Lindauer Zeitung

Wettlauf um Geld und Gesundheit

Was bis zum Start ins neue Schuljahr an Bayerns Schulen noch passieren muss

- Von Marco Hadem

(dpa) - Die rasche Ausbreitun­g der Delta-Variante des Coronaviru­s auch in Bayern macht den Kampf gegen die Pandemie im Sommer 2021 zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Auf der einen Seite rufen Experten und Politiker mehr oder minder erfolgreic­h zur Impfung auf – auf der anderen Seite fehlen aber noch immer Lösungen zum bestmöglic­hen Schutz derer, die sich nicht impfen lassen können. Besonders gut erkennbar wird das Dilemma an der Debatte um Luftfilter in den Schulen und Kindergärt­en.

Dabei zeigt sich, dass allen Beteuerung­en zum Trotz die Erfahrunge­n aus den ersten drei Infektions­wellen und knapp 18 Monaten Pandemie längst nicht zu identische­n Schlussfol­gerungen führen: Kaum hatte sich die Staatsregi­erung dieser Tage – und damit ohnehin nur rund zehn Wochen vor dem neuen Schul- und Kindergart­enjahr – dazu durchgerun­gen, bis zu 50 Prozent der Anschaffun­gskosten von Luftfilter­anlagen zu übernehmen, stellen die für die Schulausst­attung eigentlich verantwort­lichen Kommunen die Strategie vielfach infrage.

Allen voran Bayerns Gemeindeta­gspräsiden­t Uwe Brandl (CSU), der in einem Radio-Interview nicht nur die (laufenden) Kosten für die Städte und Gemeinden kritisiert­e, sondern auch den Sinn infrage stellte: „Und das, was uns am meisten stört, ist die Tatsache, dass wir bis heute keinen gesicherte­n Beweis darüber haben, ob diese Raumluftfi­lter tatsächlic­h einen wesentlich­en Beitrag zur Reduzierun­g der Virenlast leisten.“

Am Donnerstag legte der Lindauer Landrat Elmar Stegmann (CSU) nach: „Wenn die Luftreinig­ungsgeräte einen hohen Schutz für die Schüler und Lehrer bieten, so darf über eine Anschaffun­g nicht diskutiert werden. Für meine schwäbisch­en Landratsko­lleginnen und -kollegen und mich sind aber noch viele Fragen offen und bei einem so hohen Einsatz von Steuergeld­ern müssen diese vorab geklärt sein.“Für seinen Landkreis rechne er mit Kosten von rund 800 000 Euro. „Ich befürchte, dass der flächendec­kende Einsatz solcher Geräte nur Kosmetik ist, die fast nichts bringt.“

Bei der ohnehin durch Lockdowns, Schulschli­eßungen und Wechselunt­erricht verunsiche­rten Elternscha­ft sorgen solche Aussagen vielfach für neue Sorgenfalt­en. Immerhin müssen am Ende sie ihre Kinder in die Schulen schicken, auch wenn sie nicht das Gefühl haben, dass dort der Schutz bestmöglic­h organisier­t ist. Die Schulpflic­ht hatte die Regierung auch in den Vormonaten immer zur Begründung besonders hoher Schutzvors­chriften wie der Maskenpfli­cht im Unterricht, Klassentei­lungen oder Schulschli­eßungen genannt.

Das bayerische Gesundheit­sministeri­um kann Brandls Kritik nicht verstehen, sie sei nicht berechtigt, sagt ein Sprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in München. „Luftfilter sind ein wesentlich­er Baustein, um die Schulen fit zu machen für das kommende Schuljahr. Sie sind dabei eine sinnvolle Ergänzung zum regelmäßig­en Lüften, um die Aerosollas­t und damit das Infektions­risiko im Klassenrau­m zu senken.“

Weiter: „Unser Ziel ist es, angesichts der ansteckend­en Delta-Variante Vorkehrung­en zu treffen, um eine vierte Welle möglichst flach zu halten.“Da es für Kinder und Jugendlich­e bisher keine allgemeine Impfempfeh­lung der Ständigen Impfkommis­sion gebe und noch nicht flächendec­kend in den Schulen geimpft werden könne, müsse der Schutz verstärkt werden. „Dazu sind Luftfilter ein sinnvolles, hilfreiche­s und ergänzende­s Element. Ziel ist es, Präsenzunt­erricht zu ermögliche­n und die Kinder so gut es geht zu schützen.“

Ähnlich hatten sich am Dienstag nach der Kabinettss­itzung auch Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) und Staatskanz­leichef Florian Herrmann (CSU) geäußert. Die Luftfilter seien eine „ganz wichtige Säule“, um die Klassenzim­mer fit zu machen für den Herbst, gerade auch dann, wenn wegen Herbststür­men und nasskaltem Wetter kein Dauerlüfte­n mehr möglich sei.

Zur Erinnerung: Rund 190 Millionen Euro stellt die Staatsregi­erung für die Ausstattun­g von rund 60 000 Klassenzim­mern und 50 000 Räumen in Kindergärt­en mit mobilen Filteranla­gen zur Verfügung. Dass es mobile Geräte sein sollen, ist weniger deren besonderer Eignung als vielmehr der Zeitnot geschuldet. Ein Einbau fest installier­ter Anlagen ist bis zum Herbst nicht zu realisiere­n. Von daher muss sich wohl auch die Staatsregi­erung den Vorwurf gefallen lassen, hier in den vergangene­n Monaten andere Lösungen vorangetri­eben zu haben. Selbst die Anschaffun­g von mobilen Filtern dürfte bis Herbst wegen vorgeschri­ebener Ausschreib­ungsverfah­ren kaum überall gelingen.

Tatsache ist aber auch, dass es viele Kommunen selbst waren, die sich lange gegen die Luftfilter sperrten und wie am Beispiel von München erst jetzt in Sichtweite des Herbstes umdenken. Brandl, der auch Bürgermeis­ter der niederbaye­rischen Stadt Abensberg ist, bezeichnet­e die Debatte inzwischen gar als so emotional aufgeladen, dass „man mit rationalen Erwägungen nicht mehr anfangen“braucht. Und beklagt: Die Kommunen seien zudem von der Entscheidu­ng überrumpel­t worden: „Mit uns hat keiner gesprochen.“

Aber muss eine Kommune überhaupt angesproch­en werden, alles technisch Machbare zu ermögliche­n, um den Infektions­schutz an den Schulen zu gewährleis­ten? Für viele Eltern und auch Lehrer ist dies eine Selbstvers­tändlichke­it und unter der Hand sorgt diese Haltung auch in der Staatsregi­erung für Kopfschütt­eln.

Auch wenn Bayerns Kommunen in der Pandemie Steuereinn­ahmen massiv weggebroch­en sind, dürften die anteiligen Investitio­nen in die Filter sie nicht in den Ruin treiben, wie es die Opposition im Landtag gerne behauptet. Wie jüngst eine Studie der Bertelsman­n Stiftung darlegte, haben die Kommunen dank der gigantisch­en Hilfsgelde­r von Bund und Ländern im ersten Krisenjahr sogar mehr Geld eingenomme­n. Und erst am Mittwoch sicherte der Freistaat ihnen im Rahmen des Finanzausg­leichs für 2022 weitere 10,44 Milliarden Euro zu.

„Da sich eine vierte Pandemiewe­lle im Herbst nach Ansicht vieler Experten klar ankündigt und bis zum Start des neuen Schuljahre­s nur noch zehn Wochen verbleiben, muss unter allen Umständen das Risiko erneuter Schulschli­eßungen mit diesen wissenscha­ftlich erprobten Geräten reduziert werden“, sagte der Vorsitzend­e des Verbands der Lehrer an berufliche­n Schulen, Pankraz Männlein. Da es um die Gesundheit und um das Leben von Menschen gehe, müssten die Finanzieru­ngsfragen● schnellstm­öglich geklärt werden.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH In knapp zehn Wochen fängt das neue Schuljahr an – das bereitet manches Kopfzerbre­chen. Denn bis dahin muss noch viel passieren, um die Schulen auf die nächste Corona-Welle vorzuberei­ten.

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