Von Lakehurst zu brennenden Gegenwartsfragen
Von Harald Ruppert
- Die große Epoche der Luftschifffahrt ist lange vorbei. 1937 erlebte sie mit der Katastrophe von Lakehurst ihr Fanal. Abgeschrieben ist das Thema aber längst nicht. Das zeigt das Zeppelin Museum in Friedrichshafen. Es umfasst die größte sowie wichtigste Sammlung zur Luftschifffahrt und ist ein bemerkenswert junges Haus. Am 2. Juli wird das Zeppelin Museum 25 Jahre alt.
Seine Direktorin Claudia Emmert blickt mit Elan nach vorn. Das passt zu einem Museum, das mit seiner kritischen Forschung noch nie dem Bewahrenden und Verstaubten zugeneigt war. Nun ist das Zeppelin Museum bereit, seine Perspektive noch mehr zu erweitern: Es soll sich zum Forum wandeln. „Museen müssen offen für Diskurse sein, in denen die Stresspunkte der Gesellschaft aktiv behandelt werden“, sagt Emmert.
Aktuellen Fragen widmet sich das Zeppelin Museum schon seit einigen Jahren. Die laufende Wechselausstellung „Beyond Borders“fragt, ob der Nationalstaat ausgedient hat. Stößt er durch globale Krisen an seine Grenzen? Oder gewinnt er wieder an Bedeutung? „Game of Drones“(2019) umkreiste das Nutzungsspektrum fliegender Drohnen – die Probleme, die ihr Einsatz als Überwachungsinstrument und Kriegswaffe aufwirft, aber auch ihre Chancen als Wirtschaftsfaktor. Die Kunstausstellung „Schöne neue Welten“(2018) wiederum präsentierte keine Bilder an der Wand, sondern Kunst aus Bits und Bytes, die virtuelle Welten bauten und von Besuchern mit VR-Brillen erkundet wurden. „Möglichkeit Mensch“(2016) schließlich begriff den Menschen in einer anthropologischen Untersuchung als Wesen, dem nur eines in der Natur liegt: seine dauernde Verwandlung im Verhältnis zur Welt.
Das Zeppelin Museum tat sich mit seiner eigenen Konzeption nicht immer leicht: Das Haus verbindet Kunst und Technik. Aber wie passt die Luftschiffgeschichte zu einer Kunstsammlung, die vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart reicht, mit einem Schwerpunkt auf der Klassischen Moderne eines Otto Dix, Max Ackermann oder Erich Heckel? Die Schnittpunkte in der ersten Dauerausstellung wirkten gesucht und die Kunst hatte das Image eines Hinkefußes, der auf die Krücke der Technik angewiesen war – damit die vom Mythos Zeppelin angelockten Besucher sie sich ansahen.
Aber das ist vorbei. Kunst und Technik werden in Wechselausstellungen kongenial verbunden. „Jede neue Ausstellung nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Luftschifffahrt“, betont Claudia Emmert. „Dann entwickeln wir das Thema in die Gegenwart und suchen nach Ausblicken auf mögliche Zukünfte“; wobei die Spekulationen und Visionen nicht nur den
Künstlern überlassen werden müssen. Der Sphäre der Technik fehlte es seit jeher nicht an Zukunftsvorstellungen. Ihnen widmet sich auch das für 2022 geplante Ausstellungsprojekt, das einmal mehr Technik und Kunst verbindet: „Fetisch Zukunft – Utopien der dritten Dimension“wird sich mit der Geschichte der Ideen zur Überwindung der Schwerkraft befassen, vom Luftschiff bis zur Weltraumsiedlung.
Der Titel „Fetisch Zukunft“zeigt, dass man im Zeppelin Museum keine unkritische Verherrlichung technischer Innovationen betreibt. In Friedrichshafen schreibt man die Worte „Vision“und „Innovation“gern auf Werbebanner, bildet doch Graf Zeppelin die Wurzel einer Industriegeschichte, die vom Luftschiff über die Flugzeug- und Automobiltechnologie bis zur Weltraumtechnik führt. Jürgen Bleibler, der Leiter der Zeppelinabteilung, warnt indes vor naiven Sichtweisen. „Es gibt diese eindimensionale Erzählung vom technischen Fortschritt, der vom Schlechten zum Besseren führt. Ich halte sie für falsch, und wir müssen sie überwinden.“
Im Museum will man aus möglichst vielen Perspektiven auf ein gewähltes Thema blicken. Tabus gibt es nicht. Bleibler brach mit liebevoll gepflegten Geschichtsbildern, als er den
Einsatz von Luftschiffen als Bomben werfende Waffen im Ersten Weltkrieg thematisierte. Auch die Rolle der Rüstung für den technischen Fortschritt arbeitet das Haus auf, und es präsentierte die Ergebnisse der Historikerin Christa Tholander zum Einsatz von Zwangsarbeitern in den Industriebetrieben Friedrichshafens.
Das Zeppelin Museum arbeitet eng mit dem Archiv der Luftschiffbau Zeppelin zusammen, das auch im Haus untergebracht ist. Es ist das weltweit größte Archiv zur Geschichte der Zeppelin-Luftfahrt. Museum und Archiv sind eine Anlaufstelle für Fragen von Wissenschaftlern aus aller Welt. Dass die Zeppelin-Geschichte so reichhaltig gezeigt werden kann, ist auch dem Freundeskreis zur Förderung des Zeppelin Museums e.V. zu verdanken, der mit seiner Sammlung Millionenwerte einbrachte.
Zur Vermittlung von Forschungsergebnissen reichen gut gemachte Ausstellungen allein aber nicht aus. Um die Idee vom Museum als Forum zu verwirklichen, hat das Haus deshalb mitten in der Corona-Krise, als eigentlich gar nichts ging, die digitale Plattform „Debatorial“gegründet: Fachvorträge, bei denen die zugeschalteten Zuhörer mit den eingeladenen Fachleuten in Austausch treten können – über Themen wie den Missbrauch von Staatsgewalt oder die Ziehung von Grenzen im Luftraum. „Das Debatorial hat uns international Anerkennung eingebracht“, sagt Claudia Emmert. Auch darüber hinaus ist die digitale Strategie ambitioniert. Das Museum ist vielfältig im Netz präsent: vom digitalen Museumsrundgang über die wachsende Präsentation der Sammlung im Netz bis zu umfangreichen Zusatzmaterialien, die einzelne Ausstellungen vertiefen.
Emmert und Bleibler sind sich einig: Von Nutzen ist die Digitalisierung eines Museums nur, wenn im Netz das reale Museum nicht einfach nur abgebildet wird. Zudem nutzt das Haus das Internet für neuartige Ausstellungsprojekte. Das Thema ist noch geheim. Es gehe aber um Zukunftsfragen, und man habe sechs deutsche Partner-Institutionen gewonnen, um diese interdisziplinär zu beleuchten, verrät die Museumschefin. Jedes dieser Häuser wird unter seinem eigenen Blickwinkel an seinem angestammten Ort eine eigene Schau zu diesem Thema ausrichten. Verbunden werden sie durch einen gemeinsamen Internetauftritt.
Demnächst gehen Zeppelin Museum und LZ-Archiv auch eine Partnerschaft mit Wikipedia ein. „Eine Gruppe wissenschaftlicher Autoren des Online-Nachschlagewerks erhält Zugriff auf alle unsere Themenbereiche“, sagt Emmert. Die Wikipedia-Artikel sollen so auf dem neuesten und besten Stand gehalten werden.
Mehr als 6,5 Millionen Menschen haben das Zeppelin Museum seit seiner Gründung besucht. Die jährliche Besucherbilanz lag vor Corona stabil über 200 000, obwohl sich die Museumslandschaft zusehends verdichtet hat. Schon 2018 beschloss der Gemeinderat, dass das Museum einen Erweiterungsbau für die Kunstsammlung bekommen soll. Das Geld dafür wurde aber noch nicht bewilligt. Durch den gewonnen Platz wäre jedenfalls eine Darstellung der Industriegeschichte Friedrichshafens in ihrer Breite möglich – die Geschichte technischer Innovationen, die sich nicht als Kette folgerichtiger Entwicklungen ereignete. Technische Neuerungen sind Reaktionen auf Märkte, die sich verändern. Sie sind eine oft erzwungene Folge von politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen; einst etwa aufgrund des Rüstungsverbots nach dem Ersten Weltkrieg, heute durch den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor.
Ein klassisches Museum ist das Zeppelin Museum immer noch. Es untersucht, was technische Innovationen antreibt oder hemmt. Das schließt die kritische Selbstreflexion mit ein. Das Haus, das hat die Krise gezeigt, ist heute ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, museale Arbeit immer wieder neu zu denken. So ist es im besten Sinne auch ein Labor für das Museum der Zukunft.