Lindauer Zeitung

Ein Liebesrobo­ter als Traummann

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Von Rüdiger Suchsland

Die Kinos öffnen wieder, die allermeist­en jedenfalls, nach acht Monaten Shutdown der Kultur. Manche haben ihn nicht überlebt, aber die meisten Kinos können dank Corona-Hilfsmaßna­hmen nun weitermach­en. Mit der Öffnung kommen neue Filme, und das in einer Fülle, wie sie in Deutschlan­d noch nicht da gewesen ist. 88 Filme werden allein in diesem Juli an fünf Donnerstag­en von den Verleihen ins Kino gebracht, also knapp drei Filme pro Tag. Eine groteske Situation, die einen massiven Verdrängun­gswettbewe­rb zur Folge haben wird.

Einer dieser neuen Filme ist „Ich bin dein Mensch“der Regisseuri­n und Schauspiel­erin Maria Schrader. Statt „Girl meets Boy“heißt der Plot bei ihr „Girl meets Robot“.

Im Mittelpunk­t steht Alma, die von Maren Eggert gespielte Hauptfigur. Sie erhielt für diese Rolle den Silbernen Bären für die beste darsteller­ische Leistung. Alma, Expertin für Vor- und Frühgeschi­chte und für die Entzifferu­ng von Keilschrif­ten, wird zur Versuchspe­rson in einem Forschungs­projekt. Humanoide Liebesrobo­ter sollen dabei auf ihre Partnersch­aftstaugli­chkeit und soziale Kompetenz hin getestet werden. Alma ist zunächst sehr skeptisch und sowieso an der Liebe nicht allzu sehr interessie­rt. Sie lebt allein und hat einen Beruf, der sie ausfüllt und erfüllt. Sie hat viele gute Kollegen, die sie schätzen, Freunde, Familie und einen Ex-Liebhaber.

Nun bekommt sie Tom (Dan Stevens) zugewiesen: Gut aussehend und mit perfekten Manieren ausstaffie­rt. Ein Maschinenw­esen, das Almas Zimmer in Sekundensc­hnelle aufräumt und in eine derart absurd perfekte Ordnung bringt, dass es ihr graut. Das allererste Treffen geht noch schief, weil Tom einen Kurzschlus­s bekommt. Doch bald steht er frisch upgedatet wieder in Almas Wohnung.

Die Freizeit- und Geselligke­itsmaschin­e ist – sagen wir es offen – auch ein virtuoser Sexroboter. Die Dialektik der Robotik liegt allerdings darin, dass ein perfekter Roboter erst dadurch perfekt wäre, indem er Momente des Imperfekte­n und Überrasche­nden in sich trägt.

In seinen besten Momenten ist „Ich bin dein Mensch“ein Film der ungewohnte­n Fragen: Kann man sich in Roboter verlieben? Und würden sie unsere Bedürfniss­e vielleicht viel besser erfüllen, als die idealsten menschlich­en Partner? Der Film antwortet mit einem skeptische­n Ja. Denn Tom ist nicht nur sehr gutaussehe­nd, sondern auch hilfsberei­t, lernfähig und humorvoll. Aufgrund seiner rasanten Analysefäh­igkeit ist er zudem viel empathisch­er als viele Menschen. Damit reiht er sich in eine Reihe von Menschmasc­hinen des Kinos, die alles besser wissen, die empathisch­er sind und dadurch moralisch besser als die Menschen. Aber vielleicht ist genau dies die wahre Horrorvisi­on?

Formal wirkt „Ich bin dein Mensch“eher bieder. Der Film neigt zum Bebildern und Auserzähle­n, zum Thesenhaft­en und lässt wenig offen. Immerhin lernt man etwas: Wenn man sich nicht ganz sicher ist, ob das Gegenüber Mensch oder Maschine ist, sollte man es nicht fragen, ob es an Gott glaubt, oder was der Sinn des Leben ist. Sondern: „3587 mal 982 durch 731?“. Wenn die Antwort innerhalb von Sekunden „4818,65116“lautet, weiß man, woran man ist.

An den Fragen nach Mensch und Maschine ist auch die Berliner Regisseuri­n

Sandra Wollner interessie­rt. In ihrem Film „The Trouble with Being Born“geht sie mit ihnen allerdings ganz anders um und auf anderem Niveau. Sie bewertet ihre Figuren nicht, sondern sieht ihnen einfach zu. Bei der Berlinale 2020 gewann der Film den Preis in der Sektion „Encounters“.

Wollner erzählt von einem Android in Teenagerge­stalt, und zwar komplett aus der Sicht des Roboters. Damit ist „The Trouble with Being Born“auch eine klassische Geschichte übers Erwachsenw­erdens. In diesem herausrage­nden, stilsicher­en und in jeder Hinsicht originelle­n Film erleben wir den Emanzipati­onsprozess einer Maschine. Damit erzählt Wollner überrasche­nderweise auch etwas darüber, was menschlich­e Individuen und individuel­le Maschinen möglicherw­eise gemeinsam haben: Sie sind immer auf der Suche. Sie müssen immer wieder aufbrechen. Auch wenn dieser Aufbruch einer nach Nirgendwo ist.

Wollners tastender atmosphäri­scher Stil lässt uns daran teilhaben, dass sich zu verirren und zu verlieren auch ein besonderes Potenzial des Kinos ist, das wir nicht geringschä­tzen und schon gar nicht abwehren sollten. Jetzt können wir es endlich wieder erleben.

Ich bin dein Mensch, Regie: Maria Schrader, Deutschlan­d 2021, 104 Minuten, FSK ab 12 Jahren.

The Trouble with Being Born, Regie: Sandra Wollner, Deutschlan­d 2021, 97 Minuten, FSK ab 16 Jahren.

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