Lindauer Zeitung

Die Narben sind noch nicht verheilt

Bauern sorgen sich davor, unter Generalver­dacht gestellt zu werden

- Von David Specht und Helmut Kustermann

- Was diese Bilder ausgelöst haben, beschäftig­t viele Menschen bis heute. Vor zwei Jahren veröffentl­ichte der Verein Soko Tierschutz das Video, das einen erschrecke­nden Umgang mit Kühen auf einem großen Milchviehb­etrieb in Bad Grönenbach (Unterallgä­u) zeigte. Das löste den Allgäuer Tierskanda­l aus.

Einige Beteiligte müssen sich im Herbst vor Gericht verantwort­en, auf manchen Großbetrie­ben kontrollie­rt inzwischen eine neu geschaffen­e Behörde und bei den Landwirten in der Region bleibt ein ungutes Gefühl.

Landwirtsc­haft:

Nach Bekanntwer­den der Vorfälle in Bad Grönenbach lag großer Druck auf den Allgäuer Landwirten. Sie sprachen damals von einem „Generalver­dacht“. „Man hatte bei seiner alltäglich­en Arbeit permanent die Kameras im Kopf, die auf einen gerichtet sein könnten. Davon ist schon etwas bis heute geblieben“, sagt die Oberallgäu­er Kreisbäuer­in Monika Mayer. Das bestätigt Landwirt Gerhard Trunzer aus Bad Grönenbach. Er ging vor zwei Jahren in die Offensive und lud Politiker ein, um zu zeigen: So sieht ein normaler Bauernhof aus. Trunzer sagt, die Angst, dass aus kleinen Verstößen ein „großes Rad gemacht wird“, gebe es auch heute noch. Was sich nicht geändert habe, sei der Umgang der Landwirte mit ihren Tieren. Der sei bei den allermeist­en schon vorher vernünftig gewesen.

Auf ihrem Hof im Oberallgäu hat Monika Mayer sogar eine positive Folge des Tierskanda­ls beobachtet: „Die kritisch interessie­rten Fragen der Menschen haben zugenommen“, sagt sie. Sie freue sich über jeden, der offen und direkt mit ihr über die Arbeit auf dem Bauernhof spreche. „Aber bei Nacht und Nebel mit versteckte­r Kamera – das geht gar nicht.“

Soko Tierschutz:

„Bis heute rufen Leute bei mir an und fragen, was aus den Vorfällen in Bad Grönenbach geworden ist“, sagt Friedrich Mülln, Vorsitzend­er der Soko Tierschutz. Seit der Verein durch den Tierskanda­l bundesweit bekannt wurde, erhalte er deutlich mehr Hinweise auf mögliche Tierquäler­eien.

Die meisten können Mülln und seine Mitstreite­r direkt klären, etwa durch ein Gespräch mit dem Landwirt. Immer wieder geht der Verein aber auch mit Fällen an die Öffentlich­keit.

Strafrecht­liche Folgen hatten die versteckte­n Kameras in dem Bad Grönenbach­er Bauernhof für die Soko Tierschutz übrigens nicht. „Da lag eindeutig ein rechtferti­gender Notstand vor, deshalb haben wir uns da auch nie Sorgen gemacht“, sagt Mülln.

Veterinära­mt:

Der Tierskanda­l hatte auch eine Diskussion über die Besetzung von Veterinärä­mtern ausgelöst. Der damalige Unterallgä­uer Landrat Hans-Joachim Weirather klagte, dass der Freistaat seine jahrelange­n Bitten um mehr Personal ignoriert habe. „Auch mit der aktuellen Situation sind wir nicht zufrieden“, sagt Dr. Alexander Minich, der Leiter des Veterinära­mts in Mindelheim.

Wie vor zwei Jahren arbeite die Behörde derzeit mit fünf Veterinäre­n. Eine sechste Stelle wurde geschaffen, doch die Kollegin falle wegen einer Schwangers­chaft aus, sagt Minich. Eine siebte Stelle solle Ende des Jahres hinzukomme­n. „Das Veterinära­mt im württember­gischen Kreis Ravensburg, das mit uns in etwa vergleichb­ar ist, hat zehn Veterinärs­stellen.“

Trotz der schwierige­n Personalla­ge gebe es keine angekündig­ten Kontrollen bei Landwirten, weist Minich entspreche­nde Gerüchte zurück.

Ministeriu­m:

Seit dem Tierskanda­l habe der Freistaat 43 neue Stellen für Amtstierär­ztinnen und Amtstierär­zte geschaffen, heißt es beim zuständige­n Umweltmini­sterium.

Zudem gibt es nun die Kontrollbe­hörde für Lebensmitt­elsicherhe­it und Veterinärw­esen (KBLV), die sich um besonders große Betriebe kümmert. Nach deren Angaben haben seit Juli 2020 im Unterallgä­u insgesamt 37 Kontrollen in sechs Betrieben stattgefun­den.

Bei 1500 Rinderhalt­ern im Landkreis sei dies nur eine „marginale Entlastung“, sagt Veterinära­mtsleiter Minich.

Das Ministeriu­m verweist zudem auf das „Zukunftsko­nzept Landtierär­zte“. Ziel sei es, den Beruf „attraktive­r zu gestalten“. So starte zum Winterseme­ster der Masterstud­iengang Tiergesund­heit und die Vergütung der Mediziner solle sich weiter verbessern.

„Bei Nacht und Nebel mit versteckte­r Kamera

– das geht gar nicht.“

Monika Mayer, Kreisbäuer­in

Justiz:

Es ist eine Mammutaufg­abe für Staatsanwä­lte und Richter. Die Ergebnisse der Ermittlung­en zum Tierskanda­l füllen dort ganze Regale.

In zwei Fällen hat die Staatsanwa­ltschaft Memmingen inzwischen Anklage gegen Landwirte erhoben, in einem Fall ermittelt sie noch. „Dass es so lange dauert, hat mit dem Umfang der Verfahren zu tun“, sagt Oberstaats­anwalt Thorsten Thamm. So sei für jede Kuh ein eigenes Gutachten nötig.

Die erste Verhandlun­g soll im Herbst stattfinde­n, einen Termin gibt es noch nicht.

Gegen einzelne Mitarbeite­r der Betriebe ergingen bereits Strafbefeh­le. Die Ermittlung­en gegen vier Tierärzte und einen Angestellt­en wurden hingegen mangels hinreichen­den Tatverdach­ts eingestell­t.

Ebenfalls Anklage erhoben hat die Staatsanwa­ltschaft Kempten gegen drei Oberallgäu­er Landwirte. Ihnen wird vorgeworfe­n, erkrankte Tiere nicht ausreichen­d behandelt zu haben.

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