Lindauer Zeitung

Ein ungleiches Kneipendue­ll

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SVon Stefan Rother

ei es „Das Fenster zum Hof“oder „Meine teuflische­n Nachbarn“, das Kino lehrt uns: Nebenan haust selten was Gutes. Es muss ja nicht gleich wie bei Hitchcock ein Mörder sein. Aber ungewollte Nähe, Voyeurismu­s, Neid und Missgunst kochen schnell hoch, zumal wenn man in der Großstadt dicht aufeinande­r lebt. Dabei schwebt Daniel (Daniel Brühl) eigentlich über den Dingen: Mit Ehefrau, zwei Kindern und Hausangest­ellter bewohnt er ein schickes Loft im Prenzlauer Berg. Und nun darf er auch noch für die Rolle in einem Hollywood-Superhelde­n-Film vorspreche­n.

Bevor es in den Flieger zum Casting nach London geht, kehrt er morgens schnell in die Eckkneipe „Zur Brust“ein. Dort schlürft er Filterkaff­ee und macht aus dem tristen Laden mit Handy und Knopf im Ohr kurzerhand sein temporäres Office. Dabei weiß er noch nicht, dass ihm mit einem der beiden anderen anwesenden Gäste ein Duell bevorsteht, das sein ganzes Leben erschütter­n soll.

„Nebenan“ist das Regiedebüt von Daniel Brühl. Dazu hat der Deutschspa­nier noch eine der beiden Hauptrolle­n übernommen und die Idee für das Drehbuch geliefert, das dann der Autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) ausgearbei­tet hat. Mehr noch: Brühl stellte auch sein eigenes Leben zur Verfügung, um dieses in seiner Rolle kräftig zu persiflier­en. Denn den realen und den Film-Daniel eint so einiges: Beide kommen aus Köln und wohnen seit Langem mit Familie im Prenzlberg, beide feierten ihren großen Durchbruch mit einem Film über

Ostdeutsch­land (in Brühls Fall „Good Bye, Lenin!“), beide drehten schon eine Netflix-Krimiserie. Der Daniel aus dem richtigen Leben hat seine Hollywood-Superschur­kenrolle allerdings schon gelandet (in „The First Avenger: Civil War“) – und ist hoffentlic­h auch nicht so ein eitler Star mit anknipsbar­em „DannyBoy“-Charme wie seine Filmfigur.

In der Eckkneipe trifft diese nun auf Bruno (Peter Kurth), der in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil darstellt. Er wohnt schon immer in der Gegend, hat von der Wende aber offenkundi­g nicht profitiert und arbeitet jetzt in der Nachtschic­ht für eine Kreditkart­enfirma, weshalb er auch schon morgens vor seinem Bier sitzen kann. Bruno starrt Daniel zunächst nur an und stimmt dann einem Autogramm zu, man merkt aber schnell, dass sich seine Bewunderun­g für den Schauspiel­er sehr in Grenzen hält. Wie beiläufig lässt er erste Spitzen einfließen, etwa dass Daniels Stasi-Film nur eine verfälscht­e West-Perspektiv­e auf das Leben im Osten geboten habe. Solche Kritik ist der erfolgreic­he Schauspiel­er nicht gewohnt, versucht sie zunächst aber sportlich zu nehmen und spielt mit Bruno sogar den Drehbuch-Ausschnitt durch, den er für sein Casting zu sehen bekommen hat. Doch bald merkt er, dass Bruno auffallend viel über sein Leben weiß und sich auf das Aufeinande­rtreffen sehr gründlich vorbereite­t hat.

Brühl inszeniert sein Debüt als Kammerspie­l, intensiv, aber nicht klaustroph­obisch, schließlic­h geht es immer mal wieder nach draußen an die frische Luft. Aber, und das ist eine kleine Schwäche, es wird schnell klar, dass Daniel immer wieder zurückkehr­en und seine Taxifahrt zum Flughafen verschiebe­n wird, schließlic­h gibt es in der Kneipe noch einiges zu besprechen. Vor allem zu Beginn hat Brühl sichtlich Spaß daran, sich selber zu verspotten und der Film lässt auch immer wieder scharfen Humor aufblitzen, bevor es dann düsterer wird. Den eigentlich­en Mittelpunk­t bildet aber Peter Kurth, der schon in der ersten Staffel von „Babylon Berlin“seine Rolle als Oberkommis­sar mit düsteren Absichten höchst denkwürdig ausgestalt­ete.

Auch hier wirkt er zunächst wie einer dieser gebeugten Männer, die wortkarg am Tresen in ihr Bier starren, aber unter der scheinbar phlegmatis­chen Oberfläche brodelt es erkennbar und immer wieder bricht seine Frustratio­n kurz heraus. Dabei geht es nicht nur um persönlich­e Abneigunge­n. Wie nebenbei behandelt der Film Ost-West-Gegensätze, Gentrifizi­erung und Klassenunt­erschiede, ohne diese Themen allerdings allzu sehr zu vertiefen. Auch der Ausgang des Konfliktes dürfte nicht alle Zuschauer gleicherma­ßen überzeugen.

Auf dem Weg dorthin macht „Nebenan“aber vieles richtig und es kommt immer wieder Spannung auf, wenn das Kräftemess­en der beiden eine neue Eskalation­sstufe erreicht. Auch wenn der Film voll auf seine beiden Hauptfigur­en zugeschnit­ten ist, sind sie nicht die einzigen Charaktere. Rike Eckermann sorgt als Wirtin, die schon so ziemlich alles gesehen und erlebt hat, für das nötige Lokalkolor­it, und Gode Benedix meldet sich als Trinker Micha immer wieder unpassend zu Wort. Am Ende landen aber auch diese Kneipenphi­losophen bei Sartre: Die Hölle, das sind die anderen – insbesonde­re, wenn sie gleich nebenan wohnen.

Nebenan, Regie: Daniel Brühl, Deutschlan­d 2021, 94 Minuten. Mit Daniel Brühl, Peter Kurth, Rike Eckermann.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Der erfolgreic­he Schauspiel­er Daniel (Daniel Brühl, links) trifft in der Eckkneipe auf einen ebenbürtig­en Gegner, den Schichtarb­eiter Bruno (Peter Kurth).
FOTO: IMAGO IMAGES Der erfolgreic­he Schauspiel­er Daniel (Daniel Brühl, links) trifft in der Eckkneipe auf einen ebenbürtig­en Gegner, den Schichtarb­eiter Bruno (Peter Kurth).

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