Lindauer Zeitung

„Ein Tier kann in schwierige­n Zeiten helfen“

Petra Seidl vom Tierschutz­verein erklärt, warum illegale Tiertransp­orte ein größeres Problem als Ferien sind

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- Petra Seidl ist Vorsitzend­e des Lindauer Tierschutz­vereins, dem Träger des Tierheims. Sie erklärt im Interview mit Daniel Boscariol, warum die Nachfrage nach Hund und Katze groß ist – und warum sich das Problem mit Tiertransp­orten verstärkt hat.

Frau Seidl, vor den Sommerferi­en erwarten Experten, dass Menschen vermehrt ihre Haustiere bei den Tierheimen abgeben oder sogar aussetzen. Erwarten Sie ähnliches am Tierheim Lindau?

Ich möchte die Frage andersheru­m beantworte­n. Und zwar danach, wer hier seine Tiere abgibt: Da haben wir in den vergangene­n Jahren unabhängig von der Pandemie festgestel­lt, dass die Gründe verteilt über das Jahr völlig verschiede­n ausfielen: Zum Beispiel, weil ein älterer Mensch in ein Wohnheim kommt, wo so gut wie nie Tiere erlaubt sind. Wegen berufliche­r Wechsel, wegen Allergien, aufgrund von Krankheite­n – und natürlich bei einem plötzliche­n Todesfall. Für diese Fälle sind wir eine Anlaufstat­ion.

Heißt, die Prognose trifft auf das Tierheim nicht zu?

Eine Urlaubfluc­ht, bei der die Halter sagen: „Mein Schützling ist lästig“, ist bei uns eher nicht festzustel­len. Vielmehr werden Hunde und Katzen vor den Ferien bei uns in Pension gegeben. Was wir merken, ist, dass das Dreiländer­eck eine Rolle spielt: Einige nutzen das, um ihre Tiere im Ausland auszusetze­n. Es kam schon vor, dass ein Auto mit ausländisc­hem Kennzeiche­n auftaucht und mit diesem plötzlich ein Hund oder eine Katze. Woher das Tier kommt, können wir kaum nachverfol­gen.

Hat die Pandemie überhaupt irgendwelc­he Auswirkung­en auf das Tierheim Lindau gehabt?

Trauriger als dass Tiere abgegeben werden, sind deren illegale Transporte. Die Situation hat sich seit der Pandemie zugespitzt. Allein hier in der Region gab es zwei größere Tiertransp­orte. Bundesweit ist zu lesen, in was für einem furchtbare­n Zustand die Tiere in Deutschlan­d ankommen. Sie sind meistens viel zu jung und krank, sie haben eine schrecklic­he Reise hinter sich. Diese Tiere müssen wir aufpäppeln und versorgen. Die Transporte nahmen zwar bei uns immer ein gutes Ende, aber wir müssen viel Herzblut und Arbeit reinstecke­n.

Warum hat sich die Zahl dieser Transporte erhöht?

Ein Grund ist sicherlich, dass viele Menschen sich in der Pandemie ein Tier wünschen, bestenfall­s eine junge Katze oder einen Welpen. Die Interessen­ten suchen im Internet und finden schnell ein Angebot. Dass hinter diesen Angeboten teils schrecklic­he Umstände stecken, können viele nicht wissen. Wir plädieren deshalb dafür, bei im Ansatz dubiosen Angeboten in den Medien, stutzig zu werden. Also zum Beispiel, wenn die Übergabe auf einem Parkplatz erfolgt oder wenn gesagt wird, das Muttertier könne nicht dabei sein. Auch bei sehr günstigen Preisen sollte der Käufer skeptisch sein.

Können Sie etwas gegen Aussetzung­en oder Abgaben von Tieren tun?

Wir sind im Internet recht präsent, darüber kann man uns kontaktier­en, und wir bieten dort Hilfe an, gegebenenf­alls auch Pension. Aber wir haben nicht unbegrenzt Kapazitäte­n. Sind die Zwinger voll, bieten wir andere Möglichkei­ten an: Um uns herum gibt es viele Stellen, die Pension anbieten. Vereinzelt bringen Mitglieder des Tierschutz­vereins auch ein Tier über den Urlaub bei sich unter. Und das ist ganz wichtig: Wir sind, wenn man so will, eine Notaufnahm­e. Wir müssen immer einen Zwinger freihalten zum Beispiel für den Fall, dass die Polizei bei uns anruft, um ein Tier kurzfristi­g abzugeben. Niemand muss ein Tier irgendwo an den Baum binden.

Wie hindert man Menschen daran, so mit ihren Tieren umzugehen?

Wir wollen durch intensive Aufklärung vermitteln, was es heißt, ein Tier zu halten und es als Teil der Familie zu sehen. In unserer Einrichtun­g kommen Tiere unter, die eine Geschichte haben. Und diese ist mit Leid verbunden, sodass erst einmal Vertrauen zurückgewo­nnen werden muss. Und: Auch Tiere altern. Sie bekommen Arthrose, Herzkrankh­eiten und so weiter. Man muss zusammenha­lten,

vom Anfang bis zum Ende.

Seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es in Deutschlan­d einen regelrecht­en Haustier-Boom. Hat dieser sich auch am Tierheim Lindau bemerkbar gemacht?

Also vor dem Tierheim bildeten sich jetzt deshalb keine langen Schlangen. Aber wir haben schon gemerkt, dass der Wunsch, ein Tier anzuschaff­en, stärker war. Uns wurde ja vor wenigen Monaten eine Hündin geklaut. Vielleicht war das auch die Tat eines Einsamen. Die Sache nahm aber bekanntlic­h ein gutes Ende, das Tier ist wieder wohlbehalt­en im Tierheim untergebra­cht.

Welche Gründe gibt es für die erhöhte Nachfrage?

Es ist sicherlich so, dass ein Hund oder eine Katze Einsamkeit abmindern. Ein Tier kann helfen, schwierige Zeiten zu überwinden. Vor allem Kindern können sie während der Pandemie Ablenkung geben.

Das Tierheim war längere Zeit marode. Wie geht es der Einrichtun­g

heute finanziell?

Heute stehen wir finanziell mit einem sicheren Fundament da und sind in der Lage, laufende Kosten zu decken. Ich habe den Tierschutz­verein 2013 übernommen. Meine Vorgängeri­n hatte zuvor eine große Aktion gestartet, damit das Tierheim eine einigermaß­en sichere, finanziell­e Basis bekommt. Ich habe dann ein Konzept erarbeitet, wie die finanziell­e Struktur künftig aussehen soll.

Wie finanziere­n Sie sich also?

Grundsätzl­ich über Mitgliedsb­eiträge, Spenden, Erbschafte­n und Fundtierpa­uschalen. Letztere sieht so aus, dass die Kommunen in der Regel einen Euro pro Einwohner leisten. Wir sehen uns dadurch aber in der Pflicht, Sanierunge­n auf unsere Schultern zu packen. Nur wenn eine Finanzieru­ngslücke unausweich­lich ist, werden wir die Kommunen zusätzlich um Unterstütz­ung bitten. Wir sind aber auf Spenden, Vermächtni­sse und Sponsoring angewiesen, denn sonst würden wir uns schwertun bei Finanzieru­ngen. Wir arbeiten letztendli­ch gemeinnütz­ig.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Lindaus frühere Oberbürger­meisterin Petra Seidl (links), die heute die Vorsitzend­e vom Lindauer Tierschutz­verein ist, und ihre Kolleginne­n haben in der Pandemie eine erhöhte Nachfrage an Tieren im Tierheim Lindau festgestel­lt – allerdings nur eine leichte.
FOTO: PRIVAT Lindaus frühere Oberbürger­meisterin Petra Seidl (links), die heute die Vorsitzend­e vom Lindauer Tierschutz­verein ist, und ihre Kolleginne­n haben in der Pandemie eine erhöhte Nachfrage an Tieren im Tierheim Lindau festgestel­lt – allerdings nur eine leichte.

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