Frankreich macht ernst mit Impfpflicht für Pfleger und Ärzte
Parlamentsbeschluss noch für diese Woche erwartet – 100 000 Menschen demonstrieren landesweit
- Name, Geburtsdatum und darunter der Vermerk „Impfung vollständig“: So sieht der Gesundheitspass aus, um den derzeit in Frankreich heftig gestritten wird. Mehr als 100 000 Menschen gingen am Wochenende im ganzen Land auf die Straße, um gegen eine „Impf-Diktatur“zu protestieren. Denn der Pass ist ab Mittwoch Pflicht für alle kulturellen Veranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Also Museen ebenso wie Kinos.
Ab August soll der Impfnachweis, der eigentlich nur ein QR-Code mit ein paar Zeilen in der Corona-App ist, auch in Zügen, Cafés, Restaurants und Einkaufszentren vorgezeigt werden. So verkündete es zumindest Präsident Emmanuel Macron vor einer Woche in einer Fernsehansprache. Noch am Montagabend wollte das Kabinett die neue Maßnahme beschließen, bevor dann bis Ende der Woche das Parlament im Eilverfahren zustimmen sollte.
Besonders umstritten ist, dass bis Mitte September alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, also auch Pflegekräfte in Alten- und Behinderteneinrichtungen, geimpft sein müssen. Ansonsten können sie nicht mehr weiter beschäftigt werden. Radikale Impfgegner stellten die Regierung deshalb in eine Reihe mit den Nazi-Besatzern Frankreichs und verglichen sich selbst mit deren jüdischen Opfern, indem sie am Wochenende mit gelben Sternen durch die Straßen zogen.
Die Demonstrationen fielen mit dem Jahrestag der Massenfestnahme von Jüdinnen und Juden zusammen, bei der 1942 mehr als 13 000 Menschen im Pariser Wintervelodrom zusammengepfercht und später in die Vernichtungslager deportiert wurden. „Dieser Vergleich ist widerwärtig“, sagte Joseph Szwarcz, einer der Überlebenden, bei der Zeremonie zur Erinnerung an die Opfer der
„Rafle du Vélodrome d’Hiver“. „Ich habe den Stern getragen und weiß, was das bedeutet. Ich habe ihn immer noch in meinem Fleisch.“
In Paris versammelten sich rund 18 000 Impfgegnerinnen und -gegner zu mehreren Kundgebungen. Eine wurde von den Rechtspopulisten Florian Philippot und Nicolas Dupond-Aignan angeführt, zu einer anderen hatte ein Abgeordneter der Linksaußenpartei La France Insoumise aufgerufen. Auch prominente Vertreter der „Gelbwesten“gingen auf die Straße und forderten einen Rücktritt Macrons. Bereits 2018 hatten die Gilets jaunes gewaltsam gegen den Reformkurs der Regierung demonstriert. Die Regierung fürchtet, dass sich die Stimmung nun ähnlich aufheizen könnte wie damals.
Mehrere Abgeordnete, die den Gesundheitspass verteidigten, erhielten bereits Todesdrohungen. Das Wahlkreisbüro des Präsidenten der Nationalversammlung, Richard Ferrand, wurde vorübergehend besetzt. Die parteilose Abgeordnete und Impfgegnerin Martine Wonner rief dazu auf, alle Büros der Parlamentarier zu stürmen. „Es gibt eine Verbindung zwischen extremer Rechter und extremer Linker wie zu Zeiten der Gelbwesten“, warnte ein
Minister in der Zeitung „Le Parisien“.
Die Ankündigungen Macrons lösten allerdings nicht nur heftige Proteste aus, sondern führten auch zu einem Ansturm auf die Impfzentren: Mehr als 3,5 Millionen Französinnen und Franzosen vereinbarten seit dem vergangenen Montag einen Termin. „Entweder die generelle Impfung oder ein viraler Tsunami“, verteidigte Regierungssprecher Gabriel Attal im „Parisien“die Entscheidungen des Präsidenten, die die Mehrheit seiner Landsleute gut heißen.
Die Infektionszahlen steigen seit mehr als einer Woche in Frankreich wieder stark. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bereits bei über 60 pro 100 000 Einwohnern. Im Département Pyrenées Orientales wurden sogar über 300 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern gezählt. In der beliebten Urlaubsregion rund um Perpignan gilt nun wieder eine Maskenpflicht auf der Straße; die Bars und Restaurants müssen um 23 Uhr schließen.
Frankreich gehört mit mehr als 112 000 Toten zu den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern. Die abendliche Ausgangssperre war erst vor vier Wochen aufgehoben worden.