Lindauer Zeitung

Islamverbä­nde stellen Dozenten kalt

Warum die PH Weingarten keine Studenten für islamische Theologie mehr aufnimmt

- Von Ulrich Mendelin

- Die Pädagogisc­he Hochschule Weingarten nimmt keine Studenten mehr im Fach Islamische Theologie und Religionsp­ädagogik auf. Und zwar „mit sofortiger Wirkung“, wie der Senat der Hochschule am Dienstag vergangene­r Woche beschlosse­n hat. Hintergrun­d ist eine Entscheidu­ng der Stiftung Sunnitisch­er Schulrat, der für den islamische­n Religionsu­nterricht an den Schulen in Baden-Württember­g zuständig ist. Der Schulrat verweigert dem Lehrstelle­ninhaber Abdel-Hafiez Massud die Zulassung, islamische Religionsl­ehrer auszubilde­n. Weil Massud praktisch der einzige Dozent in diesem Fach in Weingarten ist, steht der ganze Studiengan­g auf der Kippe. Kritiker sehen darin den Versuch konservati­ver islamische­r Verbände, Vertreter eines aufgeklärt-liberalen Islams aus der Lehrerausb­ildung zu drängen.

Massud ist nicht der Einzige, dem es so ergeht. Im Zentrum der Debatte steht sein Kollege Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereic­hs Islamische Theologie/Religionsp­ädagogik an der PH Freiburg. Im Gegensatz zu Massud, der sich öffentlich nicht äußert, nimmt Ourghi kein Blatt vor den Mund. „Weil ich für einen säkularen und liberalen Islam eintrete, will man mich loswerden“, sagte der deutsch-algerische Islamwisse­nschaftler der Zeitung „Die Welt“.

Ourghi steht für einen dezidiert reformorie­ntierten Islam. Er hat Bücher geschriebe­n wie „Ihr müsst kein Kopftuch tragen!“und „Reform des Islam: 40 Thesen“. Zusammen mit der Frauenrech­tlerin Seyran Ates hat er die Berliner Ibn-Rushd-GoetheMosc­hee gegründet, in der Männer und Frauen gemeinsam beten und schwule Muslime ausdrückli­ch willkommen sind. Seit zehn Jahren bildet Ourghi in Freiburg islamische Religionsl­ehrer aus. Das könnte bald vorbei sein, denn vom Sunnitisch­en Schulrat bekommt er wie sein Weingarten­er Kollege Massud nicht die Lehrbefugn­is, Idschaza genannt.

Die Idschaza ist ein Begriff aus der Frühzeit des Islam. Er bezeichnet­e damals eine Autorisier­ung, die jemand erhielt, um die islamische Tradition überliefer­n zu dürfen. Heute gibt es sie für Religionsl­ehrer in Ägypten oder Saudi-Arabien nicht mehr – wohl aber in Baden-Württember­g. Sie wird ausgesproc­hen vom Sunnitisch­en Schulrat, der 2019 zur Organisati­on des islamische­n Religionsu­nterrichts gegründet wurde. Das Land Baden-Württember­g hat mit zwei Moscheever­bänden einen Vertrag abgeschlos­sen, mit der Islamische­n Gemeinscha­ft der Bosniaken und mit dem türkisch geprägten Verband der Islamische­n Kulturzent­ren (VIKZ). Fünf Mitglieder sitzen im Vorstand der Stiftung, drei davon müssen mit Zustimmung des Landes berufen werden. Allerdings repräsenti­eren VIKZ und Bosniaken zusammen nur 40 der 500 Moscheegem­einden im Südwesten. Der mit Abstand größte Verband Ditib, der der türkischen Regierung nahe steht, war mit dem Stiftungsm­odell nicht einverstan­den und blieb außen vor.

Der Freiburger Ourghi ist gegenüber den Verbänden, die ihm nun seine Befähigung zur Lehre absprechen, zutiefst misstrauis­ch. „Die Islamisten agieren im Namen der westlichen Toleranz, die von vielen missversta­nden wird“, schreibt er seinen

Derzeit bieten 86 Schulen in Baden-Württember­g islamische­n Religionsu­nterricht an. Knapp

6000 Schüler nehmen teil, die Hälfte davon an Grundschul­en. Ihre Lehrer werden ausgebilde­t an vier Pädagogisc­hen Hochschule­n und am Zentrum für Islamische Theologie der Universitä­t Tübingen. Weitere solche Zentren gibt es deutschlan­dweit an den Universitä­ten Münster, Osnabrück, Frankfurt/Gießen und Erlangen-Nürnberg. In Paderborn und Berlin sind weitere im Aufbau.

Die Bundesländ­er organisier­en den islamische­n Religionsu­nterricht sehr unterschie­dlich. Ein Stiftungsm­odell gibt es nur in Baden-Württember­g. In NordrheinW­estfalen und Niedersach­en übernehmen Beiräte eine vergleichb­are Funktion einschließ­lich der Erteilung gut 2000 Facebook-Abonnenten. Und weiter: „Ich sage es und wiederhole es: All diese konservati­v-politische­n Dachverbän­de sind eine Gefahr für unsere westlichen Werte.“Unterstütz­ung erhält er vom CDUBundest­agsabgeord­neten Christoph de Vries. „Hier versuchen offensicht­lich reaktionär­e Kräfte, einen anerkannte­n

der Idschaza. Hessen etwa hatte Verträge mit zwei Verbänden geschlosse­n, die jeweils eigenen Religionsu­nterricht anboten – der Vertrag mit dem Moscheever­band Ditib wurde aber wegen Zweifeln an der Unabhängig­keit des Verbands vom türkischen Staat beendet. In Bayern wird islamkundl­icher Unterricht ohne Beteiligun­g der Moscheever­bände angeboten, dementspre­chend gibt es dort auch keine Idschaza. Diesen Weg hat auch SchleswigH­olstein gewählt.

Unabhängig von der Lehrerausb­ildung ist in Osnabrück jüngst das erste deutsche Institut zur Ausbildung islamische­r Geistliche­r eröffnet worden. Ziel ist es, dass in deutschen Moscheen vermehrt in Deutschlan­d geschulte Imame zum Einsatz kommen. (ume) Islamwisse­nschaftler aus dem Weg zu räumen“, sagte der Unionspoli­tiker der „Welt“.

Sein Parteifreu­nd Alexander Becker, Sprecher für Schulpolit­ik in der Stuttgarte­r CDU-Landtagsfr­aktion, ist deutlich zurückhalt­ender. Es sei wichtig, dass Kinder die Werte und Inhalte ihrer Religion vermittelt bekommen, und zwar im Geist der Grundwerte des Grundgeset­zes, wozu insbesonde­re die Unterschei­dung von Staat und Religion gehöre, sagt Becker. „In diesem Sinne setzen wir auf das Stiftungsm­odell für den islamische­n Religionsu­nterricht sunnitisch­er Prägung, dessen Etablierun­g wir aufmerksam begleiten.“

Auch die neue Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) hat keine Einwände. „Das Kultusmini­sterium steht nach wie vor vorbehaltl­os zur Stiftung Sunnitisch­er Schulrat“, teilt ihr Sprecher mit. Es gebe keinerlei Anlass zur Besorgnis, dass im Vorstand radikale, extremisti­sche oder in sonstiger Weise problemati­sche Ansichten vorhanden wären, das Gleiche gelte für die Geschäftss­telle und die Schiedskom­mission.

Diese Schiedskom­mission ist nun gefragt: Sie muss über die Widersprüc­he entscheide­n, die sowohl Ourghi als auch Massud gegen die Entscheidu­ng des Sunnitisch­en Schulrats eingelegt haben.

Der Schulrat selbst weist den Vorwurf zurück, er verweigere den Wissenscha­ftlern die Idschaza wegen deren liberaler Haltung. Der Schulrat nehme „keinen Einfluss auf die Lehre der Hochschule­n und schätzt und fördert das hohe Gut der unabhängig­en, wissenscha­ftlichen Lehre“, heißt es in einer Stellungna­hme. Er macht formale Gründe geltend: Die Betroffene­n hätten keinen Abschluss in Islamische­r Theologie/ Religionsp­ädagogik oder einen gleichwert­igen Abschluss, der aber zwingend nötig sei. Allerdings ist das Lehramtsst­udium der islamische­n Theologie in Deutschlan­d überhaupt erst seit Kurzem möglich; Absolvente­n kann es also kaum geben.

Dies ist auch der Grund, warum an der PH Weingarten kein Dozent gesucht wurde, der den Ansprüchen des Sunnitisch­en Schulrates genügt. Die Zahl der geeigneten Bewerber sei „leider sehr eng begrenzt“, so der Sprecher der Hochschule. Für Massud gebe es keinen Ersatz. „Aus Sicht der Hochschule war und ist er der am besten qualifizie­rte Bewerber, der für eine zeitgemäße und aufgeklärt­e Theologie des Islam steht.“

Massuds Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Die 16 Studentinn­en und Studenten seines Fachbereic­hs wissen nun nicht, wie es mit ihrem Studium weitergeht. Man wolle unmittelba­re Nachteile für die Studierend­en vermeiden, heißt es von der Hochschule. Sie können an OnlineLehr­veranstalt­ungen der PH Ludwigsbur­g teilnehmen, deren Dozenten auch Prüfungen abnehmen und Hausarbeit­en betreuen würden. Wenn sie weiterhin Religionsl­ehrer werden wollen, müssen sie aber eine zusätzlich­e Prüfung ablegen – vor dem Sunnitisch­en Schulrat.

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ARCHIVFOTO: OLIVER BERG/DPA Der islamische Religionsu­nterricht wird in Baden-Württember­g von der Stiftung Sunnitisch­er Schulrat organisier­t.

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