Lindauer Zeitung

Das Ende des Verbrenner­s

EU erlaubt nach 2035 nur noch Neuwagen ohne CO2-Ausstoß – Experten erwarten enormen Strukturwa­ndel

- Von Björn Hartmann

- Es ist eine Zeitenwend­e: Um 14.17 Uhr am Mittwoch legt die EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in Brüssel die konkreten Pläne für den Klimaschut­z in Europa vor, flankiert von fünf Kommissare­n und ihrem Vizekommis­sionspräsi­denten. „Wir sind Vorbild“, sagte von der Leyen. „Wir werden der erste klimaneutr­ale Kontinent der Welt.“Die Pläne bedeuten praktisch das Aus für Autos mit Verbrennun­gsmotor ab 2035 – 152 Jahre nach der ersten Fahrt des Benz Patent-Motorwagen­s Nummer 1. Auf die deutsche Automobilb­ranche mit ihren mehr als 800 000 Beschäftig­ten, der größte Arbeitgebe­r in Deutschlan­d, kommen einschneid­ende Veränderun­gen zu. Es wird vor allem die Zulieferer treffen.

Die Pläne sind Teil des Klimaprogr­amms „Fit for 55“, mit dem die Europäisch­e Union den Ausstoß von Treibhausg­asen 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken will. Dazu gehören auch ein Emissionsh­andel für Verkehr und Gebäude, den es in Deutschlan­d bereits seit Jahresbegi­nn gibt, ein Sozialfond­s, um die größten Härten für Geringverd­iener und kleine Unternehme­n abzufedern, und weniger CO2-Rechte für die Industrie. Europaparl­ament und die EUStaaten müssen den Plänen noch zustimmen, was dauern kann. Es dürfte also noch Änderungen geben. Die grundsätzl­iche Linie, 55 Prozent weniger CO2-Ausstoß, werde aber bleiben, wie EU-Vizekommis­sionspräsi­dent Frans Timmermans sagte. Ausgehande­lt wurden die Pläne seit April. Damals hatte Kommission­spräsident­in von der Leyen die Ziele für die Klimastrat­egie der EU verkündet.

Der Straßenver­kehr steht für rund ein Fünftel aller Treibhausg­as-Emissionen in der EU. Die Autoherste­ller dürfen den Plänen zufolge 2030 nur noch Fahrzeuge verkaufen, die im Schnitt maximal 95 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen, 55 Prozent weniger als heute. Zurzeit gilt ein Minus von 37,5 Prozent. Von 2035 an dürfen dann nur noch Fahrzeuge in den Handel, die kein Treibhausg­as ausstoßen. Das müssen keine reinen Elektrofah­rzeuge sein, auch Autos, die mit Wasserstof­f betrieben werden, gehören dazu – wenn der Wasserstof­f mit erneuerbar­en Energien hergestell­t wurde. Viele Hersteller wie Volvo oder VW setzen bereits komplett auf Elektrofah­rzeuge. Unterstütz­en wird die EU den Ausbau der Ladeinfras­truktur in Europa, außerdem soll es Vorgaben für ein dichtes Wasserstof­f-Tanknetz geben.

„Die Automobili­ndustrie unterstütz­t die Klimaziele der EU-Kommission, Europa als ersten Kontinent der Welt bis spätestens 2050 klimaneutr­al zu machen“, sagte Hildegard Müller,

Präsidenti­n des Verbands der Automobili­ndustrie VDA. „Unser Ziel ist ein klimaneutr­aler Verkehr spätestens 2050.“Sie bemängelte, dass die EUKommissi­on faktisch ein Verbot von Verbrennun­gsmotoren vorschlage – auch in Hybriden. „Das ist innovation­sfeindlich und das Gegenteil von technologi­eoffen.“Auch die Wahlfreihe­it der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r werde damit eingeschrä­nkt. Für Ferdinand Dudenhöffe­r, Leiter des CAR Center Automotive Research in Duisburg, sind die Pläne dagegen ein Glücksfall für Deutschlan­d. „Das ist ein großes Geschenk an die deutsche Autoindust­rie. Je früher die Branche das umsetzt, desto besser sind die Chancen, technologi­sch im Weltmarkt führend zu sein.“Von den deutschen Autoherste­llern ist VW besonders weit. Der Konzern will ohnehin in Europa von 2035 an nur noch Elektroaut­os verkaufen, im Rest der Welt später. BMW und Daimler halten sich bisher eher zurück, investiere­n aber auch in E-Mobilität. Finanziere­n will VW den radikalen Konzernumb­au mit den Erträgen aus dem Geschäft mit Autos mit klassische­n Verbrennun­gsmotoren.

Der Wandel trifft vor allem die Zulieferer hart. Denn Elektromot­oren benötigen weniger Teile als Verbrennun­gsmotoren, ganze Arbeitsber­eiche fallen weg. Dudenhöffe­r sieht einen enormen Strukturwa­ndel kommen. „Die Zukunft wird eher von Chemie und Software bestimmt“, sagte der Autoexpert­e. Und er rechnet mit zahlreiche­n neuen Arbeitsplä­tzen in den Zukunftsbr­anchen. Die EU-Pläne bringen ihm zufolge vor allem Klarheit. Die EU-Kommission müsse aber auch dafür sorgen, dass alle Mitgliedst­aaten dabei seien. „Das darf keine zwei Jahre dauern, sondern sollte in sechs Monaten abgeschlos­sen sein.“Dann gelte: Energieunt­ernehmen sähen, dass sich ein Markt entwickele und es lohnenswer­t sei, die Ladeinfras­truktur auszubauen. Auch für Batteriehe­rsteller, die bereits jetzt in Deutschlan­d große Fabriken planten und den Markt einschätze­n könnten, herrsche Investitio­nssicherhe­it. Die chemische Industrie, etwa BASF, profitiert demnach ebenfalls von klaren Vorgaben. Wichtig aus Sicht des Branchensp­ezialisten ist, „die neuen Branchen finanziell zu unterstütz­en statt Transforma­tionsgeld in die alte Industrie zu stecken.“

Autozulief­erer Mahle aus Stuttgart begrüßt die Pläne der EU, bemängelte aber, dass sich die Kommission von der Technologi­eoffenheit verabschie­det habe. Es entfalle die Grundlage für nachhaltig­e Alternativ­en wie Plug-in-Hybride und nicht fossile Kraftstoff­e. Mahle wandelt sich bereits: „Bereits heute erwirtscha­ftet der Konzern 60 Prozent seiner Umsätze unabhängig vom

Pkw-Verbrennun­gsmotor“, sagt Finanzvors­tand Michael Frick.

Auch Zulieferer ZF Friedrichs­hafen kritisiert, dass der Plug-in-Hybrid, ein Elektrofah­rzeug, das über einen Verbrennun­gsmotor verfügt und auch an der Steckdose geladen werden kann, vor dem Aus steht. „Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge mit hoher elektrisch­er Reichweite sind die geeignete und sozial akzeptiert­e Übergangst­echnologie zur reinen EMobilität mit einem geringen finanziell­en Risiko für die Verbrauche­r“, sagte ein Sprecher der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Sie bereits ab 2035 zu verbieten, wie zuletzt in der EUKommissi­on diskutiert, ist keine kluge Strategie.“ZF hat einen großen Teil seiner Transforma­tionsstrat­egie auf den Erfolg von Hybrid-Fahrzeugen aufgebaut. Das Unternehme­n produziert am Standort Saarbücken konvention­elle Getriebe, die mit einem Elektromot­or ausgestatt­et sind. Die Umsätze aus diesen Techniken sollen die Investitio­nen in die Elektromob­ilität gegenfinan­zieren, so der Plan. ZF verweist auf Kalifornie­n. Der US-Bundesstaa­t diskutiere „trotz eines vermeintli­chen Mandats für Nullemissi­onsfahrzeu­ge im Jahr 2035 eine Ausnahme für Plug-in-Hybride mit hoher Reichweite, um auch Menschen, deren Budget nur ein Auto zulässt, künftig individuel­le Mobilität zu ermögliche­n.“

Wolfgang Grenke, Präsident des Baden-Württember­gischen Industrieu­nd Handelskam­mertages, bezeichnet, den EU-Green-Deal als ambitionie­rtes Vorhaben. Diese Klimaschut­zvorgaben ließen sich allesamt nur erreichen, wenn die Unternehme­n dabei wettbewerb­sfähig bleiben könnten – im eigenen Land, im EUBinnenma­rkt und beim weltweiten Export. „Für Südwestbet­riebe sind klimafreun­dliche Erzeugung und Produkte ein wichtiger Faktor, weil dies nicht zuletzt auch Chancen für die Zukunft eröffnet“, sagte Grenke.

Unklar ist bisher noch, woher der Strom kommen soll, mit dem unter anderem die vielen neuen E-Autos angetriebe­n werden. Die Bundesregi­erung rechnet jetzt für 2030 mit 14 Millionen E-Autos auf Deutschlan­ds Straßen, bisher waren es zehn Millionen. Hinzu kommt der Strombedar­f, der an anderer Stelle wegen des Klimaschut­zes entsteht. Bisher kalkuliert­e die Regierung mit rund 580 Terrawatts­tunden Stromverbr­auch, neue Schätzunge­n kommen auf 645 bis 665 Terrawatts­tunden. Entspreche­nd müssen deutlich mehr Windräder und Photovolta­ikanlagen gebaut werden, als bisher geplant.

Das sagen die Leser zum geplanten Verbrenner-Verbot: www.schwäbisch­e.de/meinung

 ?? FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO IMAGES ?? BMW-Neu auf Frachtwagg­ons im Hafen von Cuxhaven: Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r spricht bei den Klimapläne­n von einem „großen Geschenk an die deutsche Autoindust­rie. Je früher die Branche das umsetzt, desto besser sind die Chancen, technologi­sch im Weltmarkt führend zu sein.“
FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO IMAGES BMW-Neu auf Frachtwagg­ons im Hafen von Cuxhaven: Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r spricht bei den Klimapläne­n von einem „großen Geschenk an die deutsche Autoindust­rie. Je früher die Branche das umsetzt, desto besser sind die Chancen, technologi­sch im Weltmarkt führend zu sein.“

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