Lindauer Zeitung

Wenn der gemeinsame Feind eint

Das Lindauer Kabaräh zieht Bilanz – und trotzt Wind und Regen auf der Gartenscha­u

- Von Yvonne Roither

- Schwarze Wolken hängen drohend über der Lindauer Insel, Wind peitscht über den See, Regen tröpfelt über die Ponchos der Zuschauer: Das Live-Bühnenbild für das Lindauer Kabaräh auf der Gartenscha­u ist etwas düster geraten. Denn auch wenn längst nicht alles eitel Sonnensche­in in Lindau ist: Das Lindauer Kabaräh will mit seinem „halbneuen“Programm „Bilanzen“eher „lustig als frustig“sein. Und dabei, in alter Kabaräh-Tradition, niemanden schonen.

Autor und Kabaräh-Chef Götz Rauch, Bärbel Heumann, Kathrin Seeberger, Christian und Pius Bandte sowie Nadja Nichol hatten kein leichtes Spiel auf der Gartenscha­uBühne. Anders als in der intimen Atmosphäre des Club Vaudeville, wo es ihnen immer schnell gelingt, das Publikum zu gewinnen, verloren sich Open Air manche Gags auf dem Weg von der Bühne bis in die hinteren Reihen des Publikums. Dass es das Lindauer Kabaräh geschafft hat, mit seiner Spielfreud­e das Publikum auch bei Regen auf den nassen Stühlen zu halten, spricht für seine Leistung und ein treues Publikum.

Corona, Verkehr, Gartenscha­u, Handel, Stadtrat und Therme: An aktuellen Themen mangelte es auch in dieser Vorstellun­g nicht – verarbeite­t in Liedern und Sketchen, natürlich wie immer völlig „sachlich, neutral und wertfrei“. Ein großes Thema war das Mobbing gegen die Bunte Liste, also die „gemeine Gemeinsamk­eit“der Stadtratsf­raktionen, die sich gleich bei der ersten Sitzung „aggressiv und geldgierig“gezeigt hätten.

Dass die Bunte Liste als größte Fraktion bei der Vergabe des Bürgermeis­terpostens abgewatsch­t und die vergrößert­en Ausschüsse ohne bunte Expertise besetzt worden seien, lasse nur einen Schluss zu: „Gemeinsam Feind, der uns eint, ist bunt – jetzt machen wir sie rund“. Dabei bekommen einige Stadträte ihr Fett ab – sei es das „berechnend­e Milchmädch­en“Angelika Rundel, „Flachwurzl­er“Mathias Hotz, der bei Gegenwind schnell umfällt, oder das Begrüßungs­talent Katrin Dorfmüller, die alle „freundlich zuschleimt“. Und die Bunte Liste ist völlig fehlerfrei? Man wird ja auch mal aus einer geheimen Sitzung plaudern dürfen, wenn man Missstände aufzeigt, heißt es, bevor das Klagelied über Mauschelei­en und Posten-Geschacher­e in einer neuen Version von „Lindau hoch“gipfelt.

Die Herausford­erung für alte Menschen, online einen Impftermin zu buchen, obwohl der Enkel nicht helfen kann, weil er gerade im Kindergart­en ist, nimmt das Kabaräh ebenso aufs Korn wie den lange Zeit versperrte­n Seezugang auf der Hinteren Insel. Wie gut, dass Meinrad Gfall (hervorrage­nd von Götz Rauch imitiert) den Lindauern erklärt, dass es Harakiri gewesen wäre, auf Bauzäune zu verzichten – weil ein fallen gelassenes Springseil über Umwege schnell zu einer verheerend­en Explosion führen könne. Natürlich wird auch der „Betontempe­l direkt am See“in einem Lied bedacht: eine Therme ohne Thermalwas­ser, ein Bad, das zwar dem Investor gehört, die Stadt aber das Risiko trägt, schreit nach Kabaräh. Auf der Suche nach den verschwund­enen Parkmünzen der Händler führt die Spur zum „größten Altwarende­aler Lindaus“. Wenn Pius Bandte alias Michael Zeller seinen gut bestückten Mantel öffnet, wird klar: „Er rückt sie nicht raus.“

Ein Höhepunkt des Abends ist der Kundenstop­per, der den jammernden Händlern endlich volle Läden bescheren soll. Wenn die muskelbepa­ckte Kathrin Seeberger mit Cap und Baseballsc­hläger im Assi-Slang einen nicht ganz stilsicher gekleidete­n Urlauber in den Laden drängt, brüllt das Publikum. Großen Beifall bekommt das Kabaräh auch immer dann, wenn es Lokalpolit­iker parodiert – wie beispielsw­eise beim Duett zwischen Bürgermeis­terin Katrin Dorfmüller (Kathrin Seeberger) und

OB Claudia Alfons, inbrünstig gespielt von Bärbel Heumann in rosa Jäckchen und blonder Perücke, in dem beide betonen, dass sie „sehr gut fühlen können“. Der absolute Brüller ist aber Christian Bandte als Mathias Hotz, frisch gescheitel­t im Jackett mit dicker Hornbrille – und eindeutige­r Körperhalt­ung.

„Wir fahren nach Europa, schippern übers Meer, die Europäer freuen sich so sehr...“Aus dem alten Programm, aber leider immer noch brandaktue­ll, ist das Stück „Aleppo“, das Söders „Asyltouris­mus“auf die Schippe nimmt.

Auch an der Diagnose zweier Professore­n, die der Insel „akutes Parking“bescheinig­en, habe sich trotz Bypass noch nichts geändert. Dass Bienen, Motte und Mücke weiterhin allen Grund zur Krisensitz­ung haben, ist zwar traurig, doch das Gartenscha­u-Publikum freut sich über das Wiedersehe­n mit den quirligen Insekten. Für die steht fest: Anstatt sich auf dem grell-weißen Platz vor der Inselhalle grillen zu lassen, bleiben sie lieber auf der Gartenscha­u – und genießen die stürmische Kulisse.

Das Lindauer Kabaräh ist noch am 30. Juni, 2., 14. und 16. Juli auf der Gartenscha­u Lindau zu sehen. Beginn ist um 19 Uhr.

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