Nicht jeder braucht ein Nickerchen
Nicht zu lange und nicht zwingend – Wissenschaftler erklären, wie ein Mittagsschlaf sein muss, um einen gesundheitsfördernden Effekt zu haben
Als „Power-Napping“steht das Nickerchen derzeit hoch im Kurs. Es soll Konzentration und Gedächtnis steigern, den Blutdruck senken und sogar das Leben verlängern. Doch offenbar gilt das nicht für alle Menschen, und auch nicht für jede Form des Nickerchens.
Für den einen gehört es einfach zur Routine: Er haut sich nach dem Mittagessen für 10 bis 15 Minuten aufs Ohr, und danach ist er wieder fit und hellwach. Für den anderen ist das Nickerchen schlicht unvorstellbar. Und dann gibt es noch diejenigen, die zwar hin und wieder Mittagsschlaf halten – doch dabei tauchen sie für mehr als eine Stunde ab und fühlen sich danach wie aus dem Koma erwacht. Menschen können sich schon stark unterscheiden, was ihr Verhältnis zum „brennend Licht am Tage“angeht, wie das Nickerchen dereinst vom ostpreußischen Staatsmann Theodor Gottlieb von Hippel gepriesen wurde. Doch warum ist das so?
Eine Antwort darauf hat nun eine Studie vom Massachusetts General Hospital in Boston gefunden. Das Forscherteam um den Genetiker Hassan Dashti befragte rund 450 000 Probanden zu deren Napping-Gewohnheiten und glich deren Antworten mit ihrem Erbgut ab. Man fand dort 123 Regionen, die mit der täglichen Portion Extra-Schlaf in Verbindung stehen. Die regelmäßigen Power-Napper waren genetisch anders konstruiert als diejenigen, die den Tag durchgehend wach verbringen. „Das Nickerchen ist offenbar auch biologisch bedingt“, resümiert Dashti, „und nicht nur eine Umweltund Verhaltensentscheidung“.
Wer also keine Lust aufs Nickerchen verspürt, muss sich nicht grämen, dass er dadurch etwas verpasst, denn es liegt ja schließlich in seinen Genen. Und er bewegt sich damit auch, wie Jerome Siegel von der University of California betont, im Einklang mit dem ursprünglichen Lebensstil des Homo sapiens. Der USamerikanische Hirnforscher hat das Schlafverhalten von Jägern und Sammlern untersucht, die fernab der Zivilisation in Tansania, Namibia und Bolivien leben. Diesen Völkern wird nachgesagt, dass sie ähnlich leben wie der Steinzeitmensch vor 12 000 Jahren – und sie besitzen offenbar keine sonderliche Neigung zum Nickerchen. Die archaischen Indigene nehmen zwar eine kleine Pause, um der heißen Mittagssonne zu entgehen. Doch sie schlafen dabei nicht, was schon ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass der Mensch von Natur aus nicht aufs Nickerchen geeicht ist. „Das soll nicht heißen, dass wir es jetzt alle so handhaben sollen“, warnt Siegel. Die Zivilisation habe zu einer Veränderung des Schlafverhaltens geführt, und deshalb könne das tägliche Nickerchen durchaus nützlich und gesund für viele Menschen sein.
Voraussetzung ist allerdings, dass dabei einige Regeln eingehalten werden. So sollte das Nickerchen nicht länger als 30 Minuten dauern, weil dann das Herz-Kreislauf-System zu sehr in den Keller sackt. Ein Forscherteam der Flinders University im australischen Adelaide fand in einer Studie an 24 systematisch übermüdeten Studenten heraus, dass sie sich am besten bei einem Nickerchen von zehn Minuten erholten. „Sie bringen sofortige Effekte auf die Kürze der Einschlafzeit sowie die Wachheit und Konzentrationsfähigkeit nach dem Schlaf“, erläutert Studienleiterin Amber Brooks. 20 Minuten brächten auch noch Erholung, so die Schlafforscherin. Allerdings könne es hier eine halbe Stunde dauern, bis sich die Effekte einstellen.
Geradezu lebensverkürzend können hingegen besonders ausgedehnte Schlafpausen sein. Denn normalerweise gilt das Power-Napping als Herzschutz und Blutdrucksenker, doch bei extremer Dauer droht das Gegenteil. Chinesische Forscher kommen in einer aktuellen Auswertung von 20 Studien zu dem Schluss, dass sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um rund ein Drittel erhöht, wenn man sich tagsüber länger als 60 Minuten zum Schlummern zurückzieht. Die mögliche Erklärung: Das geht zu Lasten des Nachtschlafs, dem bei der Regeneration und Blutdruckkontrolle eine entscheidende Rolle zukommt. Bei Männern ist dieser Effekt allerdings deutlich schwächer ausgeprägt – und dafür wiederum haben die Forscher keine Erklärung.
Kürzere Schlummerpausen am Tage tragen also mehr zur Gesundheit bei als längere. Bei der Schlafstellung kann man jedoch flexibel bleiben. Der Vorteil der Sitzposition: Sie verhindert, dass man zu tief im Schlaf versinkt. In Japan hat sie eine lange Tradition. Man nennt sie dort „Inemuri“, eine Kombination aus „i(ru)“= anwesend sein und „nemuri“= Schlaf. Die Wiener Japanologin Brigitte Steger ist davon überzeugt:
„Zwei Minuten Inemuri machen fit für zwei Stunden Arbeit.“Hierzulande ist Schlafen im Sitzen allerdings nicht jedermanns Sache, und letzten Endes spricht auch medizinisch einiges für den klassischen Liegeschlaf, weil er seltener zu schmerzhaften Körperfehlstellungen und Verspannungen führt. Allerdings sollte man frühestens 30 Minuten nach dem Mittagessen damit beginnen. Denn vorher ist der Magen zu voll, und in der Horizontalen kann sein Inhalt nicht zügig abfließen. Dann drohen beim Nickerchen schlechte Träume – und ein Reflux aus dem Magen: das gefürchtete Sodbrennen.