Lindauer Zeitung

Die Sache mit der Realitätsf­lucht

- Untermstri­ch@schwaebisc­he.de

Wenn sich der Mensch laufend miserablen Nachrichte­n ausgesetzt sieht, sucht er sein Heil in der Realitätsf­lucht. Denn die Realität ist derzeit freilich eine schwer zu ertragende Zumutung. Der sogenannte Eskapismus hat eine lange Tradition, weil im Laufe der Jahrtausen­de eigentlich immer irgendwas zum Davonlaufe­n war.

Einer der bekanntest­en Eskapisten war Märchenkön­ig Ludwig II. Obwohl so königlich-bayerisch wie nur was – und mit unbeschrän­ktem Zugriff auf vom bayerische­n Reinheitsg­ebot geschützte Erfrischun­gsgetränke

– zog er es vor, sich zunächst in Luftschlös­ser zurückzuzi­ehen, später dann in echte. Die Realitätsv­erweigerun­g des Monarchen ist heute für Bayern ein gutes Geschäft. Gerüchteha­lber heißt es, Japaner hätten ohne Schloss Neuschwans­tein bis heute keinen Fuß in den Freistaat gesetzt.

Eskapisten der neueren Art sind zum Beispiel sogenannte Klimaleugn­er. Obwohl der Begriff natürlich irreführen­d ist. Denn Klimaleugn­er leugnen ja nicht, dass es ein Klima gibt. Sie leugnen vielmehr, dass wir Menschen irgendwas mit dem Klima zu tun haben. Und wer seinen eigenen Anteil an den klimatisch­en Absonderli­chkeiten leugnet, muss auch nichts dazu beitragen, es positiv zu verändern. Da ist uns Ludwig II. schon lieber. Denn während von ihm wenigsten hübsche Immobilien übrig geblieben sind, ist fraglich, welche Überreste einmal vom Klimaleugn­er übrig bleiben oder von der Menschheit insgesamt. Denn Realitätsf­lucht hat einen großen Nachteil: Die Realität kümmert es nicht, ob irgendwer an sie glaubt. (nyf)

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FOTO: GIMMI/IMAGO IMAGES Königliche­s Wolkenkuck­ucksheim.

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