Lindauer Zeitung

Am Kopfsteinp­flaster wird in Rom ewig gehämmert

Der Kulturkamp­f ist abgeflaut – Still ist es noch immer nicht

- Von Petra Kaminsky

(dpa) - Das Verhältnis der Römer und Römerinnen zu ihren traditione­llen Pflasterst­einen hat etwas Verrücktes. Hassliebe nennen es manche. Zweiradfah­rer fluchen über die Holperpist­en im Zentrum der Millionens­tadt. Wer zu Fuß mit hochhackig­en Schuhen unterwegs ist, riskiert wegen der Ritzen und Löcher einen Knöchelbru­ch. Fans dagegen schwärmen von der Schönheit des Straßenbel­ags aus dunklen Steinen, die liebevoll Sanpietrin­i genannt werden, übersetzt Sanktpeter­chen. Die Corona-Pandemie stoppte die ewigen Wanderbaus­tellen der Steinleger nicht – im Gegenteil.

Roms Bürgermeis­terin Virginia Raggi lässt keine Gelegenhei­t aus, um in sozialen Netzwerken stolz auf die Pflasterar­beiten an Straßen und Plätzen hinzuweise­n. Da wegen der Corona-Sperren weniger Menschen unterwegs seien, könnten die Vorhaben problemlos­er durchgezog­en werden, schrieb die Politikeri­n von der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung auf Facebook.

Kurz vor Ostern lobte Raggi, dass das Pflaster vor dem antiken Pantheon in der verkehrsbe­ruhigten Altstadt aufgefrisc­ht wird. Am Kolosseum legten Arbeiter kürzlich ebenfalls neue Muster. Und die Piazza Venezia, einer der von schweren Stadtbusse­n meistbefah­renen Plätze Roms, war 2020 dran. Die Kommentare im Netz zu den Sanpietrin­i-Arbeiten spiegeln die Debatte, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n Wellen schlug: Sie reichen von „Geldversch­wendung“bis „wunderschö­n“. Manchmal klingt der Verdacht an, dass die anstehende­n Bürgermeis­terwahlen die Straßenarb­eiten befeuern: Die Stadtspitz­e zeige so Aktivität.

„Das Pflaster muss alle paar Jahre neu gemacht werden. Das ist auch richtig so“, sagt eine Barbetreib­erin im Szeneviert­el Monti. „Sonst sind die Straßen und der Platz zu uneben.“In den umliegende­n Gassen an der Piazza della Madonna dei Monti hatten Steinleger die Sanpietrin­i im Vorjahr aufgenomme­n und wieder verlegt. Wochenlang klang ihr Hämmern durchs Viertel. Einige Monate später lässt sich der Unterschie­d zwischen vorher und nachher nicht überall mehr erkennen.

Zeitweise hatte sich Roms Straßenbau-Debatte im Schwerpunk­t um Sicherheit gedreht: Das dunkle Pflaster verwandle sich bei Regen in eine glitschige Rutschbahn, es werde schneller wellig als Asphalt, sagten die Gegner. Vor mehr als 15 Jahren beschloss ein früherer Bürgermeis­ter, Walter Veltroni, größere Straßen konsequent in Asphaltpis­ten umzubauen. Doch auch daran nagt längst der Zahn der Zeit. Manche Löcher dort sind fast noch tiefer als im Pflaster, auch sie werden regelmäßig zu Unfall-Fallen für Autos und Roller.

2019 legte Raggi ihren „Sanpietrin­i-Masterplan“vor, der mit Fachleuten erarbeitet worden war. Er enthält – typisch kreativ-italienisc­h – Kompromiss­e. Wenn an einer Stelle Roms die Steine einem anderen Belag weichen, müssen andere Teile, etwa in

Fußgängerz­onen, gepflaster­t werden. Aufgenomme­ne Steine werden sortiert und, so war es schon länger vorgesehen, wiederverw­endet.

„2020 war das Jahr des vollen Starts des Sanpietrin­i-Plans“, berichtet Alessandro Proietti aus dem Infrastruk­tur-Bereich der Stadt. Er beschreibt eine der Maßnahmen im Zentrum: „Wir haben das Kopfsteinp­flaster im mittleren Teil der Fahrbahn entfernt und durch Asphalt ersetzt, um die Sicherheit beim Überholen zu verbessern. Das Pflaster an den Straßenrän­dern wurde bewahrt als Zeugnis des Steins, der das Symbol der Stadt ist.“

„Ein Pflaster mit Naturstein­en erzeugt ein schönes Stadtbild und eine besondere Atmosphäre“, sagt der deutsche Experte Holger Lorenzl. Der Professor von der Technische­n Hochschule Lübeck kennt die Debatten über Straßenbel­äge. „Wie lange eine Pflasterun­g hält, das hängt im Allgemeine­n von der Belastung durch den Schwerverk­ehr ab und davon, wie die Unterlage verstärkt wurde. Auch ein Asphalt-Belag hält nicht ewig.“

In Braunschwe­ig oder Köln wisse man wie in Rom, dass Pflaster für Leute mit Kinderwage­n oder Stöckelsch­uhen heikel sei. „Das ist oft ein Spagat zwischen der schönen Optik und der Nutzbarkei­t“, sagt Lorenzl.

In Italiens Hauptstadt kommt die große Historie dazu. Die Sanpietrin­i sollen im 16. Jahrhunder­t erstmals am Petersplat­z, der Piazza San Pietro, gesetzt worden sein. Daher stammt der Name. Weil die Päpste bequemer reisen wollten, erhielten immer mehr Straßen einen Belag mit Vulkanstei­nen aus dem römischen Umland.

Wobei das Pflastern noch älter ist und auch in der Antike gemacht wurde: Die alten Römer befestigte­n den Zugangsweg

Via Appia mit großen Naturstein­en. Verkehrswe­ge-Experte Lorenzl hat sich die Straße angesehen. Seine Meinung: „Da liegen die Steine noch sehr gut.“

Holger Lorenzl, Professor an der Technische­n Hochschule Lübeck

„Ein Pflaster mit Naturstein­en erzeugt ein schönes Stadtbild und eine besondere

Atmosphäre.“

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Auf einer Baustelle vor dem Kolosseum wird Kopfsteinp­flaster verlegt. Das Verhältnis der Römer und Römerinnen zu ihren traditione­llen Pflasterst­einen kann als Hassliebe beschriebe­n werden. Die Bürgermeis­terin lässt keine Gelegenhei­t aus, um stolz auf die Pflasterar­beiten hinzuweise­n.
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FOTOS (4): PETRA KAMINSKY/DPA Das Kopfsteinp­flaster in Italiens Hauptstadt blickt auf eine lange Geschichte zurück. Die Sanpietrin­i genannten Steine sollen im 16. Jahrhunder­t erstmals am Petersplat­z, der Piazza San Pietro, gesetzt worden sein.
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Nahe dem Trajansfor­um stapeln sich die Pflasterst­eine.

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