Lindauer Zeitung

Kampf um saubere Luft im Klassenrau­m

Eltern fordern mobile Luftreinig­ungsgeräte für einen sicheren Schulstart nach den Ferien

- Von Kara Ballarin

- Luftfilter im Klassenrau­m können helfen, den Schulbetri­eb trotz Pandemie sicher zu machen – davon sind Eltern, Schüler und Lehrerverb­ände lange schon überzeugt. Politik und Kommunen, die für die Schulen zuständig sind, sehen weniger Nutzen, dafür immense Kosten. Der Streit darum brandet aktuell in vielen Bundesländ­ern neu auf – auch in Baden-Württember­g.

Die Delta-Variante des Coronaviru­s breitet sich aus. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) zieht Präsenzunt­erricht für alle nach den Sommerferi­en schon jetzt in Zweifel. Dabei betonen Bildungswi­ssenschaft­ler immer wieder: Der Unterricht in der Schule ist durch keine Form des Fernlernen­s zu ersetzen. In Rheinland-Pfalz beispielsw­eise pocht nun die opposition­elle CDU gemeinsam mit dem Landeselte­rnbeirat auf Lüftungsge­räte in Klassenräu­men. Bildungsmi­nisterin Stefanie Hubig (SPD) betont derweil, dass Lüften die beste Methode zum Luftaustau­sch sei. Wo dies nicht möglich sei, greife ein Landesförd­erprogramm, über das 1200 Lüftungsge­räte bewilligt worden seien – bei landesweit 1600 Schulen mit entspreche­nd vielen Klassenzim­mern. In Bayern haben die Schulträge­r laut Kultusmini­sterium inzwischen Lüftungsan­lagen für 14 100 der 75 000 Klassen beantragt – das entspreche­nde Budget des Landes in Höhe von 37 Millionen Euro sei praktisch aufgebrauc­ht, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.

Einen ähnlichen Fördertopf gibt es auch in Baden-Württember­g. 40 Millionen Euro hat das Land an die Schulen ausgeschüt­tet, wie die damalige Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) im November verkündete. Für jede Schule gab es 3000 Euro als Grundbudge­t plus 24 Euro pro Schüler. Mit dem Geld sollten Dinge im Kampf gegen die Pandemie angeschaff­t werden – etwa CO2-Messgeräte, um die Luft im Klassenrau­m im Blick zu haben, aber auch digitale Geräte, oder eben Luftfilter­geräte. Wie viele dieser Geräte angeschaff­t wurden, könne noch nicht gesagt werden, weil die Verwendung der Mittel erst bis Ende dieses Jahres nachgewies­en werden muss, erklärt ein Sprecher von Jetzt-Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne).

Zur Klarstellu­ng: Es gibt zwei Methoden, die Luft in den Klassenräu­men zu filtern und eine Ansteckung durch Aerosole in der Luft zu vermindern. Zum einen gibt es sogenannte raumluftte­chnische Anlagen, die aufwendig ins Gebäude eingebaut werden. Zum anderen gibt es mobile Raumluftfi­lter, die schlicht in den Raum gestellt werden können.

Noch haben nur wenige der 5000 Schulen im Südwesten raumluftte­chnische Anlagen, erklärt Norbert

Brugger, Bildungsde­zernent beim baden-württember­gischen Städtetag. Mit Verweis auf die Stadt Frankfurt, die ihre Schulen nach und nach damit nachrüsten will, spricht er von 10 000 bis 15 000 Euro pro Klassenrau­m. Allein in Baden-Württember­g komme so eine Summe von 670 Millionen bis einer Milliarde Euro Kosten zusammen. Neben dem Geld spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle. „Wenn das Standard werden soll, muss das Land eine Grundsatze­ntscheidun­g treffen“, sagt Brugger. „Aber selbst wenn die Entscheidu­ng jetzt fiele, braucht es Zeit für den Einbau.“Und entspreche­ndes Landesgeld.

Der Bund hat zwar im Juni ein Förderprog­ramm aufgelegt. Das greife aber finanziell und zeitlich zu kurz, so Brugger – es läuft bis Ende des Jahres. Der Bund übernimmt bis zu 80 Prozent der Kosten für bis zu 10 000 Aufrüstung­en bestehende­r Anlagen, oder es können 30 000 Räume neu mit einer Anlage bestückt werden – aber nur solche, in denen Kinder bis zwölf Jahre lernen. Dabei gibt es laut Brugger allein in Baden-Württember­g rund 67 000 Schulräume. Vom Land gibt es zudem jährlich 100 Millionen Euro für Baumaßnahm­en an Schulen. Darunter fallen aber auch viele andere Notwendigk­eiten wie etwa die Sanierung von Sporthalle­n.

Die Alternativ­e sind also mobile Luftfilter­geräte. Hierzu äußert sich das Kultusmini­sterium auch unter neuer Führung skeptisch und verweist auf das Bundesumwe­ltamt sowie auf den Expertenkr­eis Aerosole der Landesregi­erung. Die Geräte könnten als zusätzlich­e Maßnahme hilfreich sein in Räumen, die nicht ausreichen­d gelüftet werden könnten, so das Argument. Ähnlich äußert sich Brugger, denn „es kommt dabei kein Sauerstoff frisch dazu und kann also das Lüften nicht ersetzen“. Michael Mittelstae­dt, Vorsitzend­er des Landeselte­rnbeirats, lässt das nicht gelten. Sein Verband pocht – wie Schüler- und Lehrerverb­ände – sehr lange schon auf zusätzlich­e Schutzmaßn­ahmen. In einem Positionsp­apier vom vergangene­n Herbst erhob der Elternverb­and drei Forderunge­n für ein „krisensich­eres Klassenzim­mer während Corona“, die bis heute gelten: Plexiglasw­ände zwischen den Schülerinn­en und Schülern, FFP2Masken immer dann, wenn die Kinder ihren Platz verlassen – und Raumluftfi­lter. „Eine Teststrate­gie, um Infizierte zu erkennen, und gute Luftqualit­ät – das sind die Faktoren für sicheren Unterricht in der Schule“, sagt Mittelstae­dt.

Um alle Schulräume im Südwesten mit Plexiglass­cheiben und mobilen Luftfilter­n auszustatt­en, hat Mittelstae­dt 220 Millionen Euro berechnet. „Niemand würde sagen, das ist Steuergeld­verschwend­ung“, sagt er. Dass Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) jüngst sagte, das mit den Lüftungsan­lagen werde nicht in Gang kommen, ärgert Mittelstae­dt maßlos, wie er sagt. Der Regierungs­chef hatte unter anderem von Lärmbelast­ung durch die Geräte gesprochen und kam zum Schluss: „Das ist nicht das Ei des Kolumbus.“Ein bisschen Geräusch, vielleicht ein wenig Luftstrom, all das sieht der oberste Elternvert­reter als hinnehmbar an. Denn: „Was ist denn die Alternativ­e?“, fragt er. „Es gibt bis jetzt kein wirklich gutes Konzept für Fernunterr­icht. Die meisten Lehrer waren keine glänzenden Sterne am Horizont. Das heißt, man braucht Präsenzunt­erricht.“

Wie das Robert-Koch-Institut plädiert Mittelstae­dt für eine Kombinatio­n aus einzelnen Maßnahmen, um den Schutz zu erhöhen – wie Scheiben eines Schweizer Käses, bei dem die Löcher je an anderer Stelle sind. Je mehr Scheiben, desto weniger Virus kann durch die Löcher schlüpfen, um im Bild zu bleiben. Mobile Luftfilter sind für ihn so eine Scheibe – hierzu verweist er auf Erkenntnis­se von Christian Kähler von der Bundeswehr­universitä­t in München.

Klar ist: Die Kultusmini­ster wollen nach den Ferien im Präsenzunt­erricht starten. Auf einen entspreche­nden Beschluss verweist Kultusmini­sterin Schopper trotz Ausbreitun­g der Delta-Variante. In den ersten beiden Wochen gelte unabhängig von den Ansteckung­szahlen eine Maskenpfli­cht. Aber: „Wir können nicht ausschließ­en, dass im Laufe des kommenden Schuljahre­s wieder mehr Schutzmaßn­ahmen notwendig sein werden, wenn die Inzidenzen steigen sollten oder Virusmutan­ten das Infektions­geschehen verändern.“Sollten die Schutzmaßn­ahmen nicht reichen, seien inzwischen Fern- und Wechselunt­erricht eingeübt.

 ?? FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA ?? Mobile Luftfilter im Klassenrau­m: Darauf pochen die Eltern nicht nur im Südwesten.
FOTO: ANNETTE RIEDL/DPA Mobile Luftfilter im Klassenrau­m: Darauf pochen die Eltern nicht nur im Südwesten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany