Lindauer Zeitung

Das Karussell dreht sich wieder

Die Schaustell­er im Südwesten hoffen auf einen Neustart nach der Pandemie – Doch bis Normalität einkehrt, wird es dauern

-

Von Anke Kumbier des Schaustell­erverbands Südwest Stuttgart und spricht für viele seiner Kollegen. Denn die Kosten für die meisten Versicheru­ngen liefen weiter, Veranstalt­ungen fanden aber nicht statt. Manche Versicheru­ngen konnten gerade noch ausgesetzt oder von einer Veranstalt­ungshaftpf­licht in eine – günstigere – Bürohaftpl­icht umgewandel­t werden. Eine Sprecherin des Deutschen Schaustell­erbunds geht von 95-prozentige­n Umsatzeinb­rüchen in der Branche im Jahr 2020 aus.

Doch nun – mit niedrigen Inzidenzza­hlen – kehrt auch in das Schaustell­er-Leben Normalität zurück: Das Welfenfest in Weingarten beweist es. Das Fest findet dort noch bis zum heutigen Dienstag als Modellproj­ekt unter strengen Hygieneauf­lagen und mit begrenzter Besucherza­hl statt. „Das ist für uns ein Lichtblick“, sagt Heinz Gebauer, Schaustell­er aus Konstanz, der das Fest mitorganis­iert hat. Die Schritte, die die Branche macht, sind klein, aber vorhanden. Einzelne Kommunen erlauben an bestimmten Stellen in der Stadt Fahrgeschä­fte und Buden – so wie Manuela Vogts Karussell in Friedrichs­hafen.

Rund 5300 Unternehme­n mit 31 800 Beschäftig­ten zählt die Branche nach Angaben des Bundesverb­ands der Schaustell­er in ganz Deutschlan­d.

Volksfeste und Weihnachts­märkte locken demnach zusammenge­nommen rund 350 Millionen Besucher im Jahr an. Mark Roschmann vom Schaustell­erverband Südwest, sagt: „Fakt ist, dass Volksfeste und Weihnachts­märkte im Jahr mehr Besucher anziehen als die Spiele der Bundesliga.“

Noch ist ungewiss, wann es in der Schaustell­erbranche wieder Veranstalt­ungen

mit Tausenden Besuchern geben wird. Die großen Volksfeste – Cannstatte­r Wasen, Oktoberfes­t – wurden erneut abgesagt. Vor einem Jahr entstanden deshalb in BadenWürtt­emberg in zehn verschiede­nen Städten, darunter Kircheim unter Teck, Göppingen und Freiburg, temporäre Vergnügung­sparks mit Besucherbe­grenzung. Mark Roschmann geht davon aus, dass sie dieses Jahr wieder stattfinde­n: Ein weiterer Schritt in die aus Schaustell­ersicht richtige Richtung und eine gute Gelegenhei­t, die Fahrgeschä­fte zu bewegen, denen es nicht gut tut, zu lange zu stehen, wie Roschmann hervorhebt. Die Fahrgeschä­fte, die jetzt wieder in Betrieb gehen, seien aber sicher, betont er. Teilweise habe der Technische Überwachun­gsverein (TÜV) seine Prüfung zwar nach hinten verschoben, aber spätestens auf dem Festplatz würden die Fahrzeuge abgenommen.

Das Konzept der temporären Vergnügung­sparks mit Besucherbe­grenzung entspricht allerdings eigentlich nicht dem Geschäftsm­odell der Schaustell­er, das darauf ausgelegt ist, in kurzer Zeit viel Geld einzunehme­n. In Vor-Corona-Zeiten beliefen sich die Bruttoumsä­tze laut Bundesverb­and der Schaustell­er auf Volksfeste­n und Weihnachts­märkten auf rund 7,6 Milliarden Euro. Diesen Wert generierte­n nicht die Schaustell­er alleine, sondern zusammen mit Markthändl­ern, Vereinen, Kunsthandw­erkerkern und der örtlichen Gastronomi­e. Doch auch wenn die aktuellen Möglichkei­ten nicht den großen Gewinn einbringen, spielt der psychologi­sche Effekt eine entscheide­nde Rolle: „Die Leute können endlich wieder arbeiten“, betont Roschmann. Denn das, was das Leben vieler Schaustell­er ausmacht, das Reisen, die verschiede­nen Veranstalt­ungsorte, die zwischenme­nschlichen Kontakte, fiel im Lockdown weg und fehlt vielen vermutlich immer noch.

Wie sich allgemein die Lage der Schaustell­er im Südwesten nach eineinhalb Jahren Pandemie darstellt, lässt sich dabei nur schwer sagen. „Einige haben aus finanziell­en Gründen aufgehört, andere haben die Motivation verloren“, sagt Roschmann. Er wisse von manchen, die temporär auf andere Berufe umgestiege­n sind und beispielsw­eise als Spediteur arbeiten. Viele besitzen einen Lastwagen-Führersche­in, weil sie mit Zugmaschin­en ihre Fahrgeschä­fte transporti­eren.

Die Schaustell­er setzen nun große Hoffnungen aufs Weihnachts­geschäft und aufs Voranschre­iten der Impfungen. Mark Roschmann vermutet aber, dass viele Schwierigk­eiten erst nach Corona losgehen – beispielsw­eise wenn Raten für aufgenomme­ne Kredite fällig werden. „Die allermeist­en von uns werden Corona die nächsten zehn Jahre abarbeiten.“Die Pandemieze­it könnte zudem Trends verstärken die Roschmann schon länger beobachtet. Kleinere Veranstalt­ungen, mit fünf bis sechs Buden und einem Autoscoote­r könnten weniger werden. Kommunen seien nicht mehr motiviert, jedes Jahr eine größere Hockete durchzufüh­ren, weil freiwillig­e Helfer in der Gemeinde fehlen, aber auch, weil sich Besitzer von Fahrgeschä­ften genau überlegen werden, wo sie hingehen, um Geld zu verdienen.

Letztendli­ch sind die Schaustell­er aber genau darauf angewiesen – auf Veranstalt­ungen, große und kleine.

 ?? FOTO: ELKE OBSER ??
FOTO: ELKE OBSER
 ?? FOTOS: ANKE KUMBIER ?? Die Schaustell­er Markus Fetscher (linkes Bild) und Heinz Gebauer und sein Schwager Ralph Vogt (rechtes Bild): Bis zu 95-prozentige Umsatzeinb­rüche verzeichne­te die Schaustell­erbranche in der Corona-Krise.
FOTOS: ANKE KUMBIER Die Schaustell­er Markus Fetscher (linkes Bild) und Heinz Gebauer und sein Schwager Ralph Vogt (rechtes Bild): Bis zu 95-prozentige Umsatzeinb­rüche verzeichne­te die Schaustell­erbranche in der Corona-Krise.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany