russland.
Wenn da nur der Fußball nicht wäre! Kaum stand vergangene Woche die Achtelfinalpaarung fest, verdrehten die Experten auf der Insel auch schon kollektiv die Augen. „So hatte es ja kommen müssen“, seufzte das einstige Mittelstürmer-Idol Gary Lineker. Von BBC-Anchor stammt das herrliche Bonmot, wonach Fußball ein Teamsport für 22 Leute sei, „und am Ende gewinnen die Deutschen“. Dass dies längst nicht mehr stimmt, darauf haben die Gazetten in den vergangenen Tagen eifrig hingewiesen, echte und vermeintliche Schwächen des Teams um Neuer, Kroos und Müller beschrieben.
Doch wie über den eigentlich guten politischen Beziehungen die schwarze Brexit-Wolke hängt, so werden Fußballmatches gegen Deutschland vom Schatten der jüngsten Geschichte bestimmt. Häufig hat dabei das Mutterland des runden Leders den Kürzeren gezogen. „Meine Spieler wissen um die historische Bedeutung dieses Duells. Sie kennen die Spiele aus der Vergangenheit, nun liegt es an ihnen“, betonte Englands Teammanager Gareth Southgate, der mit seinem verschossenen Elfmeter im EM-Halbfinale 1996 selbst zur dragischen Figur wurde: „Wir wollen dafür sorgen, dass die Leute künftig andere Erinnerungen und Gedanken haben, wenn sie an das Spiel England gegen Deutschland denken.“Auch Marcus Rashford meinte, es habe ja „keinen Sinn, die Vergangenheit zu fürchten“. Mit seiner Belehrung der Nation hat der Stürmerstar von Manchester United damit aber auch indirekt offengelegt, dass in der Gegenwart die Angst vor Deutschland ein Faktor bleibt. Wenigstens spielen alte Klischees kaum noch eine Rolle.
Die einst beliebten Beschreibungen deutscher Teams als „effizient, klinisch und erbarmungslos“fehlen diesmal schon deshalb, weil die Leistungen der Mannschaft alle möglichen Adjektive herausfordern, nicht aber diese. Dem Label als Erzfeind ist Deutschland spätestens seit der WM 2006 entronnen, als die englischen Fans von ihren entspannten deutschen Gastgebern geradezu schwärmten. Neuerdings könne „Deutschland gewinnen und im Inwie im Ausland bewundert werden“, analysierte nach dem Weltmeistertitel acht Jahre später Sunder Katwala vom Thinktank British Future – ein Bruch mit der Vergangenheit, als sportliche Siege des Kriegsverlierers höchstens mit gerümpfter Nase zur Kenntnis genommen wurden.
Bewundert wird Europas wirtschaftsstärkste Nation weiterhin für viele ihrer Produkte. Waschmaschinenverkäufer einschlägiger Fachgeschäfte bekommen glänzende Augen, wenn die Ware „made in Germany“zur Sprache kommt. Für den Werbeslogan „Vorsprung durch Technik“eines großen Automobilherstellers bedarf es keiner Übersetzung. Fachleute loben immer wieder die Ingenieurund Facharbeiterausbildung in Deutschland als Vorbild für Großbritannien. Nicht zuletzt werden eine Reihe ganz besonderer Facharbeiter von deutschen Ausbildern betreut: Die Fußballlehrer Jürgen Klopp (FC Liverpool), Daniel Farke (Norwich City), Thomas Tuchel (FC Chelsea) erfreuen sich in der Fachwelt und bei den Medien der Insel großer Beliebtheit.