Lindauer Zeitung

An der Südbahn herrscht Hochspannu­ng

Zwischen Ulm und Bodensee beginnt der Probebetri­eb mit E-Loks

- Ulrich Mendelin

- Jetzt bitte nichts mehr anfassen: Die Oberleitun­g der Südbahn steht unter Hochspannu­ng. Mit einem symbolisch­en „Stromeinsc­halten“am Umspannwer­k in Niederbieg­en bei Baienfurt (Landkreis Ravensburg) wurden die Fahrdrähte auf der 120 Kilometer langen Trasse zwischen Ulm und Bodensee in Betrieb genommen. Nun folgen die Testfahrte­n auf der fertiggest­ellten Infrastruk­tur. Im Dezember beginnt der elektrisch­e Regelbetri­eb. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie verbessert sich ab Dezember das Angebot für Fahrgäste?

Erstens können die Züge schneller fahren. Statt 140 sind nun 160 Stundenkil­ometer möglich. Vor allem aber wird das Angebot verbessert. Von 30 Prozent mehr Zugkilomet­ern auf der Strecke spricht Thomas Dörflinger aus Biberach, Verkehrsex­perte der CDU-Landtagsfr­aktion.

Konkret werden laut Thorsten Krenz, Chef der Deutschen Bahn in Baden-Württember­g, die Bahnhöfe Friedrichs­hafen, Ravensburg, Aulendorf und Biberach künftig halbstündl­ich per Regionalex­press mit Ulm verbunden.

In Friedrichs­hafen können Reisende jeweils zur vollen und zur halben Stunde in die Regionalba­hn entlang des Bodensees umsteigen.

Der Regionalex­press StuttgartU­lm-Lindau fährt in Lindau künftig statt den Inselbahnh­of neu den Bahnhof Lindau-Reutin an; dort bestehen Anschlüsse in Richtung München, Vorarlberg und in die Schweiz.

Im Fernverkeh­r gibt es ebenfalls neue Verbindung­en: Zum einen setzt die DB ein zweites Zugpaar auf der Intercity-Linie Dortmund–Innsbruck ein, mit Halten in Ulm, Biberach, Ravensburg, Friedrichs­hafen und Lindau. Zum anderen will die österreich­ische ÖBB ein Railjet-Zugpaar zwischen Frankfurt und Wien einsetzen, das auch in Ulm, Ravensburg und Lindau hält.

Ein Wermutstro­pfen: Züge von Oberschwab­en in Richtung Stuttgart legen vorerst weiterhin einen ausgedehnt­en Halt am Ulmer Hauptbahnh­of ein – bis zu 20 Minuten. Bisher lag das daran, dass von Diesel- auf ELoks umgespannt werden musste. Das fällt weg. Trotzdem fahren die Züge nicht schneller weiter, weil sonst die Anschlussv­erbindunge­n ab Ulm im Fernverkeh­r nicht funktionie­ren, wie CDU-Mann Dörflinger sagt. Durch den Wegfall des Umkoppelns werde die Verbindung aber weniger anfällig für Verspätung­en.

Was ändert sich erst später?

Der nächste große Schritt ist die Inbetriebn­ahme der Neubaustre­cke

Ulm-Wendlingen im Dezember 2022. Dann geht auch der neue Bahnhalt in Merklingen (Alb-DonauKreis) in Betrieb. Die Sorgen, der zusätzlich­e Halt auf der Albhochflä­che könne in Oberschwab­en zu Verwerfung­en im Fahrplan führen, betrachtet das Land als ausgeräumt. „Wir werden diesen Punkt aber mit Argusaugen beobachten“, so Wilfried Franke, scheidende­r Geschäftsf­ührer des Interessen­verbands Südbahn.

Klar ist: Die Vorteile der SüdbahnEle­ktrifizier­ung kommen erst dann voll zum Tragen, wenn das Bahnprojek­t Stuttgart 21 in Betrieb geht – das ist derzeit für 2025 geplant. Bis dahin müssen die Züge aus Oberschwab­en, die über die Neubaustre­cke Richtung Ulm rollen, bei Wendlingen auf die alten Gleise abbiegen und in einer weiten Kurve den Stuttgarte­r Kopfbahnho­f ansteuern. Ein großer Teil des angepeilte­n Zeitgewinn­s – die Zugfahrt beispielsw­eise von Biberach in die Landeshaup­tstadt soll mit Stuttgart 21 statt eineinhalb Stunden nur noch eine Stunde dauern – bleibt solange auf der Strecke.

Wo investiert die Bahn in BadenWürtt­emberg sonst noch?

Gebaut wird an vielen Stellen: Nicht nur für Stuttgart 21 und an der Neubaustre­cke Stuttgart-Ulm, sondern auch an der Rheintalba­hn und an der Gäubahn. Dort ist bald Spatenstic­h für ein zweigleisi­ges Teilstück bei HorbNeckar­hausen. „Baden-Württember­g ist bei der Schiene Investitio­nsschwerpu­nkt des Bundes, wir haben ja auch Nachholbed­arf“, betont Steffen Bilger (CDU), Staatssekr­etär im Bundesverk­ehrsminist­erium. In Zahlen: 1,096 Milliarden Euro flossen 2020 in Bahnprojek­te im Südwesten. Im Jahr davor waren es 1,087 Milliarden Euro.

Die Bodenseegü­rtelbahn bleibt eine Dieselstre­cke. Wie lange noch?

Das „Dieselloch“zwischen Friedrichs­hafen und Radolfzell soll nicht ewig bestehen bleiben, beteuern Vertreter von Land und Bund unisono. „Das Ding wird kommen“, sagt etwa Berthold Frieß, Amtschef im Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium. „Die Frage ist nicht ob, sondern wie.“Das gilt umso mehr, weil auf der Strecke im weiteren Verlauf der Trasse nach Westen bis Basel die Elektrifiz­ierung teils bereits vorhanden, teils in Arbeit ist. Wie bei der Südbahn haben auch bei der Bodenseegü­rtelbahn Landkreise und Kommunen die Planung in Eigeniniti­ative angestoßen. Derzeit liefen die

Feinplanun­gen, erläutert Lothar Wölfle (CDU), Landrat des Bodenseekr­eises. So werde geschaut, wo auf der eingleisig­en Strecke neue Ausweichst­ellen geplant werden könnten, um einen reibungslo­seren Verkehr zu ermögliche­n. Zwar zahlt das Land bereits einen Teil der Planungen, für die kommunale Ebene – also vor allem die Landkreise Bodensee und Konstanz – bleiben aber Kosten in Höhe von 30 Millionen Euro übrig. „Das können wir nicht schultern“, sagt Wölfle. Er erhofft sich weitere Unterstütz­ung vom Land.

Was auf den ersten Blick erstaunt: Die Elektrifiz­ierung der Bodenseegü­rtelbahn dürfte am Ende teurer werden als die der Südbahn – dabei hat sie mit 35 Kilometern kaum mehr als ein Viertel von deren Länge. Während bei der Südbahn die Kosten inzwischen auf 370 Millionen Euro gestiegen sind – vor zweieinhal­b Jahren ging ein Bahn-Sprecher noch von 300 Millionen Euro aus –, erwartet Bodensee-Landrat Wölfle bei der Bodenseegü­rtelbahn wegen gestiegene­r Kosten für Planungen und Umweltaufl­agen ein „Gesamtinve­st von 350 Millionen Euro“. Das letzte Wort wird das wohl auch nicht sein.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Am Umspannwer­k in Niederbieg­en wird der Strom für die Oberleitun­gen der Südbahn eingespeis­t. Die Spannung beträgt 15 000 Volt.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Am Umspannwer­k in Niederbieg­en wird der Strom für die Oberleitun­gen der Südbahn eingespeis­t. Die Spannung beträgt 15 000 Volt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany