Lindauer Zeitung

„Eine Katastroph­e mit Ansage“

Schriftste­ller Frank Schätzing sieht nach dem Hochwasser­drama Politiker in der Verantwort­ung – Er appelliert an jeden Einzelnen, sein Verhalten zu überdenken

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Herr Schätzing, war die Flutkatast­rophe vorige Woche nach der Recherche für Ihr Buch ein Dejà-vu für Sie?

Dejà-vu ist noch untertrieb­en. Das war eine Katastroph­e mit Ansage. Aber natürlich bin ich zuallerers­t entsetzt angesichts der Bilder. Traurig und wütend.

Wütend worüber?

Hier brechen sich jahrzehnte­lange Versäumnis­se im Klimaschut­z Bahn, gerade auch in Deutschlan­d. Wir haben es uns zu lange in unserer vermeintli­chen Komfortzon­e bequem gemacht und uns vorgemacht, bei uns könne es keine Extremwett­erlagen geben wie andernorts auf der Welt.

Die Wetter-Annalen verzeichne­n aber solche „Jahrhunder­t-Katastroph­en“auch in früheren Zeiten.

Sicher hat es Wetterextr­eme durch alle Jahrhunder­te hindurch gegeben. Auch in der jüngeren Vergangenh­eit kam es zu Flutkatast­rophen: etwa die Hochwasser-Jahre 1993 und 1995 oder 2001 bis 2003 in Köln. Nur muss man unterschei­den, was sie auslöst, und sein Verhalten anpassen. Damals wurde festgestel­lt, dass man zu viele Flächen versiegelt und zu viele Wasserläuf­e in künstliche Betten geleitet hatte, in denen das Wasser weder versickern noch seitlich abfließen kann. Danach wurden munter weiter Flächen versiegelt. Das ist eine Ursache im Kleinen.

Jetzt hat es aber doch gar nicht so sehr zugebaute Städte an großen Flüssen getroffen, sondern Ortschafte­n in naturnahen Gebieten.

Gerade in kleinen Orten, die unmittelba­r an fließende Gewässer grenzen, war man immer bemüht, sich baulich gegen die Natur abzuschott­en. Oft sind aber gar nicht mal die großen Ströme das Problem, sondern die kleinen Seitenarme und Zuflüsse. Weil sie kanalisier­t wurden; kleine Bäche, die ursprüngli­ch in natürliche­n Betten durchs Dorf flossen, wurden in Betonröhre­n gezwängt. Und Wasser hat nun mal eine unangenehm­e Eigenschaf­t: Nimmt die Menge zu und es gibt keine Ausweichmö­glichkeit, steigen Staupegel und Fließgesch­windigkeit dramatisch. Auch das haben wir jetzt erlebt: mit welcher Wucht Wassermass­en durch Ortschafte­n rasten, wo zuvor ein gemütliche­s, wenige Meter breites Flüsschen dahindümpe­lte.

Die Menschen dort waren besonders entsetzt über die Geschwindi­gkeit, mit der das passierte. Wie erklärt sich das?

Natürliche Systeme unterliege­n der sogenannte­n Kipppunkt-Dynamik: Sie können ein System relativ lange stressen. Es kann viele Belastunge­n wegstecken. Lange Zeit spüren wir kaum, wie es sich verändert, also denken wir, das System sei unveränder­t stabil. Tatsächlic­h gerät es mehr und mehr an den Rand der Instabilit­ät. Und plötzlich kippt es. Es entwickelt sich in eine neue, nicht umkehrbare Richtung. Die Böden in den Katastroph­enregionen beim Dauerregen der vorigen Woche haben sich über lange Zeit mit Wasser vollgesaug­t, bis nichts mehr reinpasste. Dann gaben sie nach. Ihre Strukturen kollabiert­en, das Wasser brach sich Bahn, riss Erdreich mit sich, Kettenreak­tionen waren die Folge – etwa so, als ob Sie nacheinand­er Dosen aus einem Konservens­tapel ziehen. Lange bleibt der Stapel stabil. Eine Dose zu viel, und er kracht in sich zusammen.

Sie sagten, die Versiegelu­ng sei eine Ursache im Kleinen. Die große Ursache …

… ist der anhaltende Verbrauch fossiler Energien, der die Erderwärmu­ng beschleuni­gt. Man hätte weltweit sehr viel früher die Vollversor­gung durch erneuerbar­e Energien anstreben müssen, um stabile klimatisch­e Rahmenbedi­ngungen zu erhalten, auch in Deutschlan­d. Wenn manche Politiker jetzt mit Gummistief­eln und Betroffenh­eitsmiene durch den Schlamm waten und „mehr Tempo“beim Klimaschut­z einfordern, als hätte sie diese Einsicht plötzlich und unvermitte­lt ereilt, muss man sie fragen, wo sie die ganzen Jahre über gelebt haben. Dann waren sie entweder schlecht informiert, oder sie haben ihnen bekannte Risiken ignoriert. Beides qualifizie­rt nicht unbedingt für höchste Ämter.

Was macht Sie eigentlich so sicher, dass die aktuellen Phänomene auf den Einfluss des Menschen zurückgehe­n? Daran gibt es doch auch erhebliche Zweifel – und dementspre­chend Kritik.

Die Kritiker sind im Allgemeine­n schlecht informiert. Wir beobachten zweierlei: Erstens Extremwett­er in Gegenden, in denen man das in dieser Häufung bislang nicht kannte. Natürlich ist es auch hierzuland­e immer wieder zu Naturkatas­trophen gekommen. In Australien oder Kalifornie­n gab es seit jeher Waldoder Buschbränd­e, in den Tropen Überschwem­mungen. Alles richtig. Aber das Ausmaß und die Unkontroll­ierbarkeit etwa der aktuellen Brände ist eindeutig zurückzufü­hren auf eine bisher nicht dagewesene Trockenhei­t der Luft, der Böden, der gesamten Vegetation in den betroffene­n Regionen. Davon sind wir in Europa noch ein gutes Stück entfernt. Aber Wetterzust­ände, die unsere ausgeklüge­lten Schutzmaßn­ahmen – etwas, worauf

Deutschlan­d immer stolz war – einfach so aushebeln, nehmen zu. Das ist neu.

Und zweitens?

Zweitens verzeichne­n Klimaforsc­her zurzeit die Überstress­ung eines natürliche­n Kippelemen­ts, nämlich des Jetstreams. Dieses Starkwindb­and in der nördlichen Hemisphäre, das in großer Höhe um die Erde zirkuliert, sorgt für eine schnelle Abfolge von Hoch- und Tiefdruckg­ebieten. Der Jetstream erlahmt gerade, was nachgewies­enermaßen mit der rapiden Erderwärmu­ng zusammenhä­ngt. Als Folge verharren Hochs und Tiefs länger auf der Stelle, wo sie kreisen und kreisen. Genau das war vergangene Woche der Fall: Tief „Bernd“wollte einfach nicht abziehen. Gleiches gilt für Hochdruckg­ebiete mit extrem langen Trockenper­ioden. Das ist so offensicht­lich menschenge­macht, dass man bei den Einwänden der „Klimaleugn­er“die Ohren getrost auf Durchzug stellen kann.

Aber was heißt offensicht­lich?

Glückliche­rweise beherrsche­n wir seit Längerem die hohe Kunst des Messens. Damit hebelt man Klimaleugn­er ruckzuck aus. Normalerwe­ise vollziehen sich signifikan­te klimatisch­e Veränderun­gen in Hunderttau­senden oder gar Millionen von Jahren. Die Temperatur­kurve der Erderwärmu­ng aber steigt seit dem Beginn des Industriez­eitalters im 19. Jahrhunder­t unnatürlic­h rasch an und wird zusehends steiler. Klimaleugn­er führen das gerne auf Schwankung­en der Sonnenakti­vität, den veränderli­chen Abstand der Erde zur Sonne oder Vulkanismu­s zurück. Für alle diese Phänomene liegen uns Messungen aus den letzten 150 Jahren vor. Ein allgemeine­r Anstieg ist nicht zu verzeichne­n. Wohl aber eine Zunahme des atmosphäri­schen Kohlendiox­ids und CO2-äquivalent­er Treibhausg­ase wie Methan und Lachgas. Deren Zuwachskur­ve – Überraschu­ng! – deckt sich eins zu eins mit der Temperatur­kurve, und für den vermehrten Treibhausg­asausstoß sind alleine wir verantwort­lich. Das ist ein unumstößli­ches Faktum.

Was tun gegen das Gefühl der Vergeblich­keit?

Erstens muss man sich klarmachen: Jeder Mensch hat einen Gestaltung­sspielraum. Natürlich hat die Kanzlerin einen größeren als Sie oder ich. Aber ohnmächtig ist keiner von uns. Die Bilder von der Hilfsberei­tschaft in den Krisenregi­onen zeigen das auf bewegende Weise. Jede helfende Hand bewirkt etwas. Sie können aber auch einfach auf ein schwedisch­es Mädchen schauen, das sich vor wenigen Jahren mit einem Pappschild vor das schwedisch­e Parlament setzte und im Alleingang eine Weltbewegu­ng auslöste. Niemand ist machtlos. Wir müssen Klimaschut­z begreifen als Dreiklang von Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft.

Was meinen Sie konkret mit diesem Dreiklang?

Das ständige Weiteradre­ssieren, wer die Krise zu lösen hat, ist Teil der Krise. Die anderen sind immer schuld und sollen handeln, selber kann man nichts machen! Grundfalsc­h: Wir bekommen es nur gemeinsam hin. Und dafür müssen wir raus aus dem Kuschelmod­us. Spätestens im Pariser Klima-Abkommen von 2015 hat jedes Land seine Hausaufgab­en aufbekomme­n. Auch Deutschlan­d.

Mit zwei Prozent der CO2-Emissionen.

Es gehört zu den unausrottb­aren Ammenmärch­en, wir hätten mit unseren zwei Prozent Emissionsa­usstoß kaum Einfluss auf die Klimaverän­derung. Offenkundi­g hat sie aber sehr viel Einfluss auf uns. Fakt ist, Deutschlan­ds politische­s Gewicht in der Welt wiegt weit schwerer als zwei Prozent. Wir können Einfluss nehmen auf Großmächte wie die USA oder China, wo der Klimaschut­z übrigens gerade besser in die Gänge kommt als hier. Als Innovation­s- und Technologi­eführer – würden wir uns dieser Rolle wieder besinnen – ist unser Einfluss gewaltig. Wir können die Welt mit grünen Technologi­en versorgen, gerade auch arme Länder. Was uns hingegen gar nicht weiterhilf­t, ist die großspurig­e Zufriedenh­eit der Politik, den Zeitpunkt der Klimaneutr­alität auf 2045 vorgezogen zu haben. Wir müssen klimaneutr­al sein, wenn wir unser Emissionsb­udget aufgezehrt haben. Das wird auch nach der Reformieru­ng des Klimaschut­zgesetzes in der ersten Hälfte der 2030er-Jahre der Fall sein. Bis dahin müssen wir die Vollversor­gung mit erneuerbar­en Energien erreicht haben. Danach sieht es derzeit aber nicht aus.

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