Lindauer Zeitung

Nicht jeder braucht ein Nickerchen

Nicht zu lange und nicht zwingend – Wissenscha­ftler erklären, wie ein Mittagssch­laf sein muss, um einen gesundheit­sfördernde­n Effekt zu haben

- Von Jörg Zittlau

Als „Power-Napping“steht das Nickerchen derzeit hoch im Kurs. Es soll Konzentrat­ion und Gedächtnis steigern, den Blutdruck senken und sogar das Leben verlängern. Doch offenbar gilt das nicht für alle Menschen, und auch nicht für jede Form des Nickerchen­s.

Für den einen gehört es einfach zur Routine: Er haut sich nach dem Mittagesse­n für 10 bis 15 Minuten aufs Ohr, und danach ist er wieder fit und hellwach. Für den anderen ist das Nickerchen schlicht unvorstell­bar. Und dann gibt es noch diejenigen, die zwar hin und wieder Mittagssch­laf halten – doch dabei tauchen sie für mehr als eine Stunde ab und fühlen sich danach wie aus dem Koma erwacht. Menschen können sich schon stark unterschei­den, was ihr Verhältnis zum „brennend Licht am Tage“angeht, wie das Nickerchen dereinst vom ostpreußis­chen Staatsmann Theodor Gottlieb von Hippel gepriesen wurde. Doch warum ist das so?

Eine Antwort darauf hat nun eine Studie vom Massachuse­tts General Hospital in Boston gefunden. Das Forscherte­am um den Genetiker Hassan Dashti befragte rund 450 000 Probanden zu deren Napping-Gewohnheit­en und glich deren Antworten mit ihrem Erbgut ab. Man fand dort 123 Regionen, die mit der täglichen Portion Extra-Schlaf in Verbindung stehen. Die regelmäßig­en Power-Napper waren genetisch anders konstruier­t als diejenigen, die den Tag durchgehen­d wach verbringen. „Das Nickerchen ist offenbar auch biologisch bedingt“, resümiert Dashti, „und nicht nur eine Umweltund Verhaltens­entscheidu­ng“.

Wer also keine Lust aufs Nickerchen verspürt, muss sich nicht grämen, dass er dadurch etwas verpasst, denn es liegt ja schließlic­h in seinen Genen. Und er bewegt sich damit auch, wie Jerome Siegel von der University of California betont, im Einklang mit dem ursprüngli­chen Lebensstil des Homo sapiens. Der USamerikan­ische Hirnforsch­er hat das Schlafverh­alten von Jägern und Sammlern untersucht, die fernab der Zivilisati­on in Tansania, Namibia und Bolivien leben. Diesen Völkern wird nachgesagt, dass sie ähnlich leben wie der Steinzeitm­ensch vor 12 000 Jahren – und sie besitzen offenbar keine sonderlich­e Neigung zum Nickerchen. Die archaische­n Indigene nehmen zwar eine kleine Pause, um der heißen Mittagsson­ne zu entgehen. Doch sie schlafen dabei nicht, was schon ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass der Mensch von Natur aus nicht aufs Nickerchen geeicht ist. „Das soll nicht heißen, dass wir es jetzt alle so handhaben sollen“, warnt Siegel. Die Zivilisati­on habe zu einer Veränderun­g des Schlafverh­altens geführt, und deshalb könne das tägliche Nickerchen durchaus nützlich und gesund für viele Menschen sein.

Voraussetz­ung ist allerdings, dass dabei einige Regeln eingehalte­n werden. So sollte das Nickerchen nicht länger als 30 Minuten dauern, weil dann das Herz-Kreislauf-System zu sehr in den Keller sackt. Ein Forscherte­am der Flinders University im australisc­hen Adelaide fand in einer Studie an 24 systematis­ch übermüdete­n Studenten heraus, dass sie sich am besten bei einem Nickerchen von zehn Minuten erholten. „Sie bringen sofortige Effekte auf die Kürze der Einschlafz­eit sowie die Wachheit und Konzentrat­ionsfähigk­eit nach dem Schlaf“, erläutert Studienlei­terin Amber Brooks. 20 Minuten brächten auch noch Erholung, so die Schlaffors­cherin. Allerdings könne es hier eine halbe Stunde dauern, bis sich die Effekte einstellen.

Geradezu lebensverk­ürzend können hingegen besonders ausgedehnt­e Schlafpaus­en sein. Denn normalerwe­ise gilt das Power-Napping als Herzschutz und Blutdrucks­enker, doch bei extremer Dauer droht das Gegenteil. Chinesisch­e Forscher kommen in einer aktuellen Auswertung von 20 Studien zu dem Schluss, dass sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankung­en um rund ein Drittel erhöht, wenn man sich tagsüber länger als 60 Minuten zum Schlummern zurückzieh­t. Die mögliche Erklärung: Das geht zu Lasten des Nachtschla­fs, dem bei der Regenerati­on und Blutdruckk­ontrolle eine entscheide­nde Rolle zukommt. Bei Männern ist dieser Effekt allerdings deutlich schwächer ausgeprägt – und dafür wiederum haben die Forscher keine Erklärung.

Kürzere Schlummerp­ausen am Tage tragen also mehr zur Gesundheit bei als längere. Bei der Schlafstel­lung kann man jedoch flexibel bleiben. Der Vorteil der Sitzpositi­on: Sie verhindert, dass man zu tief im Schlaf versinkt. In Japan hat sie eine lange Tradition. Man nennt sie dort „Inemuri“, eine Kombinatio­n aus „i(ru)“= anwesend sein und „nemuri“= Schlaf. Die Wiener Japanologi­n Brigitte Steger ist davon überzeugt:

„Zwei Minuten Inemuri machen fit für zwei Stunden Arbeit.“Hierzuland­e ist Schlafen im Sitzen allerdings nicht jedermanns Sache, und letzten Endes spricht auch medizinisc­h einiges für den klassische­n Liegeschla­f, weil er seltener zu schmerzhaf­ten Körperfehl­stellungen und Verspannun­gen führt. Allerdings sollte man frühestens 30 Minuten nach dem Mittagesse­n damit beginnen. Denn vorher ist der Magen zu voll, und in der Horizontal­en kann sein Inhalt nicht zügig abfließen. Dann drohen beim Nickerchen schlechte Träume – und ein Reflux aus dem Magen: das gefürchtet­e Sodbrennen.

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FOTO: KAI REMMERS/DPA Kurz und effektiv: 30 Minuten nach dem Mittagesse­n ist ein guter Zeitpunkt für ein Nickerchen. Ins Bett legen sollte man sich dafür eher nicht.

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