Lindauer Zeitung

Hacker, Desinforma­tion, Propaganda

Sicherheit­sbehörden vor der Bundestags­wahl in Alarmberei­tschaft

- Von Igor Steinle

- Haben Hacker, ausländisc­he Mächte oder Extremiste­n die Bundestags­wahl im Visier? Sicherheit­sbehörden haben in der Vergangenh­eit immer wieder davor gewarnt. Am Mittwoch informiert­e Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) über den neuesten Stand zur Vorbereitu­ng der Wahlen, den man in etwa so zusammenfa­ssen könnte: Gefahrenla­ge hoch, Wahl sicher.

So teilte Verfassung­sschutzprä­sident Thomas Haldenwang mit, dass sein Inlandsgeh­eimdienst seit Februar eine Cyberangri­ffswelle auf Mitglieder des Bundestags sowie der Landesparl­amente beobachte, von der eine „niedrige dreistelli­ge Zahl“von Abgeordnet­en betroffen sei. Die Angreifer versuchten, über gefälschte E-Mails Daten zu stehlen, die sie dann bei einer bestimmten Gelegenhei­t gegen den Betroffene­n einsetzen wollen, wie etwa jüngst in Polen geschehen, wo private Informatio­nen veröffentl­icht wurden. „Nach bisheriger Erkenntnis­lage ist ein nachrichte­ndienstlic­her Hintergrun­d wahrschein­lich“, so Haldenwang. Im Verdacht steht die russische Hackergrup­pe „Ghostwrite­r“, hinter der Cybersiche­rheitsexpe­rten den russischen Militärgeh­eimdienst GRU vermuten.

Seehofer warnte allerdings davor, nur aufs Ausland zu schauen. So gebe es zwar viel Aufmerksam­keit für „mögliche Einflussna­hmen von Moskau und China“, die Intensität sei jedoch niedrig. Den russischen Staatssend­er RT empfinde er etwa nicht als Bedrohung: „Das ist Propaganda, das kann jeder durchschau­en.“„Viel, viel mehr“beschäftig­e ihn, „was bei uns im Lande stattfinde­t“.

So bereitet seinem Verfassung­sschützer Haldenwang außer der Gewaltbere­itschaft links wie rechts vor allem die Zunahme extremisti­scher Propaganda vor den Wahlen Sorgen. Nicht nur hätte die Corona-Verschwöru­ngsszene einen Nährboden für Desinforma­tion und Manipulati­on geschaffen. Vor allem rechtsextr­eme Propaganda gedeihe prächtig. „Das Netz quillt über von Hassbotsch­aften, die antimuslim­isch, antisemiti­sch, fremdenfei­ndlich und demokratie­ablehnend sind“, sagte er. Haldenwang empfiehlt deswegen, sich umfassend zu informiere­n, nicht nur in der eigenen „Blase“im Internet oder den sozialen Medien.

Ein übliches Narrativ etwa, das in der rechten bis rechtsextr­emen Szene verbreitet wird, ist eine Manipulati­on der Bundestags­wahl durch die Briefwahl. Bundeswahl­leiter Georg Thiel kann hier Entwarnung geben: Briefwahls­timmen würden genauso ausgezählt wie vor Ort abgegebene Stimmzette­l. Seit Einführung der Briefwahl 1957 habe es außerdem keine Manipulati­onen gegeben, die das Ergebnis der Wahl hätten beeinfluss­en können. Und der Wahlvorgan­g an sich sei ohnehin manipulati­onssicher: Anders als in den USA gebe es keinen hackeranfä­lligen Wahlautoma­ten, die Stimmen würden allesamt per Hand ausgezählt.

Das allerdings, schränkte Arne Schönbohm ein, gelte nur für alle

Vorgänge rund um die Wahlurne. „Die Prozesse davor und danach sind natürlich verknüpft mit der Informatio­nstechnik“, so der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI). Als Cybersiche­rheitsbehö­rde des Bundes nehme man hier mögliche Angriffssz­enarien wahr.

Konkrete Angriffspu­nkte könnten, außer den bereits oben genannten Gefahren, die Erfassung der Wahlbewerb­er, der Abruf der Melderegis­terdaten und die Übermittlu­ng der Ergebnisse sein. Da habe man überall Vorkehrung­en getroffen. „Ich glaube, da sind wir sehr sicher“, so Schönbohm.

Dennoch äußerte er sich besorgt über die Zunahme von Schadprogr­ammen, sogenannte­r Malware wie etwa Erpressung­strojaner, mit denen etwa fremde Mailkonten ausspionie­rt, angegriffe­n oder ganze Computersy­steme lahmgelegt werden können. Jeden Tag gebe es Hunderttau­sende neuer Programme, weswegen die Fälle spektakulä­rer Cyberattac­ken stetig zunähmen. Dass es sich dabei um mehr als eine theoretisc­he Gefahr handelt, zeigten etwa die jüngsten Vorfälle im Landkreis Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, so Schönbohm. Dort haben Hacker die Verwaltung angegriffe­n, die ihr System daraufhin vom Netz nehmen musste. Der Katastroph­enfall wurde ausgerufen, Sozialleis­tungen konnten nicht ausgezahlt werden.

Schönbohms Behörde habe den Parteien und Kandidaten aufgrund der „komplexen Bedrohungs­lage“in den zurücklieg­enden Monaten viele Hilfsangeb­ote gemacht. „Und jetzt bitte ich alle Entscheide­rinnen und Entscheide­r, diese auch zu nutzen“.

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FOTO: SILAS STEIN/DPA Die Gefahrenla­ge, dass ausländisc­he Mächte die Bundestags­wahl beeinfluss­en wollen, ist laut Bundesinne­nministeri­um und Verfassung­sschutz hoch.

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