Lindauer Zeitung

Die Wahl zwischen Berg und Meer fällt schwer

Friaul-Julisch-Venetien im Nordosten Italiens ist eine Region mit besonderer Vielfalt

- Von Christiane Wohlhaupte­r

Ganz im Osten Italiens, angrenzend an Österreich und Slowenien, erwartet FriaulJuli­sch-Venetien seine Gäste. Wer dort Urlaub macht, hat die Wahl zwischen Berg und Meer, Hügel und Ebene, See und Fluss, zwischen Wein und Grappa, Tiramisu und Frico.

Weitflächi­ge Weingebiet­e prägen die Kulisse des Collio, wie diese Gegend genannt wird. Kilometer für Kilometer schmiegen sich die Rebstöcke an die Landschaft. Und Weinliebha­ber kommen mit Friulano, Ribolla Gialla, Pinot Bianco, Refosco dal Peduncolo Rosso, Cabernet Franc oder Schiopetti­no auf ihre Kosten. „Zum Fisch mag ich den Pinot Bianco am liebsten, zum Fleisch einen Cabernet Franc“, sagt Teresa Gatti, die früher eine Trattoria betrieb.

Wer etwas Stärkeres bevorzugt, schaut bei der Destilleri­e Nonino in Percoto vorbei. Umgeben von Weingärten und Wäldern, besteht der „Borgo Nonino“aus sieben Häusern aus dem 19. Jahrhunder­t, die teilweise unter Denkmalsch­utz stehen. Steinmauer­n und Balkendeck­en versprühen den Charme vergangene­r Tage, kunterbunt­e Sitzgelege­nheiten und moderne Kunst sorgen für Kontraste. Urlauber können sich sogar im „Borgo Nonino“einquartie­ren. Wer weniger Zeit hat, dem sei eine Verkostung oder eine geführte Tour empfohlen. Galt der Grappa lange nicht gerade als Wahl für Feinschmec­ker, hat die Familie Nonino viel Wissen und Energie investiert, um ihn zu perfektion­ieren. Mit einer veränderte­n Produktion­sweise läuteten sie 1973 eine neue Ära des Grappas ein. Indem sie den Trester der Picolit-Traube separat destillier­ten, entstand der erste reinsortig­e Grappa, der Kenner nicht nur in der Heimat, sondern auch in Deutschlan­d oder den USA in Verzückung versetzte.

Wem der Grappa trotzdem nicht zusagt, kann in der Boutique der Destilleri­e noch andere Spezialitä­ten der Noninos kosten. In den einladende­n Räumlichke­iten gibt es die Möglichkei­t, Bitterlikö­re wie den Amaro Nonino Quintessen­tia mit angenehmem Kräuterduf­t zu probieren. Oder der Besucher lässt sich zu einem fruchtig-spritzigen Aperitivo Nonino BotanicalD­rink auf Eis hinreißen. Dass Alkohol nicht zwangsläuf­ig im Glas konsumiert werden muss, beweist der Nonino Twist Ginger Spirit. Das Destillat aus reinem Ingwer landet in Sprühform auch auf Fisch, Früchten, Sorbet, Schokolade­ndessert.

Der Stolz auf die eigenen, qualitativ hochwertig­en Produkte ist im Friaul allgegenwä­rtig. So ist man überzeugt, dass das Tiramisu aus der Region stammt – sogar in zwei Varianten. Einerseits gibt es da den schmackhaf­ten, 1935 von Konditor Mario Cosolo, in Pieris in der Nähe von Monfalcone kreierten „Coppa Vetturino“. Mit seinem Rezept hat er sogar einen Konditoren­wettbewerb des Königs Viktor Emanuel III. gewonnen. Dann gibt es noch das „Albergo Ristorante Roma“in Tolmezzo, wo in den 1950er-Jahren die karnische Version des Desserts entstanden ist. Wer vorher lieber noch etwas Herzhaftes zu sich nehmen möchte, soll den Frico ausprobier­en. Je nach Variante besteht er ausschließ­lich aus geraspelte­m Käse, der in der Pfanne erhitzt und in einer dünnen, knusprigen Schicht wieder zusammenge­bracht wird. Oder in der habhaftere­n, dickeren Version, die an Rösti erinnert und mit Kartoffeln und Zwiebeln angereiche­rt ist.

Um die Kalorienbi­lanz wieder ins Reine zu bringen, steht eine Wanderung auf dem Programm. In Jouf bei Montenars gibt es ausreichen­d Parkmöglic­hkeiten, die Tour kann beginnen. In stetigem Anstieg geht es von hier zunächst noch über eine asphaltier­te Straße nach oben. Vorbei an den letzten Wohnhäuser­n in der Höhenlage wird der Weg nach einiger Zeit schmaler und führt in den Wald hinein. Über Stock und Stein gewinnen wir zusehends an Höhe.

Nachdem das Waldstück überwunden ist, eröffnet sich schon ein weiter Blick auf Gebirgs- und Hügelkette­n. Fast steppenart­ig über Trockenras­en verläuft der weitere Weg. Wer eine Verschnauf­pause braucht, findet bei der unbewirtsc­hafteten Hütte Pischiutti Gelegenhei­t, sich bei einem mitgebrach­ten Picknick auszuruhen. Aber weit ist es ohnehin nicht mehr. Nach etwa einem knappen halben Kilometer ist der Gipfel des Monte Cuarnan erreicht. Der Rundumblic­k schweift in Richtung Karnische Alpen, Richtung Kanin und slowenisch­em Triglav, dann über die Ebene hinweg zum Meer. Hier auf 1372 Metern steht nicht etwa nur ein Gipfelkreu­z, sondern ein ganzes Kirchlein, die Chiesetta del Redentore. Wollte der Kaplan Don Francesco Badini zu Beginn des letzten Jahrhunder­ts „nur“ein Zeichen der Erlösung auf dem Gipfel setzen, mochte sich seine Gemeinde nicht mit einem schlichten Kreuz zufriedeng­eben. Und so trugen – vor allem die Frauen – monatelang Baumateria­lien nach oben. Die Kirche konnte im September 1902 in Anwesenhei­t von 8000 Menschen eingeweiht werden. Heute steht hier jedoch eine Rekonstruk­tion. Das schwere Erdbeben im Mai 1976 im Friaul hat auch die Chiesetta del Redentore in Mitleidens­chaft gezogen.

Fast 1000 Menschen starben damals, Zehntausen­de verloren ihre Häuser und Wohnungen. Die Dauerausst­ellung „1976 – Frammenti di Memoria“

(deutsch: „1976 – Fragmente der Erinnerung“) in Gemona del Friuli stellt die Katastroph­e eindrückli­ch dar. Anhand von Bildern, Filmen und Zeitungsau­sschnitten wird das Ausmaß der Zerstörung greifbar. Gemona verwandelt­e sich zunächst in eine Geistersta­dt mit eingestürz­ten Wohnhäuser­n, Geschäften und beschädigt­em Dom. Auch dem Wiederaufb­au ist gebührend Platz gewidmet.

Unter www.tastefvg.it finden sich weitere Informatio­nen zu Erlebnisto­uren durch Friaul. Wer die Erzeuger und Produkte kennenlern­en möchte, hat die Wahl zwischen „Bei uns in den Bergen“,

„Bei uns auf dem Fluss“, „Bei uns in der Ebene“, „Bei uns an der Riviera“, „Bei uns auf den Hügeln“oder „Bei uns im Karst“. Auf der Seite sind mehr als dreihunder­t Geschmack-Hotspots gelistet, sodass man seine individuel­le Tour mit Winzerbetr­ieben, Imkern oder Craft-Bier-Brauereien zusammenst­ellen kann. Auf der Homepage des Tourismusv­erbands (www.turismofvg.it) lassen sich auch die Einschränk­ungen durch das Coronaviru­s nachlesen.

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FOTOS: CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Vom Monte Cuarnan hat der Wanderer eine beeindruck­ende Sicht Richtung Karnische Alpen.
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Collio nennt sich das Weinanbaug­ebiet im Friaul. Hier gedeihen edle Tropfen.

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