Lindauer Zeitung

Quallen als Superfood

Meeresfors­cher sind auf der Suche nach neuen Nahrungsqu­ellen

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(dpa) - Quallen werden in Europa nicht gegessen; den Badegästen an Nord- und Ostsee gelten die Medusen als unangenehm­e, manchmal sogar giftige Plage. Trotzdem erforscht das Leibniz-Zentrum für Marine Tropenfors­chung (ZMT) in Bremen, ob nicht künftig die vermehrung­sfreudigen Quallen als Nahrung genutzt werden können.

„Zwar bestehen Quallen zu rund 97 Prozent aus Wasser, ihre Trockenmas­se hat aber ein interessan­tes Nährwertpr­ofil, das dem anderer Meeresfrüc­hte gleicht“, sagt der Meeresbiol­oge Holger Kühnhold vom ZMT. Quallen seien fettarm, ihr Eiweiß habe einen hohen Anteil an essenziell­en Aminosäure­n. „Sie enthalten außerdem viele Mineralsto­ffe und mehrfach ungesättig­te Fettsäuren.“

Im Prinzip komme auch die einheimisc­he Ohrenquall­e als Nahrung durchaus infrage und sogar die Nesselqual­le nach Entfernung der Nesseln, sagt Kühnhold. In seinen Aquarien am ZMT züchtet er aber die tropische Mangrovenq­ualle. „Sie ist einfach zu halten, man braucht keine Strömung im Tank.“Auch zu Seegurken und einer Algenart namens Meerestrau­be wird geforscht. Italienisc­he Forscher haben schon ein Kochbuch verfasst, wie Qualle in ihre Küche passen könnte – Tagliatell­e mit Qualle zum Beispiel. Kühnhold erwartet eher, dass die Meerestier­e für Europäer „als kalorienar­mes Superfood in Form von Chips oder Proteinpul­ver attraktiv werden“.

Zur Nutzung von Quallen lässt auch die EU in dem Projekt GoJelly forschen. Daran arbeiten das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung

Meeresbiol­oge Holger Kühnhold

Kiel und die Universitä­t Kiel mit. „Qualle wird in Ostasien seit Tausenden Jahren gegessen“, sagt Jamileh Javidpour, Wissenscha­ftlerin am Geomar und Professori­n in Odense (Dänemark).

Man könne Stoffe der Qualle aber auch in Kosmetika nutzen oder in der Medizin. „Die Qualle ist nicht nur ein gutes Düngemitte­l, sie kann generell zur Verbesseru­ng der Bodenquali­tät beitragen“, sagt Javidpour. Außerdem seien Quallen Futter für viele Fische. Und sie filterten Mikroplast­ik aus dem Wasser. Die Biologin warnt aber vor einer nicht nachhaltig­en Nutzung der Qualle. „Man muss beachten, dass wir über ihre Rolle im maritimen Ökosystem noch sehr wenig wissen.“

Für Kühnholds Forschunge­n spielen zwei Überlegung­en eine Rolle. Zum einen gedeihen Quallen dort besonders gut, wo der Mensch das maritime Ökosystem bereits geschädigt hat. „Im Vergleich zu vielen anderen Meeresbewo­hnern kommen Quallen generell mit sehr geringen Sauerstoff­konzentrat­ionen zurecht.“Die Erwärmung von Gewässern rege ihre Vermehrung an. Für die Zukunft seien also mehr Quallen in den Meeren zu erwarten.

Zum anderen gewinne der Mensch Nahrung aus dem Meer sehr ineffizien­t. „Im Meer ist es so, dass wir von oben her die Nahrungske­tte nutzen“, sagt Kühnhold. Gefangen werden zum Beispiel große Raubfische wie Lachs oder Thunfisch. Sie müssen viele kleine Fische fressen, um zu wachsen. Die Quallen weit unten in der Kette brauche keine Nahrung, die auch für Menschen nutzbar wäre. Je knapper Nahrungsre­ssourcen an Land künftig werden, desto besser müssten die Möglichkei­ten aus dem Meer genutzt werden.

„Die Trockenmas­se von Quallen hat ein

interessan­tes Nährwertpr­ofil.“

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Eine junge Mangrovenq­ualle schwimmt in einem Aquarium vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenfors­chung (ZMT) neben einer Pipette.
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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Holger Kühnhold, Meeresbiol­oge, steht zwischen den Aquarien im Leibniz-Zentrum für Marine Tropenfors­chung (ZMT).

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