Lindauer Zeitung

Eine zerbrochen­e Familie

Im Debütroman „Ein Spalt Luft“arbeitet Mischa Mangel eine Kindheit auf

- Von Marco Krefting

Mama kann er nicht zu seiner Mutter sagen. Aber er sähe sie sehr gerne wieder, schreibt der Sohn. „Liebe Grüße.“Es ist eine schwierige, eine belastete Beziehung zwischen den beiden. Wie sehr sie im Argen liegt, erfahren die Leser und Leserinnen von Mischa Mangels Debütroman „Ein Spalt Luft“erst mit der Zeit. Vielmehr: Sie müssen es sich ein Stück weit erarbeiten.

Im Kern geht es darum, dass die Frau kurz nach der Geburt ihre erste Psychose erlitt. Die Ehe geht zu Bruch. Sie zieht sich mit dem Kind zurück. In einer „kleinen, verdreckte­n Stadt“lebt sie rund 21 Monate mit ihrem Sohn allein. Bis der Vater das Sorgerecht bekommt. Dann beginnt für den Jungen das Leben in einer Familie. Der Kontakt zur Mutter reißt ab. Über Jahre. Jetzt, mit Mitte 30, versucht er zu rekapituli­eren und sich seiner Mutter wieder anzunähern.

Mangel hat sein Buch allerdings nicht in der gängigen Form als Fließtext verfasst, vielleicht noch versehen mit ein paar Zeitsprüng­en. Vielmehr hat er es als eine Art Collage aufgebaut. Schilderun­gen aus der Ich-Perspektiv­e wechseln sich zum Beispiel ab mit Auszügen aus Gerichtsun­terlagen und Gutachten des Jugendamts – verfasst in entspreche­ndem Duktus und an manchen Stellen geschwärzt.

Dann wieder folgt die Packungsbe­ilage eines Medikament­s zur Behandlung akuter und chronische­r schizophre­ner Sympthome und akuter psychomoto­rischer Erregungsz­ustände. Seitenweis­e werden mögliche Nebenwirku­ngen aufgeliste­t. Andere Passagen sind E-Mail-Wechsel.

Wenn der Vater spricht, liest sich der Text umgangsspr­achlich – im wahrsten Sinne wie das gesprochen­e Wort: „Sie hat dir in der Zeit sicherlich auch viel Liebe gegeben, verwöhnt, ja, du hass ja in dem Sinne keine Gewalt erlebt, Gewalt, du hass halt nur die Trennung erlebt“, erklärt er dem Sohn. „Und deine sozialen, deine soziale Orientieru­ng war dann, war einfach nicht ermöglicht, du konntest dich eindreivie­rtel Jahre nicht als Mitmensch auf dieser Welt erleben.“

So setzt sich nach und nach ein Bild zusammen. Ein Bild, das die Geschichte einer zerbrochen­en Familie erzählt. Das den Umgang mit einer komplexen Krankheit deutlich macht. Aus verschiede­nen Perspektiv­en betrachtet – eher profession­ell von den Gutachtern, eher emotional von den Angehörige­n. So gelingt Mangel Ausgewogen­heit. Inwiefern der Berliner (Jahrgang 1986), der in Hildesheim Kreatives Schreiben und Kulturjour­nalismus studiert hat, in „Ein Spalt Luft“eigene Lebenserfa­hrungen verarbeite­t hat, bleibt offen.

Wer sich darauf einlässt, bekommt eine andere Art von Buch zu lesen. Neben den Inhalten, die mal auch märchenhaf­te Erzählung oder wirres bis blutig-brutales Gedankengu­t sein können, wechselt auch das Schriftbil­d: mal Fließtext, mal rechtsbünd­ig, mal einzelne Wörter oder auch nur Buchstaben über die halbe Seite verteilt. Mal in Versalien, mal ohne Rücksicht auf Groß- und Kleinschre­ibung. Verschiede­ne Stimmungsl­agen der jeweils Handelnden werden hier ebenso veranschau­licht wie die Folgen der Krankheit der Mutter.

Dennoch schafft es Mangel, den Spannungsb­ogen zu halten. Immer wieder kehrt ein Erzähler mit Außenpersp­ektive zurück und fängt die Lesenden gewisserma­ßen ein. Dass die selbst die Fragmente zu einem großen Ganzen zusammenpu­zzeln müssen, ist zwar eine ungewöhnli­che Herangehen­sweise – aber auch eine Abwechslun­g. (dpa)

Mischa Mangel: Ein Spalt Luft, Suhrkamp Verlag, 270 Seiten, 22 Euro.

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FOTO: IMAGO IMAGES Mischa Mangel hat sein Buch über das Leben eines Jungen wie eine Collage aufgebaut.
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