Von wegen Zoom
Nun hat es doch nicht Zoom gemacht! Thomas Müller schoss zwar nur knapp daneben, aber sein erster Treffer bei einer Fußball-EM blieb ihm verwehrt. Und warum rühren wir noch einmal an diese schmerzhafte Wunde? Allein aus sprachlichen Gründen. Am Montag war es im Sportteil um dieses noch fehlende EM-Tor gegangen:
Was dabei interessant ist: Diese Passage spielt gekonnt mit der Erinnerung an den Hit der Klaus Lage Band von 1984:
Wer diese Assoziation allerdings nicht hat, der dürfte die Formulierung in einem Sportartikel etwas seltsam finden. Dass es in jenem Song nicht ums Toreschießen ging, sondern um eine Leibesübung anderer Art, sei am Rande angemerkt. Unzählige Musiktitel oder Zitate aus Musikstücken leben – wortgetreu oder verfremdet – in der Sprache weiter und werden nicht selten zu Redensarten. Mit ihnen zu jonglieren, ist immer reizvoll. Aber so sehr ihr Einsatz einen Text oder eine Rede aufhübschen kann, so heißt es doch aufzupassen. Werden sie noch verstanden, sind sie zu ausgefallen, stimmt die Stilebene, gehen sie an zu vielen Adressaten vorbei, wirken sie unfreiwillig komisch – das sind Fragen, die man sich vorab stellen sollte. Ein Beispiel: In einer katholischen Dekanatszeitschrift ging es unlängst um das „Jahr des heiligen Josef“, das Papst Franziskus für 2021 proklamiert hat – Josef als Vorbild für Ehemänner und Väter. Überschrift des Artikels:
Es ist anzunehmen, dass der geistliche Schreiber die Quelle nicht kannte. Wer allerdings sofort an Ina Deters Song von 1982 dachte, zuckte zusammen:
Da erhebt sich dann die Frage, ob sich dieser Titel schon so verselbständigt hat, dass man ihn losgelöst von seiner Herkunft verwenden kann. Eher nicht.
Schauen wir uns noch einige Musikzitate an, die heute ein Eigenleben führen. Steht in den letzten schneearmen Wintern irgendwo
so denkt man Rudi Carrells TV-Sommer-Schlager von 1975 automatisch mit. als Titel über dem Bericht zur Einweihung der neuen Bushaltestelle in einem Dorf ist ganz originell – und Melina Mercouri, Milva oder Lale Andersen, die alle die Titelmelodie
aus dem Film von 1962 schon sangen, werden es postum verzeihen. Legion sind die Verfremdungen eines Dauerbrenners von 1927:
und natürlich weiterhin in
wie es Friedrich Löhner-Beda einst wollte. Dazu gehört dann auch als düstere Hintergrundfolie, dass jener böhmisch-jüdische Textdichter – weil nicht mehr arbeitsfähig – 1942 in Auschwitz totgeschlagen wurde.
– die Liste ließe sich beliebig lange fortsetzen. Zum Schluss noch ein Griff in das Schatzkästlein des schwäbischen Liedguts:
So wie Thomas Müller am Dienstagabend in der 81. Minute. Von wegen Zoom.
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