Die Wahl zwischen Berg und Meer fällt schwer
Friaul-Julisch-Venetien im Nordosten Italiens ist eine Region mit besonderer Vielfalt
Ganz im Osten Italiens, angrenzend an Österreich und Slowenien, erwartet FriaulJulisch-Venetien seine Gäste. Wer dort Urlaub macht, hat die Wahl zwischen Berg und Meer, Hügel und Ebene, See und Fluss, zwischen Wein und Grappa, Tiramisu und Frico.
Weitflächige Weingebiete prägen die Kulisse des Collio, wie diese Gegend genannt wird. Kilometer für Kilometer schmiegen sich die Rebstöcke an die Landschaft. Und Weinliebhaber kommen mit Friulano, Ribolla Gialla, Pinot Bianco, Refosco dal Peduncolo Rosso, Cabernet Franc oder Schiopettino auf ihre Kosten. „Zum Fisch mag ich den Pinot Bianco am liebsten, zum Fleisch einen Cabernet Franc“, sagt Teresa Gatti, die früher eine Trattoria betrieb.
Wer etwas Stärkeres bevorzugt, schaut bei der Destillerie Nonino in Percoto vorbei. Umgeben von Weingärten und Wäldern, besteht der „Borgo Nonino“aus sieben Häusern aus dem 19. Jahrhundert, die teilweise unter Denkmalschutz stehen. Steinmauern und Balkendecken versprühen den Charme vergangener Tage, kunterbunte Sitzgelegenheiten und moderne Kunst sorgen für Kontraste. Urlauber können sich sogar im „Borgo Nonino“einquartieren. Wer weniger Zeit hat, dem sei eine Verkostung oder eine geführte Tour empfohlen. Galt der Grappa lange nicht gerade als Wahl für Feinschmecker, hat die Familie Nonino viel Wissen und Energie investiert, um ihn zu perfektionieren. Mit einer veränderten Produktionsweise läuteten sie 1973 eine neue Ära des Grappas ein. Indem sie den Trester der Picolit-Traube separat destillierten, entstand der erste reinsortige Grappa, der Kenner nicht nur in der Heimat, sondern auch in Deutschland oder den USA in Verzückung versetzte.
Wem der Grappa trotzdem nicht zusagt, kann in der Boutique der Destillerie noch andere Spezialitäten der Noninos kosten. In den einladenden Räumlichkeiten gibt es die Möglichkeit, Bitterliköre wie den Amaro Nonino Quintessentia mit angenehmem Kräuterduft zu probieren. Oder der Besucher lässt sich zu einem fruchtig-spritzigen Aperitivo Nonino BotanicalDrink auf Eis hinreißen. Dass Alkohol nicht zwangsläufig im Glas konsumiert werden muss, beweist der Nonino Twist Ginger Spirit. Das Destillat aus reinem Ingwer landet in Sprühform auch auf Fisch, Früchten, Sorbet, Schokoladendessert.
Der Stolz auf die eigenen, qualitativ hochwertigen Produkte ist im Friaul allgegenwärtig. So ist man überzeugt, dass das Tiramisu aus der Region stammt – sogar in zwei Varianten. Einerseits gibt es da den schmackhaften, 1935 von Konditor Mario Cosolo, in Pieris in der Nähe von Monfalcone kreierten „Coppa Vetturino“. Mit seinem Rezept hat er sogar einen Konditorenwettbewerb des Königs Viktor Emanuel III. gewonnen. Dann gibt es noch das „Albergo Ristorante Roma“in Tolmezzo, wo in den 1950er-Jahren die karnische Version des Desserts entstanden ist. Wer vorher lieber noch etwas Herzhaftes zu sich nehmen möchte, soll den Frico ausprobieren. Je nach Variante besteht er ausschließlich aus geraspeltem Käse, der in der Pfanne erhitzt und in einer dünnen, knusprigen Schicht wieder zusammengebracht wird. Oder in der habhafteren, dickeren Version, die an Rösti erinnert und mit Kartoffeln und Zwiebeln angereichert ist.
Um die Kalorienbilanz wieder ins Reine zu bringen, steht eine Wanderung auf dem Programm. In Jouf bei Montenars gibt es ausreichend Parkmöglichkeiten, die Tour kann beginnen. In stetigem Anstieg geht es von hier zunächst noch über eine asphaltierte Straße nach oben. Vorbei an den letzten Wohnhäusern in der Höhenlage wird der Weg nach einiger Zeit schmaler und führt in den Wald hinein. Über Stock und Stein gewinnen wir zusehends an Höhe.
Nachdem das Waldstück überwunden ist, eröffnet sich schon ein weiter Blick auf Gebirgs- und Hügelketten. Fast steppenartig über Trockenrasen verläuft der weitere Weg. Wer eine Verschnaufpause braucht, findet bei der unbewirtschafteten Hütte Pischiutti Gelegenheit, sich bei einem mitgebrachten Picknick auszuruhen. Aber weit ist es ohnehin nicht mehr. Nach etwa einem knappen halben Kilometer ist der Gipfel des Monte Cuarnan erreicht. Der Rundumblick schweift in Richtung Karnische Alpen, Richtung Kanin und slowenischem Triglav, dann über die Ebene hinweg zum Meer. Hier auf 1372 Metern steht nicht etwa nur ein Gipfelkreuz, sondern ein ganzes Kirchlein, die Chiesetta del Redentore. Wollte der Kaplan Don Francesco Badini zu Beginn des letzten Jahrhunderts „nur“ein Zeichen der Erlösung auf dem Gipfel setzen, mochte sich seine Gemeinde nicht mit einem schlichten Kreuz zufriedengeben. Und so trugen – vor allem die Frauen – monatelang Baumaterialien nach oben. Die Kirche konnte im September 1902 in Anwesenheit von 8000 Menschen eingeweiht werden. Heute steht hier jedoch eine Rekonstruktion. Das schwere Erdbeben im Mai 1976 im Friaul hat auch die Chiesetta del Redentore in Mitleidenschaft gezogen.
Fast 1000 Menschen starben damals, Zehntausende verloren ihre Häuser und Wohnungen. Die Dauerausstellung „1976 – Frammenti di Memoria“
(deutsch: „1976 – Fragmente der Erinnerung“) in Gemona del Friuli stellt die Katastrophe eindrücklich dar. Anhand von Bildern, Filmen und Zeitungsausschnitten wird das Ausmaß der Zerstörung greifbar. Gemona verwandelte sich zunächst in eine Geisterstadt mit eingestürzten Wohnhäusern, Geschäften und beschädigtem Dom. Auch dem Wiederaufbau ist gebührend Platz gewidmet.
Unter www.tastefvg.it finden sich weitere Informationen zu Erlebnistouren durch Friaul. Wer die Erzeuger und Produkte kennenlernen möchte, hat die Wahl zwischen „Bei uns in den Bergen“,
„Bei uns auf dem Fluss“, „Bei uns in der Ebene“, „Bei uns an der Riviera“, „Bei uns auf den Hügeln“oder „Bei uns im Karst“. Auf der Seite sind mehr als dreihundert Geschmack-Hotspots gelistet, sodass man seine individuelle Tour mit Winzerbetrieben, Imkern oder Craft-Bier-Brauereien zusammenstellen kann. Auf der Homepage des Tourismusverbands (www.turismofvg.it) lassen sich auch die Einschränkungen durch das Coronavirus nachlesen.