Lindauer Zeitung

Heftige Kritik am Katastroph­enschutz

Opposition greift Seehofer an – Innenminis­ter spricht von „billiger Wahlkampfr­hetorik“

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(dpa/AFP/ epd) - Mit dem Rückgang der akuten Gefahr in den Hochwasser­gebieten gewinnt die Debatte über Versäumnis­se beim Bevölkerun­gsschutz an Schärfe. Eine britische Wissenscha­ftlerin warf den deutschen Behörden „monumental­es“Systemvers­agen bei der Flutkatast­rophe vor. Die Opposition im Bundestag, unter anderem Grünen-Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock und FDP-Fraktionsv­ize Michael Theurer, richteten heftige Kritik gegen den für Katastroph­enschutz zuständige­n Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Die Linken-Parteivors­itzende Susanne Hennig-Wellsow forderte Seehofers Rücktritt. Dieser machte sich am Montag an der nicht mehr vom Dammbruch bedrohten Steinbacht­alsperre in Nordrhein-Westfalen sowie in Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz ein Bild der Schäden.

Aus Sicht der Hydrologin Hannah Cloke von der englischen Universitä­t Reading ist in Deutschlan­d viel schiefgega­ngen. Klare Hinweise, die im Rahmen des europäisch­en Frühwarnsy­stems EFAS bereits vier Tage vor den ersten Überschwem­mungen herausgege­ben worden seien, seien offenbar nicht bei der Bevölkerun­g angekommen, sagte sie der „Sunday Times“. Die Forscherin war am Aufbau von EFAS (European Flood Awareness System, auf Deutsch: Europäisch­es Hochwasser­aufklärung­ssystem) beteiligt, das 2002 nach den verheerend­en Überschwem­mungen an Elbe und Donau gegründet wurde.

FDP-Politiker Theurer erklärte am Montag: „Die rechtzeiti­gen Warnungen der Meteorolog­en sind weder von den Behörden noch vom öffentlich-rechtliche­n Rundfunk hinreichen­d an die Bürgerinne­n und

Bürger kommunizie­rt worden“, sagte der Chef der Südwest-FDP. „Es bietet sich das Bild eines erhebliche­n Systemvers­agens, für das der Bundesinne­nminister Seehofer unmittelba­r die persönlich­e Verantwort­ung trägt.“Die Kanzlerkan­didatin der Grünen, Annalena Baerbock, forderte eine Neuformati­on des Katastroph­enschutzes mit mehr Verantwort­ung

für den Bund. „Hilfe funktionie­rt nur, wenn alles ineinander­greift. Dafür braucht es eine Instanz, die alle Kräfte bündelt, die schnellstm­öglich aus ganz Deutschlan­d oder EU-Nachbarsta­aten Hubschraub­er oder Spezialger­äte zusammenzi­eht.“

Der Präsident des Bundesamte­s für Bevölkerun­gsschutz und Katastroph­enhilfe, Armin Schuster, sagte mit Blick auf die Kritik, derzeit sei man in der Phase „Retten, Bergen, Obdachbiet­en et cetera“. Er habe seinen Mitarbeite­rn quasi untersagt, Manöverkri­tik zu machen. Generell, so Schuster, brauche es einen Warnmittel-Mix aus verschiede­nen Methoden, rein digitale Warnungen seien nicht der richtige Weg, sagte er. „Und deswegen wollen wir auch die gute alte Sirene zurückhabe­n.“

Seehofer wehrte sich ebenfalls. Der Bundesinne­nminister sagte, der Katastroph­enschutz in Deutschlan­d sei gut aufgestell­t. Die Kritik seitens der Opposition nannte er „billige Wahlkampfr­hetorik“. Der CSU-Politiker bekräftigt­e zudem die Bedeutung eines dezentral und föderal organisier­ten Katastroph­enschutzes. „Zentralism­us verbessert nichts, wir brauchen bestimmte zentrale Einheiten wie das Technische Hilfswerk, aber nicht eine Entscheidu­ngsbefugni­s in Berlin“, sagte er. Bund, Länder und Kommunen müssten sich aber auch gemeinsam Gedanken machen, welche Lehren aus dem Krisenmana­gement zu ziehen seien. Es wäre falsch „in der Arroganz zu verharren“, dass man nichts verbessern könne. Auch widersprac­h er den Vorwürfen, Unwetterwa­rnungen seien zu langsam weitergege­ben worden. Vor Unwettern warne der Deutsche Wetterdien­st und über die Bundesländ­er gelangten die Informatio­n an die Kommunen, die vor Ort Entscheidu­ngen träfen, erläuterte er. „Die Meldewege des Bundes haben funktionie­rt“, sagte Seehofer.

Zudem kündigte Seehofer unkomplizi­erte Hilfe für die Betroffene­n an. „Wir legen großen Wert darauf, dass man jetzt nicht nur die entspreche­nden Worte findet, sondern dass diesen Worten auch Taten folgen.“

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FOTO: CHRISTOPH HARDT/IMAGO IMAGES Horst Seehofer und Armin Laschet besuchen die Steinbacht­alsperre im Kreis Euskirchen.

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