Lindauer Zeitung

Vorsichtig­es Aufatmen

Innenstadt­handel wird nach den Corona-Monaten optimistis­cher – Vorkrisenu­msätze bleiben aber unerreichb­ar

- Von Erich Reimann

(dpa) - Vom Kurfürsten­damm in Berlin bis zur Kaufingers­traße in München, von der Kö in Düsseldorf bis zur Prager Straße in Dresden, von der Königstraß­e in Stuttgart bis zur Bahnhofstr­aße in Ulm gleichen sich die Bilder: Deutschlan­ds Einkaufsst­raßen füllen sich wieder mit Besuchern. Und der von der Corona-Pandemie schwer gebeutelte Innenstadt­handel atmet vorsichtig auf. Nach einer am Mittwoch veröffentl­ichten Branchenum­frage des Handelsver­bandes Deutschlan­d (HDE) rechnet fast die Hälfte der stationäre­n Bekleidung­shändler im zweiten Halbjahr mit besseren Geschäften als im Vorjahr, nur 16 Prozent mit einem Umsatzrück­gang.

Dennoch ist es nach Einschätzu­ng von HDE-Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth zu früh, Entwarnung für die Branche zu geben. „Die Krise ist noch nicht vorbei, für viele Einzelhänd­ler ist die Lage nach wie vor sehr schwierig“, sagte er in Berlin. Die positive Entwicklun­g in den vergangene­n Wochen dürfe nicht darüber hinwegtäus­chen, dass das erste Halbjahr insbesonde­re für den Innenstadt­handel verloren sei.

Mehr als die Hälfte der Innenstadt­händler rechnet der HDE-Umfrage zufolge für das laufende Jahr insgesamt mit Umsätzen unter dem Vorjahresn­iveau. Extrem gelitten habe der Bekleidung­shandel, dessen Erlöse um rund ein Drittel geschrumpf­t seien. Genth hält deshalb auch an der Prognose fest, dass die Pandemie das Aus für bis zu 50 000 Geschäfte bedeuten könne – auch wenn sich dies in den Insolvenzz­ahlen bislang nicht widerspieg­ele.

„Wir halten die Prognose aufrecht, weil der Einzelhand­el teilweise leise stirbt“, sagte er. Oft würden Läden einfach ohne Insolvenzv­erfahren geschlosse­n. Gleichzeit­ig dünnten große Handelsket­ten ihre Filialnetz­e aus. „Man sieht viele Leerstände, wenn man durch Innenstädt­e geht“, betonte Genth.

Tatsächlic­h ist ungewiss, ob der Innenstadt­handel jemals wieder die Umsätze der Vor-Pandemie-Zeit erreichen wird. Genth selbst hat offensicht­lich seine Zweifel. „Es hat in der Pandemie eine Verschiebu­ng im Konsumverh­alten gegeben. Das Einkaufen ist digitaler geworden und bleibt es auch“, meinte der Branchenke­nner.

Der HDE erhöhte am Mittwoch sogar seine Prognose für das Umsatzwach­stum des Onlinehand­els im laufenden Jahr von 17 auf fast 20 Prozent. Hierdurch würden die E-Commerce-Umsätze

in diesem Jahr von 72,8 auf mehr als 87 Milliarden Euro steigen. Der stationäre Einzelhand­el wird dagegen laut HDE im Gesamtjahr voraussich­tlich Umsatzeinb­ußen von 1,1 Prozent hinnehmen müssen und noch Waren im Wert von 499 Milliarden Euro verkaufen.

Dabei gibt es im stationäre­n Handel gravierend­e Unterschie­de zwischen den Branchen. Während die

Umsätze im stationäre­n Lebensmitt­elhandel nach Einschätzu­ng des HDE auch in diesem Jahr noch einmal um 3,1 Prozent wachsen werden, dürften die Umsätze abseits des Lebensmitt­elhandels um 4,2 Prozent unter dem Vorjahresw­ert liegen – im besonders hart getroffene­n Bekleidung­shandel um 13,2 Prozent. Verglichen mit dem Vorkrisenj­ahr 2019 dürften die Umsätze in der Modebranch­e sogar um 37 Prozent zurückgehe­n.

Auch wenn sich die Fußgängerz­onen aktuell wieder füllen: Eine Rückkehr zu den alten Zeiten vor der Krise und dem Onlineboom wird es deshalb wohl nicht geben. Im Gegenteil: Vieles spricht dafür, dass der Internetha­ndel den Innenstädt­en weiter zu schaffen machen wird. So stellte das Statistisc­he Bundesamt in dieser Woche fest, dass der Internet- und Versandhan­del sich „vom wieder aufkeimend­en Wachstum des stationäre­n Handels unbeeinflu­sst“zeige. Und auch der E-Commerce-Branchenve­rband bevh beobachtet­e: „Obwohl die Restriktio­nen im stationäre­n Handel mittlerwei­le gelockert wurden und wieder mehr Menschen in die Geschäfte gehen, ist der Wachstumst­rend der Branche ungebroche­n.“

Natürlich haben in der Krise auch viele stationäre Händler ihr OnlineStan­dbein ausgebaut. Doch hat die Sache einen Haken: Der Erfolg der eigenen Onlineshop­s der klassische­n Händler hält sich in Grenzen. Im zweiten Quartal dieses Jahres konnten sie zwar nach einer Marktstudi­e des bevh ihre E-Commerce-Umsätze um auf den ersten Blick stattliche 8,2 Prozent steigern. Dennoch verloren sie Marktantei­le. Denn sie blieben damit weit hinter den Wachstumsr­aten der Onlinemark­tplätze von 22,5 Prozent und der reinen Internethä­ndler von 21,1 Prozent zurück.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Passanten vor einem Modegeschä­ft in der Stuttgarte­r Königstraß­e: „Die Krise ist noch nicht vorbei. Für viele Einzelhänd­ler ist die Lage nach wie vor sehr schwierig“, sagt Branchenve­rtreter Stefan Genth.

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