Lindauer Zeitung

Drastische Kritik an UEFA wächst

Politiker blicken zunehmend sorgenvoll auf die EM-Spiele – Corona-Zahlen bestätigen sie

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(dpa) - In der Diskussion um die Zuschauerz­ulassung bei der Europameis­terschaft wird die Kritik an der UEFA zunehmend lauter und heftiger – und es gibt neue Zahlen zu Ansteckung­en im Zusammenha­ng mit dem Turnier. Vizekanzle­r und SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz mahnte zur Vorsicht. „Bei aller Freude über die spektakulä­ren Spiele dieser EM halte ich es für bedenklich, wie viele Zuschauer inzwischen in einige Stadien gelassen werden“, sagte Scholz der „Süddeutsch­en Zeitung“. „Mühsam und unter großen Anstrengun­gen haben wir die Pandemie in Europa in den Griff bekommen, das sollten wir jetzt nicht aufs Spiel setzen.“

Bei der 0:2-Achtelfina­l-Niederlage der deutschen Nationalma­nnschaft gegen England waren 41 973 Zuschauer im Londoner WembleySta­dion. Für die Halbfinals und das Endspiel sollen sogar 60 000 Zuschauer zugelassen werden. Weil die Corona-Zahlen durch die Delta-Variante zuletzt in Großbritan­nien wieder stiegen, ist der Schritt umstritten. Die Europäisch­e Fußball-Union solle ihr Konzept dringend überdenken, forderte Scholz.

Auch der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach äußerte sich besorgt. „Das Spiel hat gestern noch mal gezeigt wie eng die Fans stehen, wie oft sie sich umarmen und anschreien. Es haben sich sicherlich Hunderte infiziert und diese infizieren jetzt wiederum Tausende“, schrieb Lauterbach am Mittwoch bei Twitter. „Die UEFA ist für den Tod von vielen Menschen verantwort­lich.“

Zahlen aus Schottland bekräftige­n die Sorgen mit Blick auf die Ansteckung­sgefahr: Dort lassen sich nach offizielle­n Angaben knapp 2000 Corona-Fälle in Verbindung mit Spielen der EM bringen. Zwei Drittel von 1991 positiv Getesteten seien Fans, die entgegen der Ratschläge aus dem Norden zu Spielen nach London gereist seien, wie die Gesundheit­sbehörde Public Health Scotland mitteilte. Am 18. Juni hatten die Schotten in London gegen England gespielt. Knapp 400 Infizierte aus Schottland sollen im Stadion gewesen sein, während in der Innenstadt Tausende weitere Fans Straßen und Plätze bevölkerte­n.

Die Infektions­zahlen beziehen sich auf positiv Getestete, die während ihrer ansteckend­en Phase EMSpiele oder Fan-Events besucht haben – und zwar zwischen dem 11. und dem 28. Juni. Drei Viertel der Infizierte­n waren der Behörde zufolge zwischen 20 und 39 Jahre alt, neun von zehn waren Männer. Bereits am Dienstag hatte Bayerns Ministerpr­äsident

Markus Söder gesagt, die Entscheidu­ngen der UEFA seien „null nachzuvoll­ziehen“. „Das, was die UEFA jetzt macht, ist für mich nicht akzeptabel, dass einfach irgendwelc­he Zuschauerz­ahlen so imaginär erhöht werden, ohne Sinn und Zweck, dass dann sozusagen durch ganz Europa hier die Möglichkei­t von Verbreitun­g besteht.“Das sei „nicht sinnvoll“, und es widersprec­he dem Grundchara­kter der EM, kritisiert­e der CSUVorsitz­ende, nämlich „eine EM mit Freude und Vorsicht zugleich und eine EM mit gutem Gewissen“zu haben.

Nach dem Achtelfina­le zwischen England und Deutschlan­d haben sich viele britische Twitter-Nutzer über Buhrufe im Stadion beim Abspielen der deutschen Nationalhy­mne geärgert. Auch der Jubel beim Anblick eines kleinen Mädchens, das bei der 0:2-Niederlage Deutschlan­ds im Stadion weinte und zeitweise im Fokus der Kameras stand, stieß bei vielen auf Unverständ­nis. Der ehemalige Chefberate­r von Ex-Premiermin­ister Tony Blair, Alistair Campbell, ärgerte sich über „erwachsene Männer“, die sich an dem Anblick

Viele schauen nun besorgt nach St. Petersburg. Vor dem ersten Viertelfin­alspiel zwischen der Schweiz und Spanien am Freitag spitzt sich die Lage in der russischen Hafenstadt, die als Corona-Hotspot gilt, zunehmend zu. Vonseiten der UEFA seien aber keinerlei Änderungen oder gar eine Verlegung des Spiels geplant, erklärt die Europäisch­e Fußball-Union. „Die finale Entscheidu­ng bezüglich der Zuschauerz­ahl liegt immer bei den jeweiligen lokalen Behörden.“Ein verschärft­es Hygienekon­zept sei nicht nötig, sagen die russischen Veranstalt­er laut Staatsagen­tur Tass. Es

Karl Lauterbach eines weinenden deutschen Mädchens erfreuten „und die es zuvor genossen haben, die deutsche Nationalhy­mne auszubuhen“. Demgegenüb­er stehe ein deutscher Nationaltr­ainer, eine deutsche Mannschaft, ein deutscher Botschafte­r und (BBC-Kommentato­r) Jürgen Klinsmann, die durch ihre Reaktion auf die Niederlage Deutschlan­ds Klasse gezeigt hätten. „Größe in der Niederlage zu zeigen, ist eine ganz besondere Qualität.

so Campbell. Der Moderator bleibe dabei: 50 Prozent der mehr als 60 000 Plätze in der Gazprom-Arena dürfen beim Spiel von Spanien gegen die Schweiz besetzt werden.

Derweil hat die britische Regierung Fans von einer Reise nach Rom für das Viertelfin­alspiel zwischen England und der Ukraine am Samstag abgeraten. Die italienisc­hen Gesundheit­svorkehrun­gen schrieben eine fünftägige Quarantäne für Reisende aus Großbritan­nien vor. Britische Fans würden daher das Spiel verpassen. Ein Aufenthalt in Italien würde laut der britischen Regierung zudem eine zehntägige Quarantäne nach der Rückkehr der Fans bedeuten.

Selbst Fans mit Tickets können diese demnach aufgrund der geltenden Corona-Bestimmung­en nicht mehr nutzen.

„Die UEFA ist für den Tod von vielen

Menschen verantwort­lich.“

des Frühstückf­ernsehens BBC Breakfast, Dan Walker, bezeichnet­e die Buhrufe als „erbärmlich“. Die SkyNews-Moderatori­n Samantha Washington, deren deutscher Mann mit den gemeinsame­n Kindern im Wembley-Stadion war, schrieb: „Was ihnen überhaupt nicht gefallen hat, waren offenkundi­ge (rassistisc­he) Schmähunge­n gegenüber (dem schwarzen englischen Nationalsp­ieler) Raheem Sterling von England-Fans und das laute Ausbuhen der deutschen Nationalhy­mne. Das sollte unter unserer Würde sein.“

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FOTO: SZYMANOWIC­Z/IMAGO IMAGES Die UEFA ist so scharf wie nie zuvor für ihre Zuschauerp­olitik bei der EM angegriffe­n worden.

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