Zwischen Sehnsucht und Schnelltests: Konzerte in der Pandemie
Andernorts öffnen die Clubs nur langsam, in Lindau trotzt der Club Vaudeville schon lange der Krise
- Nebenan in Baden-Württemberg finden die ersten experimentellen Cluböffnungen statt und überall im Land suchen die Menschen nach Monaten des Lockdowns wieder Wege, um auszugehen, zu feiern oder Konzerte zu besuchen. Im Lindauer Club Vaudeville ist das schon längst Realität. Damit ist der Club einer der wenigen in Bayern, die öffnen dürfen. Nicht alles ist wie gewohnt, doch so haben die Betreiber einen Weg gefunden, in Lindau wieder Live-Musik zu ermöglichen.
In einer Reihe stehen sie vor dem Club Vaudeville: Tätowiert, punkige Frisuren mit Undercuts oder Flattop, bunt gefärbte Haare, Nietengürtel – Psychobillies eben. Alle warten mit Abstand auf den Einlass. Sie unterhalten sich locker, sind gut gelaunt, extrem freundlich. Viele tragen TShirts der Hauptband an diesem Abend, der Psychobilly-Band „Demented Are Go“. Das Konzert ist ausverkauft – wie viele der Konzerte im Club Vaudeville zur Zeit. Aber vor dem Einlass müssen sich alle registrieren, und wer nicht bereits durchgeimpft ist, wird getestet – direkt nebenan.
Denn schon seit Langem betreibt der Club Vaudeville seine eigene Teststation. Einer der Gründe, warum sie überhaupt Konzerte anbieten können, erzählt Marc Jehnes. Der Test ist Routine – allerdings wird er mit dem fiesen, langen Abstrich tief in der Nase durchgeführt. Der Tester selbst schmunzelt, als er die Reaktion des Testlings sieht: „Wenn Dir die Tränen kommen, hab ich alles richtig gemacht.“Niemand kommt in den Club, ohne geimpft, genesen oder getestet zu sein – auch wenn Tests rechtlich nicht mehr verpflichtend sind. Aber so werden die Konzerte für alle Gäste sicher.
Als der Clubstempel auf den Handrücken gepresst wird, fühlt es sich fast ein wenig an wie das Erwachen aus einem langen bösen Traum. Im Club sind bereits einige Leute – obwohl die Vorband „Leechmen“erst in einer halben Stunde anfangen wird, zu spielen. Die meisten hat es allerdings erst mal in den Biergarten des Clubs gezogen. Sie reden, lachen, trinken ihre Halbe, Deutsch und Englisch vermischen sich. Die Konzerte im Club ziehen die Menschen von weit her nach Lindau.
Auch Mel und Jörg Klein gehören zu ihnen. Sie kommen aus Stuttgart und haben den Konzertbesuch mit einem Wochenendtrip kombiniert. „Am 11. März war das letzte Konzert, auf dem wir waren“, erzählen sie.
Jörg ist schon durchgeimpft, Mel wird vor Ort getestet. „Das ist 'ne geile Aktion, dass die hier den Test bereitstellen“, sagt sie. Auch in Stuttgart ist es schwer, sagt Jörg: „Mehrere kleine Clubs mussten dort für immer schließen. Einer ist sogar schon abgerissen.“Jetzt sind sie froh, endlich wieder auf ein Konzert gehen zu können. Aber so ganz wie sonst ist es natürlich nicht: Feste Plätze, Sicherheitsabstand, Tanzverbot. Das braucht schon ein wenig Umgewöhnung. Denn Psychobilly kombiniert die Kraft von Punkrock mit den Rock’n’Roll-Rhythmen des Rockabilly – dementsprechend geht es normalerweise im Publikum etwas ruppiger ab.
Stefan Weggler aus Augsburg fehlt das Pogen, das freie, aggressive Abgehen zu Musik, bei dem man manchmal auch bewusst mit anderen Leuten zusammenprallt. „Zumindest geht mal wieder was“, sagt er. „Tut schon gut, mal wieder rauszukommen. Aber so mit Stühlen und Tischen bedeutet ja auch keine geprellten Rippen“, erzählt er und fügt lachend hinzu, „Leider.“Ein Sitzkonzert wirkt bei der lauten, kontaktintensiven Musik etwas surreal. „Aber Hauptsache wieder ein Konzert. Da nimmt man auch die Strecke gern in Kauf“, sagt Weggler.
Die Vorband heizt bereits mit EGitarre, Schlagzeug und Kontrabass ein, als sich auch der Booker vom Club Vaudeville, Marc Jehnes, im Konzertsaal einfindet. Zuvor saß er an der Kasse, hat mit den Ehrenamtlichen zusammen kassiert und Stempel verteilt. Jetzt sind fast alle Gäste da, Zeit auch mal die Musik zu genießen. Der Betrieb läuft gut, seit der Club Vaudeville wieder Veranstaltungen
anbieten darf. Der Club Vaudeville hat eine große Stammkundschaft. Heute ist der Parkplatz voller Kennzeichen aus der Schweiz und Österreich.
Spätestens als „Demented Are Go“auf der Bühne stehen, fällt es den Fans schwer, sitzen zu bleiben. Die Band ist eine der wirklich großen in ihrem Genre und zieht ihre Show mit ordentlich Elan durch. In den Gesichtern sieht man, wie viele hier jetzt tanzen oder pogen wollen. Doch die Abstände bleiben. Das höchste der Gefühle bleibt mal am Platz aufstehen und mit dem Kopf nicken. Alle wollen endlich wieder tanzen. Die Musik feiern. Aber die Regeln bleiben.
Der Flickenteppich aus unterschiedlichen Regeln frustriert Jehnes. „Inzwischen ist es überall anders geregelt. Inzwischen gibt es Teile
von Deutschland, in denen man alles wieder darf“, sagt er. Hier hingegen sind die Vorgaben streng: Sitzplan, Maske, feste Stühle. „Davon möchte ich gern weg“, sagt Jehnes. „Wer positiv ist, kommt bei uns ja durch das Testzentrum gar nicht erst rein.“
Die unterschiedlichen Regeln in den Bundesländern sind schwer zu vermitteln und führen auch dazu, dass personennahe Branchen in manchen Bundesländern schon lange wieder arbeiten könnten, in anderen hingegen teils noch nicht. Viele leiden noch immer unter der Krise. Gerade jetzt, wo das nur einen Steinwurf entfernte Baden-Württemberg dabei ist, Clubs eine Öffnung mit rund halber Kapazität in Aussicht zu stellen. Für Konzerte bleibt es dann aber dennoch schwer. Zumindest für internationale, denn viele Bands können noch immer nicht einreisen.
Damit fällt in diesem Jahr auch das Umsonst und Draußen vom Club Vaudeville aus. Doch statt am 24. Juli einfach die Tore geschlossen zu halten, wird das Fest kurzerhand in „Umsonst und Drinnen“umbenannt und drei Bands ohne Einreisebeschränkungen werden auf der Bühne stehen: „Drei Meter Feldweg“aus der Lüneburger Heide, „Don Ganove“aus dem Ruhrpott und „Fire Ants From Uranus“aus der Region. Viele weitere Konzerte sind noch geplant, oft Rock, Metal, Punk – aber auch 90er-Parties, politisches Kino oder auch ein Besuch vom Ulmer Satirikerinnenduo „Suchtpotenzial“. In dieser Nacht jedoch spielen „Demented Are Go“live für ihre Fans. Aber bei aller Freude ist allen anzusehen, dass Konzerte ohne tanzen und mitsingen die Sehnsucht nicht ganz stillen können.