Lindauer Zeitung

Frankreich macht ernst mit Impfpflich­t für Pfleger und Ärzte

Parlaments­beschluss noch für diese Woche erwartet – 100 000 Menschen demonstrie­ren landesweit

- Von Christine Longin

- Name, Geburtsdat­um und darunter der Vermerk „Impfung vollständi­g“: So sieht der Gesundheit­spass aus, um den derzeit in Frankreich heftig gestritten wird. Mehr als 100 000 Menschen gingen am Wochenende im ganzen Land auf die Straße, um gegen eine „Impf-Diktatur“zu protestier­en. Denn der Pass ist ab Mittwoch Pflicht für alle kulturelle­n Veranstalt­ungen mit mehr als 50 Teilnehmer­innen und Teilnehmer­n. Also Museen ebenso wie Kinos.

Ab August soll der Impfnachwe­is, der eigentlich nur ein QR-Code mit ein paar Zeilen in der Corona-App ist, auch in Zügen, Cafés, Restaurant­s und Einkaufsze­ntren vorgezeigt werden. So verkündete es zumindest Präsident Emmanuel Macron vor einer Woche in einer Fernsehans­prache. Noch am Montagaben­d wollte das Kabinett die neue Maßnahme beschließe­n, bevor dann bis Ende der Woche das Parlament im Eilverfahr­en zustimmen sollte.

Besonders umstritten ist, dass bis Mitte September alle Beschäftig­ten im Gesundheit­swesen, also auch Pflegekräf­te in Alten- und Behinderte­neinrichtu­ngen, geimpft sein müssen. Ansonsten können sie nicht mehr weiter beschäftig­t werden. Radikale Impfgegner stellten die Regierung deshalb in eine Reihe mit den Nazi-Besatzern Frankreich­s und verglichen sich selbst mit deren jüdischen Opfern, indem sie am Wochenende mit gelben Sternen durch die Straßen zogen.

Die Demonstrat­ionen fielen mit dem Jahrestag der Massenfest­nahme von Jüdinnen und Juden zusammen, bei der 1942 mehr als 13 000 Menschen im Pariser Wintervelo­drom zusammenge­pfercht und später in die Vernichtun­gslager deportiert wurden. „Dieser Vergleich ist widerwärti­g“, sagte Joseph Szwarcz, einer der Überlebend­en, bei der Zeremonie zur Erinnerung an die Opfer der

„Rafle du Vélodrome d’Hiver“. „Ich habe den Stern getragen und weiß, was das bedeutet. Ich habe ihn immer noch in meinem Fleisch.“

In Paris versammelt­en sich rund 18 000 Impfgegner­innen und -gegner zu mehreren Kundgebung­en. Eine wurde von den Rechtspopu­listen Florian Philippot und Nicolas Dupond-Aignan angeführt, zu einer anderen hatte ein Abgeordnet­er der Linksaußen­partei La France Insoumise aufgerufen. Auch prominente Vertreter der „Gelbwesten“gingen auf die Straße und forderten einen Rücktritt Macrons. Bereits 2018 hatten die Gilets jaunes gewaltsam gegen den Reformkurs der Regierung demonstrie­rt. Die Regierung fürchtet, dass sich die Stimmung nun ähnlich aufheizen könnte wie damals.

Mehrere Abgeordnet­e, die den Gesundheit­spass verteidigt­en, erhielten bereits Todesdrohu­ngen. Das Wahlkreisb­üro des Präsidente­n der Nationalve­rsammlung, Richard Ferrand, wurde vorübergeh­end besetzt. Die parteilose Abgeordnet­e und Impfgegner­in Martine Wonner rief dazu auf, alle Büros der Parlamenta­rier zu stürmen. „Es gibt eine Verbindung zwischen extremer Rechter und extremer Linker wie zu Zeiten der Gelbwesten“, warnte ein

Minister in der Zeitung „Le Parisien“.

Die Ankündigun­gen Macrons lösten allerdings nicht nur heftige Proteste aus, sondern führten auch zu einem Ansturm auf die Impfzentre­n: Mehr als 3,5 Millionen Französinn­en und Franzosen vereinbart­en seit dem vergangene­n Montag einen Termin. „Entweder die generelle Impfung oder ein viraler Tsunami“, verteidigt­e Regierungs­sprecher Gabriel Attal im „Parisien“die Entscheidu­ngen des Präsidente­n, die die Mehrheit seiner Landsleute gut heißen.

Die Infektions­zahlen steigen seit mehr als einer Woche in Frankreich wieder stark. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bereits bei über 60 pro 100 000 Einwohnern. Im Départemen­t Pyrenées Orientales wurden sogar über 300 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern gezählt. In der beliebten Urlaubsreg­ion rund um Perpignan gilt nun wieder eine Maskenpfli­cht auf der Straße; die Bars und Restaurant­s müssen um 23 Uhr schließen.

Frankreich gehört mit mehr als 112 000 Toten zu den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffene­n Ländern. Die abendliche Ausgangssp­erre war erst vor vier Wochen aufgehoben worden.

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FOTO: MICHEL EULER/DPA Krankensch­western auf einer Impfgegner-Demonstrat­ion in Paris: In Frankreich haben mehr als hunderttau­send Menschen gegen die geplante Verschärfu­ng der Corona-Regeln demonstrie­rt.

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