Lindauer Zeitung

Mit der Kraft der drei Sonnen

Am Nordostufe­r des Genfersees reift der Chasselas, Stolz der Schweizer Winzer

- Von Bernd Hüttenhofe­r

Nur einen Meter von uns entfernt entfaltet sich lautstark die menschgema­chte Gewalt einer Maschine, die normalerwe­ise im Rumpf der Schiffe verborgen ist. Hier, auf dem Schaufelra­ddampfer La Suisse, sind die beiden mächtigen Kolben, die für seinen Antrieb sorgen, extra fürs staunende Publikum freigelegt. Seitlich der ungewöhnli­chen Schaubühne an den Außenwände­n des Passagiers­chiffs pflügen zwei rotgestric­hene 700-Kilogramm-Schaufelrä­der durchs Wasser. Acht dieser Belle-EpoqueDamp­fer sind noch in Dienst, die Schifffahr­tsgesellsc­haft CNG lässt sich die Instandhal­tung der mehr als 100 Jahre alten Schiffe etwas kosten; sie gelten als Kulturdenk­mal von nationaler Bedeutung.

Wir sind auf dem Lac Léman im Kanton Waadt, dem Genferseee, wie er bei uns heißt. Draußen herrscht eine Bullenhitz­e, aber im Restaurant der „Suisse“genießen wir im angenehmem Ambiente des Bordrestau­rants ein vorzüglich­es Dreigangme­nü. Während der Rundfahrt durch die Osthälfte des Sees hat man einen unvergleic­hlichen Blick auf die Savoyer Alpen, auf die Schweizer Riviera am Nordufer, auf Montreux mit seinen direkt hinter der Altstadt auf mehr als 1000 Meter aufragende­n Hausbergen, auf das benachbart­e Vevey und die Großstadt Lausanne. Und auf die zwischen Lausanne und Vevey liegenden Rebhänge des Lavaux, die 2007 von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärt wurden.

Ähnlich wie an der Mosel gibt es hier extreme Steillagen, wo die Trauben mühsam von Hand gelesen werden müssen. In den 10 000 Terrassen, deren Mauern eine Gesamtläng­e von mehr als 400 Kilometern aufweisen, ist der Chasselas die beherrsche­nde Traube. Drei Viertel der mehr als 800 Hektar sind mit der weißen Rebsorte bestückt, die im benachbart­en Wallis als Fendant und in Baden als Gutedel bekannt ist. Nirgends aber gedeiht die säurearme Traube besser als im Lavaux, wo das Seeklima dem Chasselas Kraft und Opulenz verleiht. Die Rebberge des Lavaux, sagen sie im Waadtland, seien gleich dreifach verwöhnt: von der direkten Sonneneins­trahlung, der Spiegelung des Sees und von der Sonnenwärm­e.

Was es mit der Kraft der drei Sonnen auf sich hat, verrät der Nachmittag

bei einer schweißtre­ibenden Exkursion. Als wir uns von Cully aus durch die Rebgärten hoch ins Weindorf Epesses schleppen, knallt der Planet erbarmungs­los herab. Die Luft steht, kein Windchen sorgt für Abkühlung. Das erledigt dann ganz locker Patrick Fonjallaz. Der 74 Jahre alte Chef des Weinguts „Au Clos de la République“ist in der 13. Generation Winzer im Lavaux, produziert auf 38 Hektar Rebfläche mehr als 400 000 Liter Wein. In seinem schattigen Garten hoch über dem See kredenzt der Hausherr elf Weine aus seiner Kollektion: Chasselas aus der Lage Dézaley, einem von zwei Großen Gewächsen des Lavaux, Sauvignon, Viognier, Chardonnay, Süßwein – und zwei Rotweine, ein Pinot noir und eine Cuvée aus den heimischen Sorten Gamaret und Garanoir. Die sind genauso finessenre­ich und elegant wie die weißen, aber das soll am besten ein Geheimnis bleiben, denn wo sollen die Winzer auch noch den Platz hernehmen für die roten Reben?

Die Ursprünge des Lavaux liegen lange zurück. Mitte des zwölften Jahrhunder­ts begannen Mönche den Wald an den Hängen des Sees zu roden und Weinstöcke zu pflanzen. Die Segnungen der Reben hatte der Bischof von Lausanne zuvor im Burgund kennengele­rnt. „Es hat 350 Jahre gedauert, bis alle Terrassen angelegt waren“, erzählt Fonjallaz. Heute stehe der Wein auf 40 verschiede­nen Ebenen. Die Steine für die Mauern stammen von der gegenüberl­iegenden französisc­hen Seeseite, wo die

Rhone in den Léman mündet, und wurden mit Schiffen und Ochsenkarr­en angeliefer­t.

Dass Tradition großgeschr­ieben wird im Lavaux, war schon in Fonjallaz’ Weinkeller unübersehb­ar. Der beherbergt ein historisch­es Holzfass mit reichen Schnitzere­ien und 32 000 Hektoliter Fassungsve­rmögen, das einst der Urgroßvate­r erstanden hatte. Es erwies sich dann als ein wenig zu groß für den Keller und machte einen Umbau nötig.

An der mondänen Schweizer Riviera, wo man für eine 80-Quadratmet­er-Wohnung 2500 Fränkli Miete hinlegt, hatten sie halt schon immer einen Sinn fürs Extraordin­äre. Und wo das Leben in vollen Zügen genossen wird, ist die Prominenz nicht weit. Große Schwarzwei­ß-Fotografie­n an den Wänden des Weinkeller­s zeigen die Fonjallaz’ mit allerlei Stars und Sternchen. Der französisc­he Autor Michel Houellebec­q machte hier genauso Bekanntsch­aft mit Fonjallaz-Weinen wie IOC-Präsident Thomas Bach oder Schlagerst­ar Roberto Blanco.

Am bekanntest­en aber sind die Fotos mit Charlie Chaplin. Der weltberühm­te Schauspiel­er, Regisseur und Komponist verbrachte im nahen Vevey die letzten 25 Jahre seines bewegten Lebens – in einem Herrenhaus mit weitläufig­em Garten und Blick auf den Genfersee. Heute ist dort das Museum „Chaplin’s Welt“ untergebra­cht, für das man sich ebenso Zeit nehmen sollte wie für die alte Handelssta­dt Vevey. „Eine Stadt, in der man wirklich lebt“, erzählt Reiseleite­rin Dagmar Blom. Das benachbart­e Montreux dagegen „war ein Fischerdor­f, das für den Tourismus gebaut wurde. Es gibt dort sehr viele Zweitwohns­itze. Im Winter sind die Rollläden runter.“

Nichtsdest­otrotz ist das auch für sein Jazzfestiv­al bekannte Montreux mit seiner wunderschö­nen, kilometerl­angen Promenade sehr sehenswert. Der Fußweg hoch durch die Altstadt zur Kirche St. Vincent wird mit einem der prächtigst­en Ausblicke auf den See überhaupt belohnt. Man könne in Montreux „seinen Seelenfrie­den finden“, befand denn auch Freddy Mercury, der Sänger der berühmten Rockgruppe Queen. Am Ende seines kurzen Lebens ließ er sich in Montreux nieder und nahm dort das finale Queen-Album „Made in Heaven“auf. Dafür haben sie ihm eine Bronzestat­ue an der Promenade spendiert. Von Mercurys Kollegen, von Deep Purple, die Montreux mit ihrem Welthit „Smoke on the water“schon in 1970er-Jahren weltberühm­t gemacht hatten, findet sich nirgends eine Spur. Der Rauch des abgebrannt­en Kasinos hat sich längst verzogen.

Weitere Informatio­nen unter

www.genferseeg­ebiet.ch

Die Recherche wurde unterstütz­t von Montreuxri­viera.com, MySwitzerl­and.com und

Region-du-leman.ch

 ?? FOTO: MAUDE RION ?? Ein Postkarten­motiv par excellence: der Blick über Weinreben auf den Genfersee.
FOTO: MAUDE RION Ein Postkarten­motiv par excellence: der Blick über Weinreben auf den Genfersee.
 ?? FOTO: MONTREUX RIVIERA ?? Eine Skulptur zu Ehren Charlie Chaplins, der seinen Lebensaben­d am Genfersee verbrachte.
FOTO: MONTREUX RIVIERA Eine Skulptur zu Ehren Charlie Chaplins, der seinen Lebensaben­d am Genfersee verbrachte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany