Schärfere Vorgaben für Autos, Flugzeuge und Schiffe
Kommission präsentiert Gesetzespaket – Wie die Europäische Union sich auf den Weg zur Klimaneutralität macht
- Sprachlich hat die Kommission der Europäischen Union die jugendliche Klimaschutz-Bewegung Fridays for Future schon überholt. Im Motto ihres neuen Programms „Fit for Fifty-Five“bringt sie immerhin vier F unter. Um 55 Prozent will die Kommission den Ausstoß von Treibhausgasen in Europa bis 2030 im Vergleich zu 1990 reduzieren, wie Ursula von der Leyen und Frans Timmermans, Chefin und Vizechef der Kommission, am Mittwoch erklärten. Als Mittel dazu nannten sie unter anderem höhere Preise für fossilen Treibstoff und ein festes Ende für konventionelle Verbrennungsmotoren in Fahrzeugen. Bisher sind das aber nur Vorschläge. Nun folgen die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament. Manches kann sich noch ändern. Wie sehen die Pläne im Einzelnen aus?
Heizung und Benzin
Für den Einsatz fossiler Energie in Verkehr und Gebäuden will die EUKommission einen zusätzlichen Emissionshandel einführen. Benzin, Diesel und Heizöl würden dadurch Jahr für Jahr um einige Cent pro Liter teurer. Der Preisaufschlag könnte einerseits staatlich festgesetzt werden, sich andererseits teilweise auch am Markt bilden. Er wird umgesetzt, indem beispielsweise TankstellenUnternehmen Verschmutzungszertifikate kaufen müssen, die von der Menge des klimaschädlichen Kohlendioxidausstoßes der verkauften Treibstoffe abhängen. Der steigende Preis soll die Privathaushalte und Unternehmen animieren, weniger fossile Energie zu verbrauchen.
Deutschland hat ein solches System zum Jahresanfang 2021 bereits eingeführt. Benzin ist zum Beispiel um sechs Cent pro Liter teurer geworden, Heizöl um sieben Cent pro Liter. Diese Kosten werden vorläufig nicht zusätzlich steigen, weil das neue EU-System erst ab 2026 funktionieren soll. Dann wird der deutsche Aufpreis für fossile Treibstoffe wohl in den EU-Emissionshandel integriert. Was das für die konkreten Preise bedeutet, lässt sich heute nicht sagen. Außer grundsätzlich: Benzin, Diesel, Heizöl und Gas werden langfristig drastisch teurer.
Sozialausgleich
Um die steigenden Kosten für Autofahren und Wohnen abzufedern, will die EU-Kommission einen Sozialfonds einrichten, in den 20 Prozent der Einnahmen aus dem zusätzlichen Emissionshandel fließen. Einzelne EU-Mitgliedsstaaten können aus dem Fonds Geld erhalten, um ärmeren Bevölkerungsschichten beim Übergang ins nachfossile Zeitalter zu helfen. Wer die Mittel zu welchen Konditionen erhält, ist bisher nicht klar.
Automobile
Ab 2035 sollen keine neuen Fahrzeuge mit konventionellen Verbrennungsmotoren mehr in der EU verkauft werden. Der Kohlendioxid-Ausstoß der Neuwagenflotte soll dann null betragen. Das Zwischenziel für 2030 lautet minus 55 Prozent KohlendioxidAusstoß im Vergleich zu heute. Diese Vorhaben stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Autohersteller sie schaffen. Parallel soll eine flächendeckende Lade- und Tank-Infrastruktur für Strom und klimaneutrale Kraftstoffe entstehen. Experten gehen allerdings davon aus, dass der Zeitdruck zur überwiegenden Einführung von Elektroautos führt.
Industrie
Bereits jetzt gibt es einen europaweiten Emissionshandel für Kraftwerke und Industrie (EU-ETS, Emission Trading System). Die Menge der zur Verfügung stehenden Zertifikate sinkt, deswegen steigt tendenziell der
Preis – obwohl die Firmen einen Teil kostenlos bekommen. Letzteres soll auch erst mal fortgeführt werden, aber die kostenlosen Mengen werden reduziert, schlägt die EU-Kommission vor. Auch die Gesamtmenge soll stärker abnehmen als bisher.
Flugzeuge und Schiffe
Die bisherige, teils kostenlose Zuteilung von Verschmutzungszertifikaten an Fluggesellschaften im Rahmen des EU-ETS soll bis 2026 auslaufen. Der Vorschlag zur Überarbeitung der Energiesteuerrichtlinie sieht außerdem vor, dass ab 2023 schrittweise Steuern auf Kerosin erhoben werden. Heute ist Flugbenzin noch weitgehend steuerfrei. Beide Maßnahmen wirken sich preissteigernd auf Flugtickets aus. Zusätzlich wird der Schiffsverkehr erstmals in den Emissionshandel einbezogen, erklärte die für Transport zuständige EU-Kommissarin Adina Valean.
Grenzabgabe
Für bestimmte Produkte sollen ausländische Firmen beim Import in die EU bald eine Abgabe zahlen. Diese ist gedacht als Ausgleich für die höheren Kosten, die Unternehmen innerhalb der EU durch den zunehmend teuren Emissionshandel tragen müssen. Betroffen sind zunächst Einfuhren von Stahl, Aluminium, Zement und Düngemitteln. Unter dem Strich will die EU-Kommission damit verhindern, dass die hiesige Industrie wegen der hohen Klimakosten in andere Weltgegenden abwandert. Für Importe werde an den
Grenzen derselbe Klimapreis erhoben, „wie für eigene Produkte“, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Allerdings dürfte es nicht einfach werden, dieses Vorhaben in Einklang zu bringen mit den Vorschriften der Welthandelsorganisation, die diskriminierende Einfuhrabgaben verbietet. Die Regierungen Chinas und der EU reagierten bereits argwöhnisch.
Ein bis drei Jahre wird es nach Ansicht von Insidern dauern, bis das Mammutpaket den Gesetzgebungsprozess durchlaufen hat. Wenn man bedenkt, dass die Maßnahmen bereits 2030 volle Wirkung entfalten und in einigen Bereichen schon 2023 starten sollen, kommt die Reform deutlich zu spät. Im Parlament werden nun zunächst einzelne Abgeordnete damit betraut, die Vorschläge genau unter die Lupe zu nehmen und Verbesserungen auszuarbeiten. In den Mitgliedsstaaten und den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates geschieht das Gleiche. Dann treffen sich Verhandlungsvertreter von Rat, Parlament und EU-Kommission, um in allen Teilbereichen Kompromisse zu finden. Sollte den Regierungen oder dem Parlament ein Projekt besonders unsympathisch sein, können sie es monatelang vor sich herschieben und so den Gesetzgebungsprozess verschleppen. Frankreich, das im Januar den Ratsvorsitz übernimmt, wird sicher aufs Tempo drücken. Emmanuel Macron will kommendes Jahr als Präsident Frankreichs wiedergewählt werden und sich dafür als Klimakönig in Szene setzen. Das Pariser Klimaabkommen, das die Grundlage für alle nun erfolgenden Anstrengungen bildet, ist ein französisches Herzensanliegen. Viel hängt aber auch an der Bundestagswahl. Wer künftig in der Regierung sitzt, kann je nach Parteibuch die Bemühungen beschleunigen oder ausbremsen. (wei)