Ein bisschen Kreuth in Seeon
An der Steuerpolitik scheiden sich in der Union die Geister – Laschet kommt zur CSU-Klausur
- Als Alexander Dobrindt am vergangenen Sonntagmittag im Deutschlandfunk zu hören war, klang der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe nahezu beschwingt ob der guten schwesterlichen Zusammenarbeit mit der CDU. Es sei so viel CDU und CSU „wie noch nie in ein Wahlprogramm“gepackt worden, sagte Dobrindt. Die Klausurtagung der CSU-Bundestagsfraktion in Seeon, zu der neben CSU-Chef Markus Söder auch der CDU-Vorsitzende und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet geladen ist, bezeichnete er als „klares Signal, dass CSU und CDU zusammenstehen“.
Dann wurde es Sonntagabend – und Laschet tat via Interview in der ARD kund, dass er „im Moment“keinen Spielraum für Steuererleichterungen sehe, weil schlicht das Geld dazu fehle. Seither rumort es in der CSU – und durch die so harmonisch geplante Klausur in Seeon wehte plötzlich ein Hauch des berühmt-berüchtigten „Geists von Kreuth“. Dort hatten die Christsozialen im Jahr 1976 die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufgekündigt, was aber bekanntlich nur von kurzer Dauer war.
Der Streit um die Steuerpolitik wird voraussichtlich von noch kürzerer Dauer sein, denn sowohl CSU als auch CDU ist klar, dass Differenzen in der Union vom Wähler bekanntlich nicht honoriert werden. Doch am Tag vor dem Laschet-Besuch im oberbayerischen Seeon vertraten CSU-Chef Söder und Landesgruppenchef Dobrindt noch einmal mit Macht ihre Positionen: Steuersenkungen für den Mittelstand,
Handwerk und Handel seien das Herzstück der Unionssteuerpolitik. Ebenso Entlastungen für die Familien und natürlich die Mütterrente auch für Kinder, die vor 1992 geboren worden sind.
Nur mit Steuersenkungen sei es möglich, der Wirtschaft nach den Einschnitten wegen der Corona-Pandemie einen „Neustart“zu ermöglichen, sagte Söder. Zudem brauche es eine solide wirtschaftliche Grundlage, um den Klimaschutz vorantreiben zu können. Diese Vorhaben „schrittweise“zu verwirklichen, habe „absolute Priorität“, so Söder – und sie stünden, abgesehen von der ausgeweiteten Mütterrente, auch „klipp und klar“so im Wahlprogramm von CDU und CSU drin. Armin
Laschet hat aber offensichtlich etwas anderes herausgelesen: Im Wahlprogramm der Union stehe keine einzige Steuerentlastung drin, hatte er in der ARD kundgetan.
Was die CSU mit ihrem Beharren auf Steuerentlastungen politisch erreichen will, liegt auf der Hand: Sie will verhindern, dass die FDP, die derzeit Aufwind hat, noch mehr Stimmen aus dem Lager der bürgerlichen Mitte bekommt. In den Umfragen dümpeln CDU/CSU seit Wochen bei Zustimmungswerten von maximal 30 Prozent, während die Liberalen in den vergangenen Wochen ein paar Pünktchen dazugewinnen konnten. FDP-Chef Christian Lindner hatte sich klar positioniert: Seine Partei sei nur dann für eine Koalition zu haben, wenn diese Entlastungen für Unternehmen und Bürger plane. Das kam offensichtlich gut an. Wohl auch deshalb die Versicherung des CSU-Chefs, dass Steuerentlastungen ureigenstes Ansinnen der Union seien. „Das ist der Markenkern bürgerlicher Politik“, betonte Söder in Seeon.
Dass die Grünen im Zuge von Plagiatsvorwürfen gegen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in den Umfragen weiter verloren haben, erfüllt die Union natürlich mit einer gewisse Zuversicht. Gleichwohl will man sich nicht allzu siegessicher geben. Der Kampf um Platz eins sei noch nicht entschieden, sagte der bayerische Ministerpräsident. Deshalb sei es wichtig, den Aufwärtstrend für die Union mit maximaler Mobilisierung und „eigenen Leistungen“zu manifestieren, auch um andere Konstellationen zu verhindern, beispielsweise eine Koalition links der Mitte unter einer Kanzlerin Baerbock. „Die Grünen sind noch nicht bereit, Deutschland zu führen“, stellte Söder dazu lapidar fest. Dass er selbst eine Zeit lang den Eindruck erweckte, einer Zusammenarbeit mit der ökologischen Oppositionspartei nicht abgeneigt zu sein, ist offensichtlich Schnee von gestern.
Doch bevor sich die CSU mit möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl beschäftigt, muss sie erst einmal mit ihrem Kanzlerkandidaten Laschet die Differenzen um die Steuerpolitik ausräumen. „Von Seeon soll ein Signal der Geschlossenheit ausgehen“, sagte Dobrindt. Deshalb sei auch der CDU-Chef am zweiten Tag der Klausur vor Ort. Welche Interpretation des Wahlprogramms in puncto Steuern die richtige ist, bleibt so lange offen.