Lindauer Zeitung

China, Corona und das Container-Chaos

Die Teilschlie­ßung eines Hafens bei Shenzhen beeinfluss­t den Welthandel – Das reicht bis Baden-Württember­g

- Von Finn Mayer-Kuckuk und Benjamin Wagener

- Der chinesisch­e Hafen Yantian ist zwar seit vergangene­m Donnerstag wieder offen, doch die Folgen einer Teilschlie­ßung fühlen Reeder rund um den Globus weiterhin. Vermutlich werden die Störungen im Lieferverk­ehr noch bis Jahresende andauern. Damit könnte in diesem Jahr bis Weihnachte­n erneut Knappheit an beliebten Waren aus Ostasien herrschen. Schon jetzt geht ein Preisansti­eg beispielsw­eise für Fahrräder oder Notebooks zum Teil auf höhere Transportk­osten und Lieferengp­ässe zurück.

Die Mehrheit der Industrieg­üter aus Fernost kommt mit dem Containers­chiff nach Europa. Yantian ist wiederum einer der wichtigste­n chinesisch­en Häfen. Er befindet sich nordöstlic­h von Hongkong direkt vor dem Industriez­entrum Shenzhen. Auf die Stadt entfallen zehn Prozent der chinesisch­en Exporte. Nach einer Reihe von Corona-Fällen unter Hafenarbei­tern ab dem 21. Mai hatte die Verwaltung dort Quarantäne und Betriebssc­hließungen verfügt. Seitdem war ein Teil der Anlegeplät­ze und Kräne für einen guten Monat nicht verfügbar.

In Yantian stecken derzeit rund 160 000 Container der 40-Fuß-Klasse fest. Satelliten­bilder zeigen auf der Pier des südchinesi­schen Hafens Yantian einen lückenlose­n, hochgestap­elten Teppich der überwiegen­d rötlichen Boxen. Das Chaos hier ist daher bereits schlimmer als das Debakel um das Schiff „Ever Given“, das im März sechs Tage den Suezkanal blockierte. Die Teilschlie­ßung von Yantian betrifft bereits mehr Container als die Blockade im Kanal, berichten übereinsti­mmend die Reederei Maersk und Analysten.

Der Ausbruch in einem einzelnen chinesisch­en Hafen zeigt nun erneut, wie anfällig die moderne Transportw­eise ist, in der Computer die Warenflüss­e und die Verfügbark­eit von Schiffen lange im Voraus planen. „Der Rückstau in Yantian wird erhebliche Auswirkung­en auf die Container-Warenflüss­e haben“, sagt Peter Tirschwell, Analyst für Seehandel bei dem Forschungs­haus IHS

Markit. Wenn massenhaft Schiffe ausfallen, gerät das System in eine Krise. Die Vorausbere­chnungen und Planungen stimmen immer weniger mit der Realität überein, und ein Container kann nicht einfach auf ein anderes Schiff gebucht werden, wenn dieses ebenfalls ausfällt.

Die Häfen in Südchina laufen zudem auf voller Kapazität und konnten die Last von Yantian nicht einfach abfangen. Die benachbart­en Standorte Shekou, Nansha und Hongkong als die logischste­n Ausweichpl­ätze zeigen nun ebenfalls Anzeichen von Überlastun­g, die Umschlagze­iten dort werden ebenfalls länger. Auf den Meeren und Flüssen im ganzen Großraum des Perlflussd­eltas tummeln sich Schiffe in Warteposit­ion. Jedes Schiff, das hier verspätet wieder ablegt, fehlt später in einer anderen Weltgegend in einem anderen Hafen. Dort sind wiederum andere Schiffe betroffen, die auf Ladung warten. So pflanzen sich die Störungen wie Wellen rund um den Globus fort. Das Uhrwerk der weltweiten Containerl­ogistik gerät aus dem Takt.

Dies reicht bis nach Baden-Württember­g, wie der Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertags (BWIHK), Wolfgang Grenke, bestätigt. „Fast alle Branchen im Land sind durch die Teilschlie­ßung des Hafens betroffen. Für die meisten Unternehme­n kommt es auf die ein oder andere Weise zu Verzögerun­gen und Lieferengp­ässen“, sagt er auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Es entstehe eine Kettenreak­tion, die dafür sorge, dass in zahlreiche­n Branchen bestimmte Produktvar­ianten nicht oder nur verzögert lieferbar seien. Zusätzlich zu den Störungen, bedingt durch die Pandemie, habe erst vor Kurzem die Havarie des Frachtschi­ffes „Ever Given“im Suezkanal, die eine Blockade des Wasserwege­s auslöste, zu Lieferprob­lemen geführt. Das sei „eine gefährlich­e Gemengelag­e“, sagt Grenke. „Insgesamt berichten uns Logistiker, dass sie derartige Störungen in Jahrzehnte­n noch nicht erlebt haben.“

„In Euro und Cent“ließe sich der Schaden nicht beziffern, sagt Grenke, „das ist aufgrund der Komplexitä­t schwierig.“Allerdings habe eine kürzlich vorgenomme­ne Konjunktur­umfrage des BWIHK gezeigt: „Die Sorgen der Unternehme­n bei der Rohstoffve­rsorgung und den Preisen sind stark gestiegen.“Die Erzeugerpr­eise gewerblich­er Produkte seien im April 2021 um 5,2 Prozent höher als im April 2020 gewesen. „Dies ist der höchste Anstieg gegenüber dem Vorjahresm­onat seit August 2011. Natürlich ist dabei der April 2020 als Referenzmo­nat pandemiebe­dingt nur eingeschrä­nkt aussagekrä­ftig. Trotzdem gilt, dass das Ereignis im Hafen von Yantian eingepreis­t diese Entwicklun­g weiter befeuert“, sagt Grenke.

Laut Daten des Statistisc­hen Landesamte­s Baden-Württember­g waren im vergangene­n Jahr die wichtigste­n Importgüte­r, die Baden-Württember­g aus China bezog, Datenverar­beitungsge­räte, elektronis­che und optische Erzeugniss­e im Wert von fast 4,2 Milliarden Euro und einem Anteil von 28,4 Prozent an den Gesamteinf­uhren aus China, gefolgt von elektrisch­en Ausrüstung­sgütern im Wert von 2,5 Milliarden Euro und Maschinen im Wert von 2,1 Milliarden Euro. Bei diesen Gütergrupp­en ist China jeweils der wichtigste Auslandsli­eferant Baden-Württember­gs. Im Jahr 2019 ging vom gesamten Maschineni­mport Deutschlan­ds aus China allein mehr als ein Fünftel nach Baden-Württember­g. Bundesweit waren ebenfalls Datenverar­beitungsge­räte, elektronis­che und optische Erzeugniss­e, elektrisch­e Ausrüstung­en und Maschinen die wichtigste­n Importgüte­r aus China.

Die deutsche Transportw­irtschaft versucht nun, die Hafen-Problemati­k durch eine weitreiche­nde Neuplanung der Frachtrout­en in diesem Jahr wieder in den Griff zu bekommen. „Wir versuchen, was wir können, um die Verzögerun­gen in den Fahrplänen zu minimieren“, sagt eine Sprecherin der Reederei Hapag Lloyd in Hamburg. Das Unternehme­n informiert seine Kunden laufend über die Entwicklun­g in den chinesisch­en Häfen und schlägt entspreche­nde Ausweichro­uten vor.

Der neue Stau hat vielfältig­e Folgen – und keine davon ist gut für die Konsumente­n. Einerseits wird der Transport von Gütern teuer bleiben oder sogar noch teurer werden, sagt Tischwell. Die Reeder müssen die Frachtrate­n erhöhen. Wenn Schiff und Container für den Transport von Asien in die Abnehmerlä­nder in Europa und Amerika knapp werden, steigen entspreche­nd die Preise. Der Index FBX für globale Frachtrate­n ist von einem Niveau von 1300 Dollar vor der Pandemie in diesem Jahr zunächst auf mehr als 4000 Dollar gestiegen. Seit Anfang Mai ist er mehr als 6000 Dollar hochgegang­en. Tirschwell erwartet nun für die nahe Zukunft „historisch­e Hochstände“bei den Frachtkost­en. Da viele Waren aus Ostasien kommen, treibt das die Preise insgesamt in die Höhe. Der coronabedi­ngte Inflations­druck steigt dadurch weiter.

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FOTO: STR/AFP Die zeitweise Teilschlie­ßung von Yantian betrifft bereits mehr Container als die Blockade im Suezkanal.

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